In fast allen deutschen Großstädten kann man heute Carsharing-Autos ausleihen. Auf dem Land gibt es hingegen meist keine Angebote. Gute Konzepte und viel Engagement können das ändern.

Mobil in Brandenburg

Carsharing auf dem Land

In fast allen deutschen Großstädten kann man heute Carsharing-Autos ausleihen. Auf dem Land gibt es hingegen meist keine Angebote. Gute Konzepte und viel Engagement können das ändern.

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In 96 Prozent der deutschen Großstädte gibt es Carsharing-Angebote. Besonders in den Metropolen konkurrieren Konzerne wie Volkswagen, BMW, Daimler und Sixt um die Gunst der Kund*innen. Doch wie sieht es in den Kleinstädten und im ländlichen Raum aus?

Zahlen des Bundesverbandes Carsharing (BCS) zeigen, dass es immerhin in knapp 50 Prozent der Städte mit weniger als 50?000 Einwohnern ein Carsharing-Angebot gibt. In Kommunen mit weniger als 20?000 Einwohnern sind es allerdings nur 4,3 Prozent. Wie Carsharing auf dem Land funktionieren kann, zeigen zwei Angebote aus Brandenburg.

Im Landkreis Barnim können Arbeitgeber*innen, Bürgerinnen und Bürger seit Sommer 2019 das E-Mobilitätsangebot BARshare der Kreiswerke Barnim nutzen. Der Fuhrpark besteht aus Elektroautos, E-Kleintransportern, Pedelecs und Lastenrädern. Die Leihstationen befinden sich nicht nur in Eberswalde und Bernau, den beiden mit je 40 000 Einwohnern größten Städten im Landkreis, sondern auch in kleineren Orten, wie der 1?000-Seelen-Gemeinde Melchow.

Firmen als Carsharing-Kunden

BARshare funktioniert nach dem Hauptnutzer-Mitnutzer-Prinzip. Behörden, Unternehmen und Vereine sind die Hauptnutzer*innen. Zu einem festen Tarif buchen sie ein monatliches Stundenkontingent, in dem derzeit bereits über 500 registrierte Angestellte von Barnimer Institutionen die Fahrzeuge für Dienstfahrten ausleihen können. Der Tarif liegt beispielsweise bei dem Kleinwagen Renault ZOE inklusive Reinigung, Versicherung und 40 Stunden Nutzung bei 299 Euro im Monat und 10 Cent pro Kilometer. Geladen werden die Fahrzeuge kostenfrei am öffentlichen emobility Ladenetz Barnim der Kreiswerke Barnim.

Außerhalb der Kernarbeitszeiten, also vor allem am späten Nachmittag, abends und am Wochenende stehen die Fahrzeuge gegen eine Leihgebühr und eine Kilometerpauschale allen Bürger*innen zur Verfügung, die sich bei BARshare als Mitnutzer*innen registriert haben. Eine wachsende Zahl an Fahrzeugen kann dank eines 2021 neu eingeführten Hauptnutzer-Flextarifs rund um die Uhr von beiden Nutzergruppen gebucht werden.

„Mit BARshare möchten wir mehrere Ziele erreichen: Wir wollen die Mobilität vor Ort verbessern und die Anzahl der privaten Pkw, den Bedarf an Parkraum sowie die CO2-Emissionen reduzieren. Dass Haupt- und Mitnutzer die Fahrzeuge fahren, erhöht die Auslastung unserer Flotte und somit die Effizienz des Carsharing-Angebots“, sagt BARshare-Projektleiterin Saskia Schartow.

Die erste Ausbaustufe mit 22 E-Autos, die die Kreiswerke per Mietkauf anschafften, die zugehörige Ladeinfrastruktur an den ersten fünf Standorten sowie eine App für die Fahrzeugbuchung kosteten rund 150?000 Euro. Um die Finanzierung zu stemmen, warben die Kreiswerke Fördergelder vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, vom Land Brandenburg und vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) ein. Um den Fuhrpark auf 45 Fahrzeuge zu erweitern und weitere Stationen einzurichten, erhielten die Kreiswerke weitere 214?000 Euro aus dem Programm „Saubere Luft 2017–2020“ des BMVI.

„Eine der größten Herausforderungen für uns bestand darin, den Menschen im Landkreis den Sharing-Gedanken und die E-Mobilität näherzubringen. Oft bestanden noch Vorurteile im Hinblick auf die Kosten oder die begrenzte Reichweite.“ Auch die entsprechende Auslastung eines solchen Angebots durch genügend Nutzer*innen müsse gewährleistet sein, damit es sich wirtschaftlich und ökologisch rentiere, sagt Saskia Schartow.

Anschub durch Fördergeld

Noch ist BARshare ein Zuschussgeschäft. Gerade die neuen Stationen brauchen ein halbes Jahr, um bekannt zu werden und richtig anzulaufen. Doch hier befindet sich BARshare trotz Corona-Pandemie auf einem guten Weg. Im Vergleich zur Mitte des Vorjahrs konnten die Kreiswerke die Zahl der Hauptnutzer von acht auf 13 und die Zahl der Mitnutzer von 550 auf 950 Personen steigern.

Die Corona-Pandemie bedroht Carsharing-Angebote auf dem Land besonders stark. BCS-Geschäftsführer Gunnar Nehrke forderte die Politik bei der Vorstellung des Berichts „Carsharng-Statistik 2021“ zum Handeln auf: Vor allem Standorte an der städtischen Peripherie, in kleineren Städten und im ländlichen Raum seien vielerorts von der Schließung bedroht. Die Corona-Krise drohe das Carsharing-Angebot in Deutschland langfristig zu schwächen und den weiteren Ausbau zu verlangsamen, so Nehrke. Das Land Baden-Württemberg hat als einziges Bundesland einen Carsharing-Rettungsschirm in Höhe von vier Millionen Euro installiert.

Ein Dorf, ein E-Auto

In Barsikow im Landkreis Ostprignitz-Ruppin ist alles zwei Nummern kleiner als bei BARshare. Mit 183 Einwohner*innen ist das Dorf einer der kleinsten Orte in Deutschland mit eigenem Carsharing-Auto. Hier zeigt sich, dass Carsharing überall funktionieren kann, wo sich Menschen für ein Angebot einsetzen. „Das Barsikower Dorfmobil ermöglicht allen Bürgerinnen und Bürgern, ohne eigenes Auto mobil zu bleiben, und erspart der einen oder anderen Familie den Zweitwagen“, sagt Dr. Anna Funke, Vorsitzende des Dorfvereins Barsikow, der das Carsharing-Projekt initiiert hat.

Der Landkreis Ostprignitz-Ruppin hatte Anfang 2019 einen Wettbewerb ausgerufen, über den sich der Dorfverein eine Förderung von 25 000 Euro für das Projekt sicherte. Diese flossen in den Erwerb des Elektroautos, was 80 Prozent des Kaufpreises entsprach. Der Landkreis steuerte weitere 5?700 Euro für eine Ladestation und eine Buchungs-App bei.

Das Aachener Unternehmen MOQO stellt sowohl für BARshare als auch für das Dorfmobil Barsikow die Sharing-Apps zur Verfügung. Gegen eine Gebühr übernimmt das Unternehmen auch den Kundenservice. Wenn sich beispielsweise ein BARshare-Fahrzeug mal nicht öffnen lässt, reicht ein Anruf aus und ein*e MOQO-Mitarbeiter*in schließt es aus der Ferne auf. Die Barsikower übernehmen den Kundenservice aus Kostengründen selbst.

Ein Projekt wie das Dorfmobil Barsikow steckt voller Herausforderungen: „Wir mussten 2019 beispielsweise einen Geschäftsbetrieb anmelden, da der gemeinnützige Dorfverein nicht Träger eines durch Leihgebühren finanzierten Carsharing-Angebots sein durfte. Zudem ist das Dorfmobil während beider Corona-Lockdowns weniger gebucht worden und das Geld in der Kasse drohte knapp zu werden, um das Darlehen für die restlichen 20 Prozent des Kaufpreises zu bedienen“, erzählt die Dorfvereinsvorsitzende Dr. Anna Funke.

Dass das Konzept funktioniert, zeigen die guten Monate, wie der August 2020 oder der März 2021: Die Barsikower*innen hatten das E-Auto an über vier Stunden pro Tag ausgeliehen. Dadurch reichten die Einnahmen des Dorfmobils mit seinen 31 registrierten Nutzer*innen trotz der geringen Leihgebühr von 1,99 Euro pro Stunde und 10 Cent pro Kilometer aus, um die laufenden Kosten zu decken.

Die großen Carsharing-Anbieter zieht es nicht auf das Land, da hier der Markt nicht gewinnversprechend genug ist. Aber BARshare und das Barsikower Dorfmobil zeigen, dass Carsharing auch in dünn besiedelten Regionen funktionieren kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Voraussetzung dafür sind vor allem drei Dinge: gute Konzepte, Fördermittel und Engagement der Menschen vor Ort.

Benjamin Kühne

ist seit 2014 als Redakteur beim VCD-Magazin fairkehr tätig. Davor studierte er Politikwissenschaft in Gießen und absolvierte einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst in Bangladesch.
benjamin.kuehne@fairkehr.de

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