Technische Hilfsmittel erleichtern die Arbeit in der Autoindustrie. Aber aufgrund der fortschreitenden Automatisierung werden immer weniger Monteurinnen und Monteure benötigt, obwohl Absatz und Umsatz steigen.

Autoindustrie im Wandel

E-Autos, Digitalisierung und Automatisierung verändern in den kommenden Jahren die Anfor­derungen an Beschäftigte in der Autoindustrie. Das gefährdet Jobs und schafft neue Chancen.

| Auto

Die allmähliche Umstellung der Produktion auf Elektrofahrzeuge wird Zehntausende Beschäftigte in der deutschen Autoindustrie ihre Jobs kosten. Davor warnen die Lobbyorganisation Verband der Automobilindustrie, die IG Metall und die Autoren diverser Studien. Mit dem Argument konnte die deutsche Autolobby Forderungen der Partei Bündnis 90/Die Grünen und der Umweltverbände nach einem Zulassungsverbot für Verbrenner in Deutschland ab 2030 abwehren und die Verschärfung der CO2-Grenzwerte in der EU abmildern. Einem Strukturwandel muss sich die Autoindustrie dennoch unterziehen. Das ist für ihr Überleben in Zeiten von Klimaschutz und Digitalisierung notwendig. Den Wandel gilt es so zu gestalten, dass neue Jobs entstehen und möglichst wenige Menschen abgehängt werden.

Für den Bau von Elektroautos benötigen die Hersteller weniger Teile als bei Verbrennern: Mehrgang-Schaltgetriebe, Auspuffanlage samt Katalysator, Tank, Kühler, Kolben und Turbotechnik? Nicht mehr an Bord. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht daher in der im Herbst 2018 veröffentlichten Studie „Elektromobilität 2035“ davon aus, dass bis zum Jahr 2035

114.000 Arbeitsplätze durch die Produktionsumstellung auf E-Autos wegfallen werden. Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann spricht in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung sogar von 160.000 Arbeitsplätzen, die verloren gehen könnten. Derzeit arbeiten in Deutschland 840.000 Menschen bei Autoherstellern und ihren Zulieferern.

Elektroautos deshalb eine Absage zu erteilen, ist keine Option. Denn für den Klimaschutz im Verkehr sind sie neben der Verkehrsverlagerung auf Bus, Bahn und Fahrrad ein wichtiger Baustein. Der Vergleich der Klimabilanz von Benzinern und Dieseln mit E-Autos ist wegen des Energie- und Ressourcenhungers der Batterieproduktion und der Herkunft des Ladestroms schwierig. Studien von „Transport & Environment“, dem europäischen Dachverband des VCD, und des Instituts für Energie- und Umweltforschung belegen aber, dass Elektroautos das Klima bereits heute weniger aufheizen als Verbrenner und dass sich der Effekt verstärkt, wenn Akkus mit grünem Strom hergestellt und geladen werden.

Neue Jobs schaffen

Zudem haben viele Länder, in die VW, Daimler, BMW und Co. ihre Fahrzeuge exportieren, beschlossen, die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren in den kommenden Jahrzehnten zu verbieten: Norwegen ab 2025, Indien, die Niederlande und wohl auch China ab 2030, das Vereinigte Königreich, Frankreich und der US-Bundesstaat Kalifornien ab 2040. Bis weltweite Verbote kommen, verkauft die deutsche Autoindustrie auf wachsenden Märkten klimaschädliche Luxusverbrenner, um hohe Profite zu erzielen.

Die EU hat die Flottengrenzwerte für den CO2-Ausstoß verschärft. Das heißt, dass die Autos, die ein Hersteller verkauft, ab 2020 im Durchschnitt nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen. Sonst drohen drastische Geldstrafen. Die nächste Grenzwert-Verschärfung steht fünf Jahre später an. Für die Hersteller wird es schwierig, die Vorgaben aus Brüssel ohne den Verkauf von E-Autos einzuhalten.

Der Strukturwandel hin zur E-Mobilität ist vor allem ein Problem für Zulieferer, die sich auf die Produktion von Teilen für den Antriebsstrang spezialisiert haben. Stark betroffen sind beispielsweise die Region Stuttgart und das Saarland. Christian Brunkhorst, IG-Metall-Vorstand für den Bereich Zulieferer und Fahrzeugbau, sieht vor allem zwei Aufgaben, die es zu lösen gilt: „Die Ansiedlung neuer Industrien muss gefördert werden, um zu verhindern, dass Regionen deindustrialisiert werden. Denn das käme einer Katastrophe gleich“, sagt der Gewerkschafter der fairkehr. „Die Unternehmen und die Politik müssen für die von der Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten die Möglichkeit schaffen, Weiterbildungen oder Umschulungen zu machen“, so Brunkhorst weiter.

Den Strukturwandel bremsen will die IG Metall nicht. „Wir sind der Ansicht, dass die Autoindustrie beim Klimaschutz auf neueste Technologien setzen muss, um erfolgreich zu bleiben“, sagt Brunkhorst. „Nicht alle Menschen in den Belegschaften verstehen diese Notwendigkeit. Wenn ihre Jobs bedroht sind, verunsichert das die Leute. Dann besteht die Gefahr, dass sie Politikern nachlaufen, die einfache Antworten geben. Um das zu verhindern, muss man diese Menschen mitnehmen“, so Brunkhorst.

„Das Elektroauto vernichtet Arbeitsplätze“ titelte Focus online, aber es bringt auch große Potenziale mit, neue Jobs zu schaffen. „Wenn die richtigen Weichen in Politik und Wirtschaft gestellt werden, besteht die Möglichkeit, einen Strukturwandel so zu gestalten, dass auch viele neue Jobs entstehen“, sagt Christian Schneemann, Koautor der IAB-Studie. Das Institut rechnet mit 16.000 neuen Jobs bei Baukonzernen und Energieversorgern durch den Aufbau von Ladeinfrastruktur und den steigenden Energiebedarf. Die Batteriefertigung hat laut der Studie „ELAB 2.0“ des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation das Potenzial, bis zu 35.000 neue Jobs zu schaffen.

Bislang kommen E-Auto-Batterien überwiegend aus Korea, Japan und China. Logistisch ist das aufwendig, denn die Akkus sind schwer und die Just-in-time-Lieferung klappt wegen der langen Schiffstransporte nicht immer. Erste Erfolge bei der Ansiedlung der Batterieproduktion in Deutsch­land gibt es bereits. Die chinesische Firma CATL baut in Thüringen eine Fabrik, die Akkus für BMW und Daimler liefern soll. Volkswagen produziert eigene Batterien in Salzgitter. Das Potenzial für bis zu 40.000 neue Arbeitsplätze sieht das Fraunhofer Institut bei der Fahrzeugvernetzung, der Ausstattung von Fahrzeugen mit digitalen Medien und Systemen sowie bei der Automatisierung von Fahrfunktionen.

Demografie und Digitalisierung

Wenn man wie die IAB-Studien einen Zeitraum von 17 Jahren betrachtet, kommen weitere Faktoren ins Spiel, die großen Einfluss auf den Arbeitsmarkt haben werden: der demografische Wandel und die voranschreitende Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitswelt. Die Oxforder Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne sagten bereits 2013 eine massive Freisetzung von Arbeit bis 2030 voraus. Die MHP Management- und IT-Beratung GmbH und die Universität Reutlingen haben die Methoden von Frey und Osborne in einer Studie auf die deutsche Automobilindustrie angewandt. Das Ergebnis: 46 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Berufsbildern, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 bis 100 Prozent bis 2030 automatisiert werden können. Besonders betroffen seien Berufe, in denen „stark repetitive, messbare Tätigkeiten in strukturierten Umfeldern dominieren“. Ingenieure und Programmierer werden in den kommenden 15 bis 20??Jahren Maschinen und Roboter schaffen, die noch selbstständiger sind als heute. Autohersteller benötigen die Arbeit von Monteurinnen und Monteuren dann mit einer Wahrscheinlichkeit von 86 Prozent nicht mehr. Der Prozess ist schon heute zu beobachten. Zwar haben die untersuchten Unternehmen noch nicht begonnen, im großen Stil Arbeitsplätze abzubauen. Aber sie haben bei leicht rückläufiger Anzahl an Monteuren Produktivität und Absatz über vier Jahre um je 15 Prozent jährlich gesteigert.

Auch die Arbeitsplätze von Lageristen, Industriekaufleuten, Buchhaltern und Logistikern sind stark durch die Digitalisierung bedroht. Die Arbeitsplätze von Führungskräften, Ingenieuren oder Kfz-Mechanikern sind hingegen vorerst kaum durch Digitalisierung und Automatisierung gefährdet.

Lebenslanges lernen

„Die großen Autokonzerne können Weiterbildungen leichter finanzieren und ihren Mitarbeitern oft auch andere Jobs im Unternehmen anbieten. Vor allem die kleineren und mittelgroßen Unternehmen können das aber kaum allein bewältigen. Hier sind auch öffentliche Mittel wie die der Bundesagentur für Arbeit gefragt, um die erforderlichen Weiterbildungen und Umschulungen zu finanzieren“, so IAB-Experte Schneemann. Die IG Metall fordert ein Transformationskurzarbeitergeld. Die Idee dahinter: Beschäftigte gehen in Kurzarbeit und nutzen die gewonnene freie Zeit, um sich weiterzubilden. So können sie lernen, die im Wandel befindlichen Aufgaben im Betrieb auch in Zukunft zu bewältigen. Über den Inhalt der Fortbildung entscheiden Unternehmensführung und Betriebsrat. Den mit der Kurzarbeit verknüpften Verdienstausfall und die Kosten für die Weiterbildung soll die Bundesagentur für Arbeit übernehmen.

Wie sich das autonome Fahren auf die Nachfrage von Fahrzeugen und damit auf die Arbeitsplätze bei den Herstellern auswirken wird, kann noch nicht sicher beantwortet werden. Laut IG-Metall-Mann Brunkhorst gibt es zwei wahrscheinliche Szenarien: Zum einen könnten wenige autonome Shuttles, die die Fahrgäste bei Bedarf per App buchen und die stets gut ausgelastet sind, einen großen Teil des Verkehrs bewältigen. Das andere Szenario geht davon aus, dass verschiedene Mobilitätsanbieter um die Gunst der Kunden buhlen und die Städte mit einer großen Anzahl von Fahrzeugen fluten, ähnlich wie heute mit Leihroller- und Bikesharing-Flotten. „Ob traditionelle Autohersteller, Tesla, Google oder Uber den Markt beherrschen werden, ist völlig offen“, so Brunkhorst.

Gegenläufig zum Automatisierungstrend verläuft der demografische Wan­­del. In den kommenden Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er in Rente. Unternehmen wie Bosch und Continental nutzen das, um ohne Kündigungen Personal abzubauen. Gleichzeitig wächst aber auch der Fachkräftemangel, der bereits vielen Branchen zu schaffen macht. Bei den Verkehrsbetrieben geht bis 2030 fast die Hälfte der Beschäftigten in Rente. Die Deutsche Bahn will in den nächsten Jahren 100.000 Leute einstellen und sucht Personal. Der Mangel an Bewerberinnen und Bewerbern führt dazu, dass Bus- und Bahnfahrten ausfallen, und kann die Verkehrswende behindern. In der Autobranche fehlen vor allem Software-Entwickler. Denn die Hersteller wandeln sich ein Stück weit in Richtung IT-Konzerne und bieten Mobilitätsdienstleistungen an: VW den Rideshareing-Service Moia, BMW und Daimler gemeinsam den Carsharing-Dienst SHARE NOW oder die multimodale App REACH NOW.

IAB-Forscher Schneemann, Gewerkschafter Brunkhorst und die Expertinnen und Experten der Forschungsinstitute sind sich einig: Klimaschutz, Digitalisierung und Automatisierung werden die Arbeitswelt in den kommenden Jahren erheblich verändern. Veränderungen werden in kürzeren Zyklen stattfinden als bisher. Die Autoindustrie wird stark betroffen sein. Um Arbeitnehmer vor dem Verlust ihrer Jobs zu schützen, hilft vor allem eines: lebenslanges lernen.

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Benjamin Kühne

ist seit 2014 als Redakteur beim VCD-Magazin fairkehr tätig. Davor studierte er Politikwissenschaft in Gießen. Er ist in Bonn am liebsten mit dem Fahrrad unterwegs und reist gerne mit der Bahn.
benjamin.kuehne@fairkehr.de

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