Mobilitätsgarantie

Leben im toten Winkel des ÖPNV

Auf dem Land ist der nächste Bahnhof oft weit weg und der Bus dorthin fährt auch nur selten. Für Leute wie Jasmin Beinlich macht das die Mobilität umständlich.

| ÖPNV Soziale Aspekte der Verkehrswende

Wenn Jasmin Beinlich sich auf den Weg zur Uni macht, steigt sie als erstes in ihr Auto, einen Toyota Yaris. Damit fährt sie in 20 Minuten die 15 Kilometer von ihrem Heimatdorf durch den bayerischen Landkreis Landshut zum Bahnhof Moosburg. Dort angekommen, muss Beinlich in den Zug nach Regensburg umsteigen. Für die letzten Kilometer vom Hauptbahnhof zum Unigebäude nimmt sie den Bus.

Jasmin Beinlich studiert Deutsch auf Realschullehramt und Angewandte Sprechwissenschaft an der Universität Regensburg. Allerdings wohnt die 22-Jährige bei ihren Eltern im rund 85 Kilometer südlich gelegenen Örtchen Kemoden, – und damit im von Medien und Politik viel beschworenen „ländlichen Raum“. Kemoden ist ein Ortsteil der niederbayrischen Gemeinde Vilsheim. Die Gemeinde hat rund 2.500 Einwohner*innen, ein Bruchteil davon wohnt in Kemoden.

Rund 65 Kilometer südwestlich von Vilsheim liegt die bayrische Landeshauptstadt München. „Man merkt, dass unser Ort schon zum erweiterten Speckgürtel gehört, auch hier werden die Immobilien teurer. Aber meine Familie hat immer noch mehr Kühe als Menschen als Nachbarn“, sagt Beinlich lachend.

Dass es für Beinlich so kompliziert ist, zur Uni oder überhaupt irgendwo anders hinzukommen, liegt genau daran: Wie viele Kleinststädte im ländlichen Raum hat Vilsheim keinen Bahnanschluss. Busse ins nur 15 Kilometer entfernte Landshut – immerhin eine Stadt mit rund 75.000 Einwohner*innen – fahren nur wenige Male am Tag. Für Beinlich das größte Problem: „Die Busfahrzeiten sind nicht auf die Zugfahrzeiten abgestimmt. Außerdem fahren die meisten Busse gar nicht bis zum Bahnhof, sondern enden einige Stationen entfernt. Für das tägliche Pendeln zur Uni funktioniert das einfach nicht.“

Wunschtraum und Wirklichkeit

Dabei würde Beinlich, die als Kreisrätin für die Grünen im Landkreis Landshut tätig ist, gerne auf ihr Auto verzichten. „Wenn es gute Busverbindungen gäbe, würde ich diese nutzen, auch, wenn ich dann länger unterwegs wäre als mit dem Auto.“ Ihren Toyota teilt sie sich mit ihren Großeltern – doch die wären auch lieber ohne Auto mobil. „Wir teilen uns das Auto zwar, doch ich weiß, dass meine Großeltern das nur mir zuliebe tun, um mich finanziell zu entlasten.“ Beinlich muss nicht nur das Auto anteilig finanzieren. Jeden Monat zahlt sie zusätzlich noch 200 Euro für eine Schülermonatskarte, um die vier Haltestellen von Moosburg bis nach Eggmühl zurückzulegen, ab wo ihr Semesterticket gilt. Für die Studentin ist das eine große finanzielle Belastung.

„Meine Großeltern benutzen unser gemeinsames Auto sehr selten. Die wichtigsten Orte wie den Supermarkt oder den Hausarzt können sie zu Fuß im Dorf erreichen. Und meine Oma hat schon oft gesagt, dass sie gerne mal samstags mit dem Bus nach Landshut fahren und einfach ein bisschen bummeln würde. Aber bei dem aktuellen Fahrplan blieben ihr zwischen dem ersten Bus hin und dem letzten Bus zurück nur 45 Minuten Aufenthalt“, kritisiert Jung-Politikerin Beinlich.

Wenn Beinlich doch mal mit dem Bus fährt, muss sie von ihrem Haus einen Kilometer zur Haltestelle in Vilsheim laufen. Auch ihr Weg zu ihrem Minijob als Kellnerin in einem Vilsheimer Gasthaus führt sie diese Straße entlang – eine Straße ohne Gehwege und ohne Straßenlaternen. Gerade für Schulkinder, die frühmorgens mit dem Bus fahren müssen, sei das gefährlich. Wenn ihnen auf der Straße ein Auto oder Trecker entgegenkommt, müssten sie fast in den Straßengraben ausweichen, erzählt Beinlich. Mit der Fahrradinfrastruktur sähe es nicht viel besser aus. „Das Radwegenetz im Landkreis ist ein absoluter Flickenteppich, auch wenn sich in den letzten Jahren einiges verbessert hat. Es gibt immer noch viele Landstraßen ohne Radwege“, erzählt Beinlich. Dabei sei der Bedarf groß: In der hügeligen Gegend steigt die Nachfrage nach E-Bikes, besonders bei älteren Menschen.

Flexible Lösungen

Trotz all dieser Mobilitätsnachteile ist es für Jasmin Beinlich keine Option, aus Kemoden wegzuziehen, näher an ihre Uni in Regensburg. „Ich habe drei Frettchen als Haustiere, das ist ein ziemlicher Vermieterschreck“, erzählt sie lachend. „Aber auch ohne dieses Hindernis würde ich wahrscheinlich nicht wegziehen wollen. Ich wohne einfach gerne auf dem Land, im Grünen.“ Und die Kreisrätin hat viele Ideen, wie man die Mobilität in ihrer Gemeinde verbessern könnte.

„Ein Carsharing-System wäre ein guter Anfang. Dann wäre ich immerhin nicht mehr auf ein eigenes Auto angewiesen, dass ja auch oft unbenutzt herumsteht. Noch besser wäre ein Rufbus-System, bei dem die Busse dann fahren, wenn sie benötigt werden. Damit könnte man auch Leerfahrten vermeiden, das müssten doch eigentlich auch die politischen Gegner*innen des ÖPNV-Ausbaus gut finden“, sagt die Grünen-Politikerin.

Eine erste kleine Veränderung zum Positiven hat der Landshuter Kreistag im Sommer 2020 umgesetzt. Mit dem Mobil 50/50-Ticket können junge Menschen unter 28, Senior*innen und Menschen mit Beeinträchtigungen sich die Hälfte der Taxikosten erstatten lassen, wenn sie außerhalb der Busfahrzeiten im Landkreis unterwegs sein wollen. „Das Ticket wurde während des Lockdowns eingeführt, trotzdem wird es schon ziemlich gut angenommen“, freut sich Beinlich.

Doch unterm Strich ändert auch das nichts an der Tatsache, dass die Vilsheimer*innen weit von einer Mobilitätsgarantie entfernt sind. Bis sich daran etwas ändert, sei es durch mehr Busverbindungen, bessere Radwege oder ein Carsharing-System, wird Jasmin Beinlich weiterhin an vier Tagen die Woche mit Auto, Zug und Bus zur Uni Regensburg pendeln. Vielleicht kann sie ihre notwendigen Autokilometer bald immerhin elektrisch zurücklegen. „Noch fehlt es an Lademöglichkeiten, die gibt es bei uns im Dorf einfach nicht. Aber meine Eltern überlegen gerade, eine Solaranlage aufs Dach zu bauen, dann wäre ein E-Auto natürlich toll.“

Katharina Baum

ist seit 2020 Redakteurin bei der fairkehr.

katharina.baum@fairkehr.de

zurück

Cookie-Einstellungen ändern