Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) im Interview

„Es geht darum, die destruktive Rollenverteilung in der Regierung aufzulösen“

Im Vorfeld der Bundestagswahl haben wir Expert*innen der fünf großen Parteien zum Thema Verkehrspolitik befragt: Wie sieht für sie die Mobilität der Zukunft aus? Was würden sie tun, wenn sie Verkehrsminister*in wären? Und wie stehen sie zum Bundesmobilitätsgesetz? Heute im Kurzinterview: Cem Özdemir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

| VCD Kernforderungen für die Verkehrswende Bundestagswahl 2021

Wenn Sie Verkehrsminister wären – was bringen Sie direkt an Ihrem ersten Arbeitstag auf den Weg?

Cem Özdemir: Zunächst werde ich in den nächsten Wochen alles dafür tun, dass wir als Grüne nach der Wahl in der Verkehrspolitik Verantwortung übernehmen können. Vier weitere Jahre Retroverkehrspolitik à la Dobrindt, Scheuer & Co. möchte ich mir nun wirklich nicht vorstellen. Und dann geht es als erstes darum, die bisherige destruktive Rollenverteilung in der Regierung aufzulösen. Bisher ist es doch so: Das Umweltministerium mahnt Klimaschutz an, das Verkehrsministerium blockiert. Damit machen wir Schluss. Die nächste Regierung wird an eingesparten Tonnen CO2 gemessen werden, und das gilt für jeden einzelnen Bereich. Das heißt auch, dass ich den Klimaschutz innerhalb der einzelnen Ministerien personell und institutionell massiv stärken möchte. Jedes Gesetz, das wir dann auf den Weg bringen, wird den Klimaschutz von Anfang an mitdenken. Um aber auch eine konkrete Einzelmaßnahme zu nennen: Ich würde persönlich alles daransetzen, den Kommunen die Möglichkeit zu geben, Verkehrssicherheitszonen einzurichten, in denen nur noch Lkw mit Abbiegeassistent einfahren dürfen.

Und wenn wir auf die ersten 100 Tage einer neuen Regierung schauen: Der VCD fordert unter anderem, klimaschädliche Subventionen wie Dieselprivileg, Entfernungspauschale oder geldwerten Vorteil bei der Dienstwagennutzung abzuschaffen, eine „digitale Mobilitätsdatendrehscheibe“, über die alle Verkehrsmittel (vom Bus bis zum E-Scooter) gebucht werden können und Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts. Welche drei Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach verkehrspolitisch die wichtigsten?

Cem Özdemir: Verkehrswende heißt natürlich massive Investitionen in Bus, Bahn, sichere Rad- und Fußwege sowie saubere Antriebe. Aber mehr Geld allein reicht eben nicht, zumal das Geld nach Corona lange nicht mehr so sprudeln wird wie in den letzten Jahren. Wir müssen daher endlich ran an die Strukturen. Drei Aufgabenpakete sind für mich zentral: Nummer 1 heißt weg mit den klimaschädlichen Subventionen. Das betrifft unter anderem das angesprochene Dieselprivileg. Zweitens brauchen wir endlich eine langfristige und sichere Finanzierung nachhaltiger Verkehrsinfrastruktur nach dem Prinzip „Verkehr finanziert Verkehrswende“. Drittens mache ich mich stark für eine Art neue Verfassung für die Straße, die alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt mitdenkt, also auch auf dem Rad und zu Fuß.

Was halten Sie vom Bundesmobilitätsgesetz, das der VCD vorgeschlagen hat? Warum setzen Sie sich dafür ein bzw. warum nicht?

Cem Özdemir: Das ist genau das, was ich meine, wenn ich von einer neuen Verfassung für die Straße spreche. Traditionell ist unsere Verkehrsgesetzgebung, vom Bundesverkehrswegeplan bis zur Straßenverkehrsordnung, auf möglichst flüssigen Autoverkehr ausgelegt. Wer vor Ort etwas ändern will, zum Beispiel Tempo 30 oder neue Fahrradstraßen, muss das erstmal umständlich begründen. Ich will aber nicht, dass immer erst etwas passieren muss, damit gehandelt werden darf, ich will gestalten. Wir brauchen eine moderne Denke und mehr Platz für alles, was emissionsfrei unterwegs ist. Das ist ein dickes Brett, aber bohren lohnt sich.

Stichwort Generationengerechtigkeit beim Thema Klima: Wenn Sie Ihre Verkehrspolitik umsetzen können, was werden Menschen im Jahr 2050 sagen, wenn sie über unser Jahrzehnt sprechen?

Cem Özdemir: Ich werde alles dafür tun, dass sie sagen: „Hey, die haben das Ruder in den 20ern echt herumgerissen und Verkehrswende gemacht. Nach 12 Jahren CSU im Verkehrsministerium einfach eine Hammer Leistung!“ Verkehrswende heißt nichts anderes als klimafreundliche Modernisierung unseres Landes. Die Menschen im Jahr 2050 profitieren dann hoffentlich von einem modernen, breit ausgebauten Schienennetz in der Fläche, sicheren Rad- und Fußwegen und emissionsfreien Antrieben, die sie in die ganze Welt liefern. 

Sind Sie schon klimafreundlich unterwegs, fahren Sie Dienstrad oder -wagen? Woran hapert es?

Cem Özdemir: So oft, wie es geht, fahre ich mit meinem Pedelec. Das hat den Vorteil, dass ich auch im Hochsommer ohne Schwitzen zu Terminen komme, die Anzug und Krawatte erfordern. Davon haben alle was. (lacht)

Wie beschreiben Sie die Mobilität der Zukunft? In drei Worten!

Cem Özdemir: Klimafreundlich, bezahlbar, für alle.

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