Wenn wir über Mobilität und Verkehrswende sprechen, dann fordern wir aus ökologischen Gründen oft weniger Verkehr, weniger Auto fahren oder Fliegen oder Pendeln. Dabei vergessen wir häufig, dass es auch Menschen gibt, die gerne mobiler wären, aber das aus den verschiedensten Gründen nicht können, und die deshalb von Teilen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen sind.
Verkehrswende heißt für uns, dass wir Mobilität neu denken müssen. Das heißt, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, sein Bedürfnis nach Mobilität zu befriedigen, und dort, wo das nur durch physische Ortsveränderung möglich ist, entsprechende ökologische Angebote bereit zu stellen.
Eine sozial gerechte Verkehrswende bedeutet selbstbestimmte Mobilität für alle
Mobil zu sein bedeutet, in Bewegung zu sein – sowohl im Raum als auch im Kopf. Wir wollen zur Arbeit, zum Sport oder zum Einkaufen, uns mit anderen Menschen treffen oder Zeit in der Natur verbringen. Dafür brauchen wir den Verkehr, mit dem wir uns fortbewegen können. Der Verkehr ist also kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um unsere Mobilitätsbedürfnisse zu befriedigen und zu den Orten zu gelangen, an denen Aktivitäten stattfinden und an ihnen teilzunehmen.
Mobilität ist also weit mehr als nur Verkehr von A nach B, sondern die Grundvoraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben. Das heißt auch, dass Menschen, die nicht mobil sein können, viele gewünschte Aktivitäten nicht ausführen können.
Was bedeutet Mobilitätsarmut?
Als Mobilitätsarmut wird die Einschränkung des Möglichkeitsraums für Ortsveränderungen bezeichnet, die eine geringe Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zur Folge hat.1
Beim Begriff der Mobilitätsarmut steht der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Wahrnehmungen im Mittelpunkt. Das heißt Mobilitätsarmut beschreibt die Einschränkung von Möglichkeiten zur Ortsveränderung, was dazu führen kann, dass Menschen sich ausgeschlossen fühlen. Das kann so weit gehen, dass Menschen, die seit langem unter finanziellen Einschränkungen leiden, langzeitarbeitslos sind oder aus anderen Gründen wenig Möglichkeiten haben, mobil zu sein, Mobilität überhaupt nicht mehr denken können und sich eine größere Ortsveränderung gar nicht mehr vorstellen können. Eine Folge davon ist oft eine geringere Teilhabe am öffentlichen, gesellschaftlichen Leben. Andererseits gibt es auch jene, deren Wunsch nach Mobilität weit über ihren tatsächlichen Aktionsraum hinausgeht – sie leiden besonders unter ihrer eingeschränkten Mobilität.1
Was sind Ursachen von Mobilitätsarmut?
Warum Menschen von Mobilitätsarmut betroffen sind, kann unterschiedliche Gründe haben. Fehlende finanzielle Mittel, um sich den eigenen Wünschen entsprechend fortzubewegen, sind dabei zwar eine wichtige, aber bei Weitem nicht die einzige Hürde, die Menschen daran hindert mobil zu sein.2
Die räumliche Ebene: sie gelangen nicht dorthin, wo sie hin müssen oder wollen
Zu den räumlichen Hindernissen für Mobilität zählen eine schlechte Anbindung an den ÖPNV durch fehlende oder schlecht erreichbare Haltestellen, eine unpassende Linienführung und fehlende Umsteigemöglichkeiten sowie schlechte Bedingungen für Rad- und Fußverkehr.
Die zeitliche Ebene: sie gelangen dort nicht in einem angemessenen Zeitrahmen hin
Auch zeitliche Hindernisse können zu Mobilitätsarmut beitragen, wenn etwa der persönliche Tagesablauf und die Verkehrszeiten des ÖPNV nicht zu einander passen. Hinzu kommen eine generell schlechte Anbindung durch zu geringe Netz- und Taktdichte.
Die finanzielle Ebene: sie können sich die notwendige Bewegung nicht leisten
Mobil zu sein kostet Geld, daher können sich manche schlicht nicht leisten, einen größeren Aktionsradius zu haben, oder sie müssen Einschränkungen in anderen Lebensbereichen hinnehmen, um Mobilität zu finanzieren.
Die persönliche Ebene: sie sind körperlich oder geistig nicht in der Lage, die vorhandenen Verkehrsmittel zu nutzen
Auch persönliche Hindernisse können zu Mobilitätsarmut führen, die bei der Verkehrsplanung bisher noch zu wenig berücksichtigt werden. Dazu gehören körperliche Einschränkungen, die bei baulichen Barrieren wie Treppen, Hindernissen auf Bahnsteigen, schlechten Fußwegen und fehlenden Leitsystemen für sehbehinderte und ältere Menschen zum Problem werden. Aber auch subjektive Wahrnehmungen können erhebliche Hürden darstellen: Angsträume, in denen ein Gefühl der Bedrohung und Unsicherheit entsteht, vor allem bei Frauen*, Kindern und älteren Menschen, schlechte Erfahrungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, oder Sprach- und Verständigungsprobleme und kulturelle Aspekte. Auch fehlende Informationen und zu komplizierte Netzpläne und Ticketsysteme können die Mobilität einschränken3.
Die partizipative Ebene: fehlenden Partizipation der Betroffenen an Planung, Betrieb und Management des Verkehrs
Hinzu kommt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen, die sich ohnehin selten öffentlich artikulieren, auch nicht an Planung, Betrieb und Management des Verkehrs beteiligt werden und ihre Ansprüche und Wünsche oft nicht bekannt und erfasst sind. Das führt dazu, dass diese Menschen und ihre Bedürfnisse auch bei denr zukünftigen Planungen nicht vorkommen, und das zukünftige Verkehrssystem nach den Bedürfnissen der bereits gut hör- und sichtbaren Nutzergruppen ausgerichtet wird. Die Wege, die Menschen aus verschiedenen Gründen nicht zurücklegen (können), aber gerne würden, werden so nicht erfasst und können auch zukünftig nicht berücksichtigt werden. Soll Mobilitätsarmut nicht fortgeschrieben werden, müssen also bei der Verkehrs- und Raumplanung viel mehr die Mobilitätsbedürfnisse marginalisierter Gruppen berücksichtigt werden4.
Fazit
Mobilitätsbedürfnisse von Menschen sind so individuell wie die Menschen selbst, und sie sind subjektiv. Das heißt auch, dass Mobilitätsarmut nicht allein durch Senkung von Fahrpreisen im ÖPNV gelöst werden kann, sondern für manche Menschen eher mehr Haltestellen, höhere Frequenzen oder kürzere Reisezeiten von größerer Bedeutung wären. Manchmal reicht auch eine bessere Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz allein nicht aus. Wenn es vor Ort zum Beispiel Lastenräder gibt, die kostenlos ausgeliehen werden können, aber die Information nicht die erreicht, die sie benötigen, braucht es andere Wege, dies weiterzutragen, etwa durch eine neue Form der Mobilitätsberatung.
Eine integrierte Verkehrsplanung muss diese individuellen Bedürfnisse und Unterschiede berücksichtigen, das heißt, sie darf nicht eindimensional auf objektive Maßstäbe wie zurückgelegte Personenkilometer schauen. Maßstab sollte stattdessen die ermöglichte Teilhabe an der Gesellschaft sein.5
Viele Forderungen für eine Verkehrswende aus ökologischer Sicht tragen dazu bei, Mobilitätsarmut zu verringern. Ein gut ausgebauter ÖPNV, der bezahlbar, einfach zugänglich und barrierefrei ist, und ein gut ausgebautes Rad- und Fußwegenetz verringern die Dimensionen von Mobilitätsarmut. Der Zugang zu Mobilität bedeutet auch an der Gesellschaft teilhaben zu können.
Unsere Forderungen für weniger Mobilitätsarmut und eine sozial gerechte Verkehrswende:
- Räumlich: gut ausgebauter, für alle erreichbarer ÖPNV, Anbindung auch von ländlichen Gebieten, gut ausgebautes Rad- und Fußwegenetz
- Zeitlich: Höhere Taktdichte auch in ländlichen Gebieten und zu Randzeiten
- Finanziell: ÖPNV ist bezahlbar
- Persönlich: ÖPNV ist barrierearm, Ticketsysteme und Netzpläne sind einfach verständlich
- Partizipativ: auch marginalisierte Bevölkerungsgruppen werden bei der Verkehrsplanung einbezogen
Soziale Verkehrswende bedeutet, dass alle Menschen ihre Mobilitätsbedürfnisse befriedigen können, ohne Klima und Umwelt zu belasten.
[1] Daubitz, Stephan (2016): Mobilitätsarmut: Die Bedeutung der sozialen Frage im Forschungs- und Politikfeld Verkehr. In: Schwedes, Oliver/Canzler, Weert/Knie, Andreas (Hrsg.): Handbuch Verkehrspolitik. Springer VS. Wiesbaden. S. 433-447
[2] Die Ursachen von Mobilitätsarmut siehe Runge, Diana (2005): Mobilitätsarmut in Deutschland? IVP-Schriften 06. TU Berlin. https://digital.zlb.de/viewer/api/v1/records/33661395/files/pdf/MobilitAtsarmut.pdf
[3] Daubitz, Stehan (2020): „Das ist für mich undurchschaubar“ - Öffentliche Mobilität muss bezahlbar und verständlich sein (https://mobileinclusion.projects.tu-berlin.de/mi/das-ist-fuer-mich-undurchschaubar/)
[4] Huber, Kerstin (2016): Ermittlung von Mobilitätsbedürfnissen bei sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Masterarbeit am Lehrstuhl für Verkehrsökologie, TU Dresden (2015). In: Verkehrsökologische Schriftenreihe 1/2016. (https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-199074)
[5] Aberle, Christoph (2018): Der Zusammenhang zwischen Armut, Gesundheit und Mobilität (https://mobileinclusion.projects.tu-berlin.de/mi/gesundheit-mobilitaet/)
Kontakt
Katharina Klaas
ist Projektbearbeiterin für das Projekt »Verkehrswende: klimaverträglich und sozial gerecht«