Dank Fußverkehrschecks besser zur Haltestelle kommen

Ein dichter Takt mit Bus- und Bahn allein bringt die Menschen noch nicht zum Ziel und Barrierefreiheit beginnt nicht erst an der Bahnsteigkante. Der Weg zur Haltestelle ist ein großer und noch zu wenig berücksichtigter Aspekt eines starken ÖPNV. Wo Schwächen, Mängel und Potentiale der Fußwege liegen, können Fußverkehrschecks aufdecken. In Berlin hat das Projekt „Zu Fuß zur Haltestelle“ Wege gemeinsam mit Fußgänger*innen gecheckt.

„Wenn man ortsfremd ist, ist es häufig unmöglich, sich auf dem Weg zur Haltestelle zu orientieren, ebenso wie beim Umsteigen und Aussteigen. Es müsste vielmehr Wegweiser geben“, sagt Jette, eine Studentin, die vor Kurzem nach Berlin gezogen ist, beim Fußwegecheck mit dem Team des VCD. In solchen Checks prüft der VCD beispielhaft Wege in mehreren Städten Deutschlands auf Sicherheit, Barrierefreiheit, Orientierung und Aufenthaltsqualität, zuletzt in Berlin. Viel zu selten gab es beim Check in Berlin zum Beispiel sichere Querungen, ein hindernisfreies Haltestellenumfeld oder Orientierungshilfen.

In Berlin wurden in den letzten Wochen drei ganz unterschiedliche Wege beispielhaft anhand einer Checkliste untersucht und Interviews mit Fußgänger*innen durchgeführt. Die Routen befanden sich sowohl in zentraler als auch in peripherer Lage in Berlin-Friedrichshagen, Mitte und Friedrichshain. Bei den Checks ließ sich das VCD-Team von einem Senior, einem Rollstuhlnutzer und zwei Studierenden begleiten, die in den Quartieren leben. Sie sind die Vor-Ort-Experten die sich am besten mit ihren Wegen auskennen. Nach der fachlichen Prüfung der Route vom Projektteam, fand eine gemeinsame Begehung statt. So konnten die Personen ihre persönlichen Eindrücke und täglichen Mobilitätserfahrungen schildern und am Beispiel illustrieren.

Breite belebte Hauptstraßen reichen nicht aus

Berlin ist für seine breiten Gehwege bekannt. Tatsächlich kamen alle drei Checks zu dem Ergebnis, dass die Hauptstraßen komfortabel und gut begehbar sind. Fußgänger*innen haben ausreichend Platz um sich zu zweit, mit Gehstock, Kinderwagen, Rollstuhl oder Rollator zu bewegen. Gehen und verweilen wird als angenehm empfunden, weil die Hauptstraßen Aufenthaltspunkte bieten und durch die Geschäfte im Erdgeschoss belebt werden. Breite belebte Straßen erhöhen auch die Qualität des Haltestellenbereichs: Bus- und Straßenbahnhaltestellen bieten ausreichend Platz. Oft sind sie mit angenehmen Wartehäuschen ausgestattet, in denen Fahrgäste über ihre Reisemöglichkeiten gut informiert werden.

Die Hauptwege- und die Qualität der Haltestellen wurde überwiegend positiv bewertet. Jedoch bestehen auch einzelne aber schwerwiegende Mängel. Besonders Verkehrslärm auf Hauptstraßen und fehlende Straßenbeleuchtungen senken die Aufenthaltsqualität und somit die Akzeptanz der Fußgänger*innen für längere Strecken zur Haltestelle. „Für ältere Menschen sind Wege in Dunkeln kein Vergnügen“, sagte unser Vor-Ort-Experte Wolfgang.

Mangel an Orientierung und Barrieren für Menschen mit Behinderung

Eine Erkenntnis ist der ständige Mangel an Orientierungshilfe und Wegweisungzum ÖPNV für Fußgänger*innen. Oft sind selbst die Straßennamen schwer aufzufinden, gerade in langen Hauptstraßen. Sowohl auf den Wegen als auch an den Haltestellen fehlt es an Umgebungsplänen oder Schildern, die auf die unmittelbare Umgebung hinweisen.

Deutlich wurde auch, dass die Wege viele Barrieren und Hindernisse gerade für mobilitätseingeschränkte Menschen haben. Auf allen Gehwegen sowie an den meisten Querungen gab es keine taktilen Bodenindikatoren für sehbehinderte Menschen. Darüber hinaus ist der Zustand der Oberfläche oft schlecht für Rollator- und Rollstuhlnutzende, besonders in Nebenstraßen. Dadurch wird die Begehung auch für ältere Menschen erschwert und als unsicher empfunden, wie uns Vor-Ort-Experte Wolfgang erzählte: „Die Fußwegqualität auf den Seitenstraßen ist streckenweise sehr schlecht. Sie sind auch oft zu schmal. Die letzten Meter sind schwierig.“ Nach der Meinung von Frank, ein zwanzigjähriger Student, gibt es überall Stolpergefahr in Berlin, die nicht so einfach wie in anderen Städten gemeldet und dann gepflegt werden. „Als junger Mensch ist das nicht so ein großes Problem aber später wird es schwierig“, meinte er.

Auch vermeintlich barrierefreie Haltestellen enthalten Barrieren. Sie sind zwar durch Bordkantenabsenkung und taktile Bodenführung barrierearm gestaltet. Dennoch sind die Informationen nicht behindertengerecht angebracht: Fahrpläne hängen zu hoch für Rollstuhlnutzende oder für Kinder. Die Informationen sind weder mit akustischer Ansage noch in Brailleschrift angebracht. An Bahnhöfen fehle oft die benötigte Information für die Reise mit dem Rollstuhl, erklärte uns Vor-Ort-Experte Alex, der im Rollstuhl unterwegs ist. In U-Bahn-Stationen zum Beispiel müsse er meist an die Spitze des Zuges einsteigen. Wenn er mit dem Fahrstuhl runterkomme, gibt es aber keine Information dazu, in welche Richtung er müsse. So verpasse er oft die nächste Bahn. Dieser Zeitverlust führe dazu, dass er hauptsächlich das Auto nutzt, weil eine derartige zeitliche Flexibilität im beruflichen und familiären Alltag schwer realisierbar sei. Daher sei es wichtig, dass man ein Design für alle kreiert. Alex meint: „Der Begriff „Barrierefreiheit“ ist auch so zu verstehen, dass nicht ich mich der Umwelt anpassen muss, sondern die Umwelt für alle Menschen gestaltet wird. Wir sind behinderte Menschen, weil wir eben von unserer Umwelt behindert werden.“

Objektive und subjektive Unsicherheit beim Queren

Die Verkehrssicherheit wurde als schwach bewertet. Vor allem beim Überqueren von Straßen fühlen sich viele Fußgänger*innen unsicher. An vielen Orten fehlt es an Querungsanlagen wie Mittelinseln und Zebrastreifen, um ein sicheren Weg auf die andere Straßenseite zu ermöglichen. „Wildes Queren“, besonders in der Nähe von Haltestellen, wurde viel beobachtet. Andererseits stellen die vorhandenen Querungsanlagen Hemmnisse und gefährliche Situationen dar. Die Mehrheit ist nicht barrierefrei und mehr als die Hälfte der Grünphasen an Ampeln sind für Kinder, ältere oder mobilitätseingeschränkte Menschenzu kurz. Daraus entstehen gefährliche Situationen sowie ein Unsicherheitsgefühl bei den Menschen auf ihrem Weg zur Haltestelle: Senior und Vor-Ort-Experte Wolfgang sagte uns im Gespräch: „Die Autofahrer, die unter der S-Bahn Brücke durchfahren, sind schon ziemlich genervt, dass die Fußgänger sich hier auf der Fahrbahn befinden. Aber die grüne Phase ist sehr kurz. Ältere Leute fangen auch schon mal an schnell zu laufen.“ Das Problem des Querens in der Stadt betonnten auch jüngere Fußgänger*innen. Die Studentin Jette meint: „Als Fußgängerin wünsche ich mir mehr Zebrastreifen. Vor allem, wenn hier alles zugeparkt ist und man sich zwischen den Autos durchschlängeln muss, um über die Straße zu kommen.“

Bessere Wege zur Haltestelle

Die beispielhaften Checks machen deutlich, dass es Orientierungshilfen für Fußgänger*innen, ein „Design für Alle“ gerade rund um Haltestellen, barrierefreie Wege und mehr Möglichkeiten Straßen geschützt zu überqueren braucht. Dafür ist es zunächst notwendig, dass es mehr Personal für den Fußverkehr in der Stadtverwaltung gibt. Zukünftig müssen Fußverkehr und ÖPNV in der Planung zusammen betrachtet werden. So wird das Leben in der Großstadt nicht nur ökologisch nachhaltiger, sondern auch lebenswerter.

Anouk Mayadoux

ist Trainee im VCD-Projekt "Zu Fuß zur Haltestelle".

anouk.mayadoux@vcd.org

 

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