Wenn in den Medien von „der EU“ oder „Brüssel“ die Rede ist, geht oft unter, wer genau für welche Entscheidung verantwortlich ist.

Transport & Environment: Lobby fürs Klima

Was tut die EU im Bereich der Mobilität? Und wie können Umweltverbände ihre Ideen einbringen? Ein Interview mit Julia Poliscanova vom europäischen Verband „Transport & Environment“.

fairkehr: Frau Poliscanova, was tut die EU für die Bürger, etwa wenn es um Emissionsstandards von Fahrzeugen geht?

Julia Poliscanova: Die Kernkompetenz der EU-Institutionen liegt auf der Angebotsseite. Sie legen fest, welche technologischen Standards die Hersteller erfüllen müssen, etwa bei CO2- oder Stick­oxid-Emissionen. Meistens sprechen sich das Europäische Parlament und die Kommission für strengere Regulierungen aus, die dem Stand der Wissenschaft und den Klimazielen entsprechen. Der Europäische Rat – also das Gremium der nationalen Regierungen in Brüssel – weicht diese oft auf.

T&E weist seit Jahren auf die zunehmende Diskrepanz zwischen Laborresultaten und realen Werten von CO2-Emissionen und Spritverbrauch von Autos hin. Wie kann die EU Vertrauen in die Messwerte herstellen?

Zum einen ist das eine Aufgabe für Verbraucherschutzorganisationen. Was die EU betrifft, muss sie sicherstellen, dass die Werte den ganzen Lebenszyklus eines Fahrzeugs spiegeln. Außerdem müssen die Fahrzeuge auf den Straßen getestet werden und nicht nur im Labor. Sowohl für CO2- als auch für NOx-Emissionen ist das technisch möglich. Das ganze Testsystem muss auf den Prüfstand. Bei den Stickoxiden liegt die Überwachung der Einhaltung der Grenzwerte bei nationalen Behörden wie dem Kraftfahrt-Bundesamt. Diese haben oft die Interessen der Industrie über die der Bürger gestellt. Die Kommission hat keine direkte Handhabe, um das zu ändern. Der einzige Weg sind gerichtliche Klagen auf Einhaltung der Grenzwerte, wie wir sie in Deutschland gesehen haben. Bei den CO2-Emissionen ist das anders. Hier wacht die Europäische Umweltagentur über die Einhaltung.

Glauben Sie, ohne die EU gäbe es überhaupt verbindliche Emissionsstandards?

Gute Frage. Wahrscheinlich gäbe es sie in einigen Ländern, in anderen nicht. Der große Vorteil einer EU-weiten Regulierung ist, dass dadurch gleiche Standards im ganzen Wirtschaftsraum gelten. Gäbe es in jedem Land andere Regelungen, würde das zu Mehrkosten führen, die die Produzenten an die Verbraucher weiterreichen würden. Durch die EU-Regelungen kommen Technologien mit höheren Umweltstandards schneller und billiger auf den Markt. Auf der anderen Seite müssen wir es Ländern ermöglichen, freiwillig höhere Standards zu setzen.

Wie kann ein Umweltverband wie T&E gegen die nationalen Industrielobbys ankommen und Verbesserungen für die Lebensqualität der Menschen erreichen?

Es beginnt damit, dass wir verlässliche empirische Daten und gute Argumente in die öffentliche Diskussion einbringen. Wir treten mit diesen auch direkt an Entscheidungsträger in Brüssel heran. Es gibt durchaus Politiker, die dafür empfänglich sind. Außerdem schmieden wir Allianzen mit Verbrauchschutz- und Gesundheitsorganisationen sowie Städten. Aber auch teilweise mit Vertretern der Industrie. Wenn wir mit einer Stimme sprechen, sind wir viel stärker, wenn wir gegenüber der Kommission unsere Argumente vorbringen. Vor einigen Jahren haben wir zum Beispiel die EU-Plattform für Elek­tromobilität gegründet. Inzwischen ist diese zu einer großen Organisation mit 35 Mitgliedern geworden, darunter große Unternehmen wie Nissan, Renault, Tesla oder Siemens. Durch solche Allianzen nimmt die Öffentlichkeit unsere Anliegen verstärkt wahr.

Ebenso wichtig ist der Druck von der Straße. Deshalb fördern wir bürgerwissenschaftliche Messungen der Luftverschmutzung oder Klagen auf Einhaltung der Grenzwerte. Disruptive Aktionen von Bürgern, die Gerechtigkeit von ihren Regierungen verlangen, geben uns viel Rückenwind. Bei Petitionen mit vielen Unterstützern oder größeren Demonstrationen horchen Politiker auf. Diese Art von Kampagnenarbeit wird für uns zunehmend wichtiger.

Was kann die EU aus Ihrer Sicht tun, um ihre Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger besser zu kommunizieren?

Die EU ist auf die Ehrlichkeit und Transparenz ihrer Mitgliedsländer angewiesen. Nationale Politiker verbuchen Fortschritte für sich, auch wenn sie aus Brüssel kommen. Und was unpopulär ist, schieben sie der EU zu, Schon die Rede von „Brüssel“ ist irreführend. Es muss klar kommuniziert werden, wer für welche Entscheidung verantwortlich ist. Das ist nicht zuletzt Aufgabe der Medien.

Im Mai sind Europawahlen, die Wahlbeteiligung ist traditionell niedrig. Wie motivieren Sie unsere Leser, an die Urne zu gehen?

Viele Leitentscheidungen im Umwelt- und Klimaschutz sowie bei der Mobilität werden auf europäischer Ebene getroffen. Das Europäische Parlament hat in einigen Politikbereichen inzwischen größeren Einfluss als so manches nationale Parlament. Deshalb ist es so wichtig, mit seiner Stimme mitzuentscheiden.

 

Transport & Environment

ist die europäische Dachorganisation von 51 Verbänden für nachhaltige Mobilität. Sitz ist Brüssel. Die Organisation trägt die Belange ihrer Mitglieder in die europäische Öffentlichkeit und Politik. Außerdem gibt sie regelmäßig Studien in Auftrag, etwa zu Emissionen des Autoverkehrs. Wie viele europäische Interessenverbände wird T&E von der Europäischen Kommission teilfinanziert. Aus Deutschland sind der VCD, der Nabu und die Deutsche Umwelthilfe Mitglied bei T&E.

Tim Albrecht

schreibt seit 2018 für das fairkehr-Magazin über Mobilitäts- und Umweltthemen. Er ist ein optimistischer Europäer mit transatlantischem Einschlag und liebt Fahrräder, Literatur und Basketball.

Tim.Albrecht@fairkehr.de

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