Davide Brocchi, Transformationsaktivist

Am autofreien „Tag des guten Lebens“ in Köln verwandeln Bürger Straßen und Plätze in Begegnungsorte. Initiator Davide Brocchi im Porträt.

Als Davide Brocchi der Bezirksverwaltung Köln-Innenstadt vorschlug, einen <link http: www.tagdesgutenlebens.de external-link-new-window external link in new>„Tag des guten Lebens“ durchzuführen, lehnte diese das Konzept ab. Man wolle die Bürger mit solch visionären Projekten nicht überfordern, hieß es. Anderthalb Jahre später fand die Veranstaltung im Stadtteil Ehrenfeld statt. Aus einem Quartier mit 22.000 Anwohnern, einem Quadratkilometer Fläche und 24 Straßen wurden für einen Sonntag die Autos verbannt. Musiker spielten auf der Straße, Kinder tollten auf der Fahrbahn herum, die Anwohner verschenkten und teilten Essen und Getränke, Vereine und Organisationen warben an Infoständen.

Der „Tag des guten Lebens“ findet seit 2013 jährlich in einem anderen Kölner Kiez statt. „Der Tag ist ein Katalysator für die Transformation der Stadt hin zur Nachhaltigkeit, und diese beginnt mit der Umgestaltung der sozialen Beziehungen. In der Nachbarschaft darf nichts verkauft und gekauft, sondern nur geschenkt und geteilt werden“, sagt Brocchi. Der 49-jährige Diplom-Sozialwissenschaftler wirkt professoral, wenn er das theoretische Fundament hinter dem Tag erklärt. Er beruft sich auf die Funktion der Agora in der altgriechischen Polis. Auf dem zentralen Platz kamen die Bürger zusammen, um über die Politik des Stadtstaates zu beraten, er diente als Gerichtssaal und Marktplatz. Brocchi vermisst solche öffentlichen Begegnungsstätten in der modernen Stadtplanung. „Sie werden der Privatisierung, Kommerzialisierung und dem Autoverkehr geopfert. Deshalb werden am ‚Tag des guten Lebens‘ die Straßen und die Plätze in eine Agora umgewandelt“, erklärt er.

Wie die Anwohner den Tag in ihrer Straße gestalten, entscheiden sie bei basisdemokratischen Nachbarschafts­treffen. Viele verwandeln die eigene Straße in ein gemeinschaftliches Wohn- und Esszimmer. Für Brocchi ist wichtig, dass die Menschen zusammenkommen, denn „Vertrauen entsteht nicht im virtuellen Raum der sozialen Netzwerke, sondern bedarf physischer Räume“.

Brocchi, der auf dem Land in Italien aufgewachsen ist, kam 1992 nach Deutschland. Heute ist der Freiberufler als Publizist, Lehrbeauftragter und Transformationsaktivist tätig. Das Konzept für den „Tag des guten Lebens“ verfasste er ursprünglich für den Ideenwettbewerb „Dialog Kölner Klimawandel“ 2011. Die Auszeichnung im Themenbereich Verkehr motivierte ihn, das Konzept umzusetzen.

Nachdem die Bezirksvertretung Innenstadt Brocchis Konzept abgelehnt hatte, bat er lokale Umweltinitiativen, Kultureinrichtungen, Vereine, Schulen und Unternehmen der Stadt, sein Konzept zu unterstützen. Rund 50 Organisationen, darunter der <link https: nrw.vcd.org der-vcd-in-nrw koeln external-link-new-window external link in new>VCD Köln, sagten ihre Hilfe zu. Aus diesem Netzwerk gründete sich die Agora Köln, die den „Tag des guten Lebens“ bis heute veranstaltet. Mit der Unterstützung des Bündnisses konnte Brocchi die Bezirksvertretung in Ehrenfeld von seinem Konzept überzeugen.

Heute berät Brocchi, der sich aus der Organisation des Kölner „Tag des guten Lebens“ herausgezogen hat, Initiativen, die das Konzept in anderen Städten umsetzen wollen: In Berlin soll der Tag 2019 in drei Kiezen stattfinden, die Dresdener planen sogar eine „Woche des guten Lebens“, in Nordrhein-Westfalen haben sich Initiativen aus Bonn, Essen und Dortmund zur Plattform „Gutes Leben NRW“ zusammengeschlossen, in Kassel initiieren VCD-Aktive einen „Tag des guten Lebens für alle“. Aus Brocchis Idee entwickelt sich eine deutschlandweite Bewegung. In Zeiten von Dieselskandal, Politikverdrossenheit und sozialer Polarisierung ist das ein starkes Signal für mehr Nachhaltigkeit, Demokratie und sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Benjamin Kühne

ist seit 2014 Redakteur beim VCD-Magazin fairkehr.

benjamin.kuehne@fairkehr.de

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