Radweg Markierung

Klage gegen die Berliner Pop-up Bike-Lanes

Ist die Verkehrswende eine Frage der Auslegung?

Innerhalb kürzester Zeit sind in Berlin 25 Kilometer neue Radwege entstanden, was der Hauptstadt in den letzten Monaten internationale Aufmerksamkeit verschafft hat. Mit Verweis auf die Corona-Pandemie und den dafür einzuhaltenden Sicherheitsabstand hatte die Berliner Verkehrsverwaltung seit dem Frühjahr verstärkt angeordnet, Radfahrer*innen im Straßenverkehr mehr Platz einzuräumen. Teilweise wurden ganze Autospuren durch temporäre Radfahrstreifen ersetzt - ein großer Schritt, um städtische Flächen gerechter unter allen Verkehrsteilnehmenden zu verteilen und Alltagswege mit dem Fahrrad sicherer zu gestalten. Jetzt hat die Berliner AfD-Fraktion gegen acht der insgesamt 17 sogenannten Pop-up Bike-Lanes geklagt. Gibt die heutige Gesetzgebung mehr Handlungsspielraum, um die Verkehrswende zu blockieren, als sie voranzutreiben?

| Bundesmobilitätsgesetz Radverkehr

Eilantrag erklärt Pop-up Radfahrstreifen für rechtswidrig  

Anfang September erreichte das Berliner Verwaltungsgericht ein Eilantrag der Berliner AfD-Fraktion. In diesem wird darauf hingewiesen, dass acht der in der Hauptstadt eingerichteten Pop-up Bike-Lanes nicht rechtskonform seien. Begründet wurde die Klage damit, dass die Berliner Verkehrsverwaltung für keinen dieser Radfahrstreifen den Nachweis einer genauen Gefahrensituation für Radfahrer*innen vorgelegt habe. Diese ist laut § 45 Abs. 9 S. 3 StVO notwendig, wenn die Maßnahme mit einer Beschränkung des fließenden Verkehrs einhergeht. Für einige Ausnahmen – wie z.B. das Einrichten von Radfahrstreifen – gilt dies jedoch nicht. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte dem Antrag trotzdem zugestimmt und bei „fließendem Verkehr“ wohl nur an den Pkw-Verkehrsfluss gedacht.  

Vorerst bedeutet der Beschluss nicht, dass die acht betroffenen Radfahrstreifen wieder abgebaut werden müssen. Die Berliner Verkehrsverwaltung hat Beschwerde gegen den Beschluss vor dem Oberverwaltungsgericht eingelegt und somit geht es erstmal weiter zur nächsten Instanz.

So steht es in der StVO: 㤠45 Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen

(9) Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. 2Dabei dürfen Gefahrzeichen nur dort angeordnet werden, wo es für die Sicherheit des Verkehrs erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht mit ihr rechnen muss. 3Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

4Satz 3 gilt nicht für die Anordnung von (…) Radfahrstreifen innerhalb geschlossener Ortschaften“

Die Begründung liegt auf der Hand

Dass eine Gefahrensituation durch die Verkehrsverwaltung nicht ausreichend begründet wurde bedeutet keineswegs, dass an den einzelnen Straßen keine Gefahr besteht. Eine Auswertung des Tagesspiegel-Projekts „Radmesser“ aus dem Jahr 2018 zeigt auf: An den acht Stellen, an denen nun provisorisch temporäre Radfahrstreifen eingerichtet worden sind, werden Fahrradfahrende gewöhnlich viel zu eng überholt. Der durch die Straßenverkehrsordnung festgeschriebene Überholabstand von 1,5 Metern wurde von mehr als der Hälfte der Autofahrenden nicht eingehalten. Das gefährlichste Beispiel stellt die Kantstraße in Berlin dar: Nur 31 % hielten sich hier an die Abstandsregelung.   
 
Angesichts der jährlichen Zahl an Verunglückten und Verkehrstoten scheint es geradezu absurd, dass mit einer Klage auf einen Mangel an Gefahrensituationen verwiesen wird. Die Bundesregierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag zu „Vision Zero – Null Verkehrstote“ bis 2050 verpflichtet – dieses Ziel ist bei Weitem nicht erreicht.  Allein in Berlin sind in diesem Jahr bereits 14 Radfahrer*innen im Straßenverkehr gestorben.   

Die Gesetzgebung im Mobilitätsbereich ist reformbedürftig  

Gesetze im Verkehrsbereich sollten die Zukunft der Mobilität gestalten und die Verkehrswende unterstützen, anstatt sie zu hemmen. Auch wenn der Antrag der AfD voraussichtlich abgelehnt wird, der Fall macht deutlich: Gesetze im Verkehrsbereich können und werden aktuell so ausgelegt, dass sie der Verkehrswende Steine in den Weg legen.  

Die einzigen Bezugspunkte, die die heutige Straßenverkehrsordnung vorgibt, um ein neues Verkehrswende-Projekt zu begründen, sind neben zeitlich begrenzten Modellversuchen der Verweis auf die Gefahrenabwehr und den Beitrag zur Flüssigkeit des Verkehrs. Letzteres wird jedoch fast ausschließlich als Flüssigkeit des Autoverkehrs ausgelegt. Der Verweis, dass eine Stadt oder Ortschaft durch eine bestimmte Maßnahme im Sinne der Verkehrswende insgesamt an Sicherheit gewinnt, ist generell nicht ausreichend. Damit wird den Kommunen durch die Gesetzeslage und deren geläufige Auslegung deutlich erschwert, proaktiv für die Sicherheit von Radfahrer*innen einzutreten. 

In der Realität existieren jedoch viele weitere relevante Begründungen für Radwege, die Umnutzung von Parkplätzen oder die Einrichtung von Busspuren – sie tragen zu weniger Lärm, zur Luftreinhaltung, zum Klimaschutz und mehr bei. Auf diese Begründungen kann sich nach aktueller Rechtslage allerdings nicht berufen werden, da sie nicht als Zielgrößen in der Straßenverkehrsordnung oder anderen Gesetzen, die den Verkehr betreffen, verankert sind.

Übergeordnete Ziele wie Vision Zero auf Bundesebene rechtlich festsetzen  

Entscheidungen sollten im Sinne der Mobilität für Menschen getroffen werden. Dazu gehört auch, „Vision Zero – Null Verkehrstote“ als übergeordnetes Ziel bei allen Planungen und Maßnahmen im Verkehrsbereich rechtlich festzuschreiben. Dann können auch Gerichte ihre Entscheidungen zugunsten der Sicherheit der besonders verletzlichen Verkehrsteilnehmenden besser ausrichten. Bereits seit Jahren setzen sich der VCD und weitere Akteur*innen dafür ein, dass der Leitsatz „Vision Zero“ in der StVO festgeschrieben wird.   

Der VCD geht jetzt einen Schritt weiter und verfolgt mit einem Bundesmobilitätsgesetz den Ansatz, die Verkehrswende als Ganzes rechtlich zu verankern. Ein Bundesmobilitätsgesetz würde Ziele des Gemeinwohls – neben der „Vision Zero“ auch weitere wie Klima- und Umweltschutzziele – über alle Gesetze, die den Verkehr betreffen, stellen. Einzelgesetze wie die Straßenverkehrsordnung würden mit dem Bundesmobilitätsgesetzes verknüpft werden.   

Dies schafft perspektivisch die Grundlage, dass Verkehrsgesetze von den Gerichten im Sinne der Verkehrswende ausgelegt werden. Ein Bundesmobilitätsgesetz gibt damit Kommunen und Bundesländern den nötigen und auch klaren Handlungsspielraum, um Maßnahmen proaktiv für eine klimaschonende und sichere Mobilität voranzutreiben.    

Die Verkehrswende braucht auch eine Veränderung in den Köpfen  

Letztlich bleibt es jedoch dabei: Auch zukünftig können Gesetze immer unterschiedlich ausgelegt werden. Deshalb braucht es auch eine Veränderung in unseren Köpfen - nicht nur bei allen Verkehrsteilnehmer*innen sondern insbesondere bei Richter*innen, die letztlich ihre Entscheidungen gegen oder im Sinne der Verkehrswende treffen.   

Vera Storre

ist Trainee für politische Kommunikation und klimafreundliche Verkehrspolitik
vera.storre@vcd.org

zurück

Cookie-Einstellungen ändern