Ingrid Remmers (DIE LINKE) im Interview

„Wir brauchen ein Moratorium für den Neu- und Ausbau von Bundesautobahnen“

Im Vorfeld der Bundestagswahl haben wir Expert*innen der fünf großen Parteien zum Thema Verkehrspolitik befragt: Wie sieht für sie die Mobilität der Zukunft aus? Was würden sie tun, wenn sie Verkehrsminister*in wären? Und wie stehen sie zum Bundesmobilitätsgesetz? Heute im Kurzinterview: Ingrid Remmers von DIE LINKE

| VCD Kernforderungen für die Verkehrswende Bundestagswahl 2021

Ingrid Remmers verstarb am 9. August 2021 im Alter von 56 Jahren.

Wenn Sie Verkehrsministerin wären – was bringen Sie direkt an Ihrem ersten Arbeitstag auf den Weg?

Ingrid Remmers: Ich werde ein Moratorium für den Neu- und Ausbau von Bundesautobahnen verkünden und die Autobahn GmbH des Bundes anweisen, alle entsprechenden Planungen sofort zu stoppen. In einem zweiten Schritt werde ich überprüfen lassen, welche in Bau befindlichen Projekte gestoppt werden können. Dieses Moratorium brauchen wir, um in Ruhe den Bundesverkehrswegeplan, das Fernstraßenausbaugesetz, grundlegend zu reformieren. Wir brauchen einen Bundesmobilitätsplan, der sich an den politischen Zielen – wie sie im Vorschlag des VCD für ein Bundesmobilitätsgesetz in den zehn Leitzielen sehr gut formuliert sind – ausrichtet und sich diesen unterordnet. Verkehrspolitik, die einem vermeintlichen Bedarf den Asphalt oder Beton bereitet, muss in Zeiten des dramatischen Klimawandels endlich der Vergangenheit angehören.

Und wenn wir auf die ersten 100 Tage einer neuen Regierung schauen: Der VCD fordert unter anderem, im Straßenverkehr die direkte Stromnutzung E-Fuels und Biokraftstoffen vorzuziehen und Plug-In-Hybride nicht mehr weiter zu fördern, eine nationale Fußverkehrsstrategie sowie eine „digitale Mobilitätsdatendrehscheibe“ zu erarbeiten, über die alle Verkehrsmittel (vom Bus bis zum E-Scooter) gebucht werden können. Welche drei Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach verkehrspolitisch die wichtigsten? 

Ingrid Remmers: Neben dem Straßenbaumoratorium halte ich die Frage der Antriebstechnik in der Tat für die zentrale politische Entscheidung. Obwohl ein Wechsel des Antriebs vom Verbrenner zu reinen Elektrofahrzeugen bei weitem noch keine Verkehrswende ausmacht – wir brauchen weniger Straßenverkehr, weniger Autos und diese müssen kleiner und leichter statt immer schwerer werden – tobt hier die intensivste politische Auseinandersetzung. ADAC, Union, FDP und AfD setzen allesamt auf „Technologieoffenheit“, meinen damit aber letztlich, alles kann bleiben wie es ist, und den unbegrenzt verfügbaren grünen Strom für die nur ein Fünftel so effizienten synthetischen Kraftstoffe importieren wir eben von irgendwoher, bevorzugt aus der Wüste. Mit dieser Argumentation soll die Verkehrswende überflüssig gemacht werden. Deswegen will ich hier alle Pflöcke so einschlagen, dass nicht nur Plug-In-Hybride und Biokraftstoffe, sondern vor allem die Brennstoffzelle und die synthetischen Kraftstoffe bei Pkw keine Option mehr sind. Spätestens 2030 muss es ein Neuzulassungsverbot für Verbrenner geben, sonst ist Klimaneutralität nicht mehr zu schaffen. Zum Glück scheint die Industrie mittlerweile deutlich weiter zu sein als das konservative politische Lager.

Was halten Sie vom Bundesmobilitätsgesetz, das der VCD vorgeschlagen hat? Warum setzen Sie sich dafür ein bzw. warum nicht? 

Ingrid Remmers: Das vom VCD vorgeschlagene Bundesmobilitätsgesetz wäre ein sehr sinnvoller gesetzlicher Rahmen für die Verkehrswende, an dem ich nur im Detail kleinere Kritik habe – aber nicht im Grundsatz. So gebe ich zu Bedenken, dass die organisatorische Neuordnung mit dem Bundesamt für Verkehr, so sinnvoll diese sein mag, die Verkehrspolitik zu lange binden könnte, wir aber sofort mit der Verkehrswende richtig loslegen müssen. Zudem finde ich das Kapitel zur Finanzierung nicht überzeugend, das muss nicht zwingend in dieses Gesetz. Insbesondere gegen eine Pkw-Maut haben wir als LINKE grundsätzliche Bedenken, denn aus Datenschutzgründen wollen wir keine flächendeckende Überwachung aller Pkw. Vor allem darf aber aus sozialen Gründen die Verkehrswende nicht vorrangig über Preise, also über eine verteuerte Mobilität, gestaltet werden, sondern muss zielgerichtet sein. Insbesondere die Dienstwagenbesteuerung halte ich für dringend reformbedürftig – fast 50 Prozent der Dienstwagen stehen den reichsten 20 Prozent der Bevölkerung zur Verfügung.

Stichwort Generationengerechtigkeit beim Thema Klima: Wenn Sie Ihre Verkehrspolitik umsetzen können, was werden Menschen im Jahr 2050 sagen, wenn sie über unser Jahrzehnt sprechen?

Ingrid Remmers: Es wurde der Jahrhundertschritt geschafft, sich von den fossilen Antrieben zu lösen und gleichzeitig wurden Menschen mobiler. Sie bewegen sich mehr, leben gesünder und sind auch unabhängiger. Die Innenstädte sind weitgehend von Autos befreit, Radfahren und Zufußgehen sind attraktiv und sicher – die Städte gehören wieder den Menschen.
Wir wollen Mobilität für alle gewährleisten, unabhängig vom Einkommen und dem Besitz eines Autos. Fern- und Nahverkehrszüge der Bahn bieten dank des Deutschlandtakts und ergänzt durch Fern- und Regiobusse sowie den ÖPNV ein flächendeckendes Netz des öffentlichen Verkehrs, der selbstverständlich vollständig barrierefrei ist. Eine Mobilitätsgarantie gewährleistet auch im ländlichen Raum eine Anbindung an die nächste Stadt mindestens im Stundentakt von 6 bis 22 Uhr. Flexible Angebote wie Bürgerbusse oder öffentliche Anruf-Sammeltaxis und der neue öffentliche Linienbedarfsverkehr, der oft von Taxen übernommen wird, ergänzen das Mobilitätsangebot. An den Haltepunkten gibt es Mobilitätsstationen mit geteilten Verkehrsmitteln. Unser Ziel ist der solidarisch finanzierte Nulltarif im ÖPNV für alle.

Sind Sie schon klimafreundlich unterwegs, fahren Sie Dienstrad oder -wagen? Voran hapert es? 

Ingrid Remmers: Von meinem Wohnort im Wahlkreis in Nordrhein-Westfalen zu den Sitzungswochen des Bundestages bin ich selbstverständlich immer mit dem Zug gefahren. Fahrrad kann ich wegen meiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen leider nicht mehr fahren, obwohl ich das immer gern getan habe. Deswegen bin ich in Berlin mit dem Nahverkehr, aber manchmal auch mit der Fahrbereitschaft des Bundestages unterwegs. Für meine Wahlkreistermine in NRW und privat nutze ich durchaus öfters meinen Pkw. Da der ÖPNV nicht so gut ausgebaut ist und ich gesundheitlich eingeschränkt bin, bin ich darauf leider angewiesen. Gerade deshalb aber setze ich mich politisch dafür ein, dass alle Menschen auch ohne eigenes Fahrzeug mobil sein können, um den vor allem im ländlichen Raum vorhandenen „Zwang zum Auto“ abzuschaffen.

Wie beschreiben Sie die Mobilität der Zukunft? In drei Worten!

Ingrid Remmers: Klimaneutral, barrierefrei und sicher für alle Nutzer*innen!

zurück

Cookie-Einstellungen ändern