Die Autos werden immer breiter und höher, die Fußwege enger: Wie sollen Kinder da den Überblick bekommen?

Zu Fuß zur Grundschule

Der verhinderte Schulweg

Kinder bewegen zu wenig. Das Elterntaxi ersetzt oft den Weg zu Fuß zur Schule. Damit Kinder selbständig mobil sein können, brauchen sie sichere Wege.

| Fußverkehr

Maxi (8) hat es gut: Der Zweitklässler liebt seine Klassenlehrerin, hat viele Freunde auf dem Pausenhof und geht gern zur Schule. Außerdem wohnt er nur 300 Meter vom Schulgebäude entfernt. Auf einen Schulbus oder das Elterntaxi ist er nicht angewiesen.

Und trotzdem zeigt Maxis Geschichte, was falsch läuft in der Kindermobilität: Denn sein Weg zur Schule birgt viele unnötige Hindernisse und Gefahren.

Die Zebrastreifenfalle

Maxi wohnt in Bonn, also in einer Großstadt. Der Stadtteil Endenich, in dem er aufwächst, ist aber dörflich geprägt: Die meisten Häuser sind hier nicht höher als drei Stockwerke, und die Straßen sind eng. Der Kern von Endenich wird vom Autoverkehr dominiert, für den die Dorfstruktur ursprünglich nicht ausgelegt war. So sind auf dichtem Raum viele unübersichtliche und gefährliche Stellen entstanden, zumal es weder Tempo 30 noch einen verkehrsberuhigten Bereich gibt. Da muss Maxi durch, wenn er zur Schule will.

Begleiten wir ihn ein Stück: Der Achtjährige tritt aus der Haustür auf den Bürgersteig, wendet sich nach rechts und geht um eine Häuserecke. Die Straße macht hier eine Kurve. Sobald er um die Ecke tritt, mündet der Gehweg in eine undefinierte Fläche: Hier parken Privat­autos auf teils markierten, teils unmarkierten Flächen. Wo der Gehweg verläuft, ist unklar. Kinder, die um die Autos herum laufen, landen schnell auf dem Radweg, den die Stadt auch noch durch dieses Nadelöhr geführt hat – allerdings nur auf 50 abschüssigen Metern. Für die Radfahrer*innen ist das verwirrend, und für zu Fuß gehende Kinder erst recht. Kollisionsgefahr!

Die echte Gefahr für Maxi lauert aber bei der Straßenüberquerung. Die Fahrbahn gabelt sich hier, sodass er über zwei kurze Zebrastreifen gehen muss. In den ersten mündet der lächerlich kurze Radweg. Manche Radfahrer*innen halten an, andere nicht. Für Kinder ist das schwer einzuschätzen.

Auf den zweiten Zebrastreifen treten die Kinder aus einem Winkel, den die Pkw-Fahrer*innen, die aus einer Einbahnstraße schießen, nicht einsehen können. Trotzdem bremsen sie kaum ab – auch die Stadtbusse nicht – sondern gehen einfach davon aus, dass schon niemand queren will.  Hier ist Maxi bereits in unmittelbarer Schulnähe, trotzdem gilt Tempo 50. Und das, obwohl die Stelle aufgrund der schlechten Sichtbeziehung schon bei 30 km/h problematisch wäre.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, auf der auch die Schule liegt, ist der Gehweg wieder klar erkennbar. Leider sind mehrere Laternenpfähle mitten auf den Bürgersteig gebaut. Maxi, der den Weg immer gemeinsam mit seinem Freund Alex geht, kann hier nicht neben ihm laufen. Manche Mitschüler*innen fahren an dieser Stelle mit dem Rad und müssen entweder Slalom fahren oder absteigen. Die Stadt hat hier klare Prioritäten gesetzt; entlang des gesamten, ohnehin schon engen Straßenabschnitts parken Autos – kostenlos. Statt für die Laternen Parkraum wegzunehmen, hat man sie lieber den Fußgänger*innen in den Weg gestellt. In dubio pro Auto.

Erwachsene verantwortlich

Als Vater frage ich mich, was ich tun kann, um den Schulweg für Maxi sicherer zu machen. Denn wo die Infrastruktur unübersichtlich ist und erwachsene Verkehrsteilnehmer*innen sich nicht an Regeln halten, bringt es wenig, den Kindern Verhaltensregeln einzutrichtern. Aber so sieht die Realität im Verkehr leider oft aus. Vielen Kindern geht es wie Maxi.

Ich wende mich an Philipp Spitta. Der Grundschullehrer und Lehrerausbilder aus Bochum hat 2005 das „Praxisbuch Mobilitätserziehung“ veröffentlicht, das er zurzeit für eine Neuauflage überarbeitet. Außerdem ist er seit langem aktives VCD-Mitglied. „Die Eltern können wichtige Impulse geben, um den Schulweg ihrer Kinder sicherer zu machen“, sagt er. „Denn die Lehrerinnen und Lehrer wohnen oft gar nicht im Umfeld der Schule und kennen deshalb die Gefahrenstellen nicht. Regen Sie in der Schule an, mit einem Schulwegplan die sicheren Wege zu identifizieren“, rät er mir. „Außerdem sollten Sie Kontakt mit dem kommunalen Verkehrsamt aufnehmen und auf Gefahrenstellen hinweisen.“

Gerade Tempo 30 im Umfeld von Schulen lasse sich oft verwirklichen, wenn Eltern und Schule sich gemeinsam dafür einsetzten. Was viele Eltern nicht wissen: In jeder Schule ist ein Lehrer oder eine Lehrerin für die Mobilitätsbildung zuständig, und auch in jedem Schulamt gibt es einen Schulrat, den man zum Thema Schulweg ansprechen kann.

Im Unterricht wird das Thema Mobilität allerdings noch zu sehr mit der Verkehrserziehung gleichgesetzt. „Natürlich ist die regelgeleitete Verkehrs­erziehung wichtig, die in den Grundschulen in Kooperation mit der Polizei durchgeführt wird“, sagt Spitta. „Wir bräuchten aber eine Mobilitätsbildung, die Sicherheits- und Umweltaspekte verbindet und den Kindern die Kompetenz vermittelt, die Wege zur und um die Schule herum zu beobachten und zu verstehen.“

Eine entsprechende Empfehlung der Kultusministerkonferenz (KMK) liegt bereits seit 2012 vor. Aber die Schulen müssen so Lehrstoff vermitteln, dass die Mobilitätsbildung nach Spittas Erfahrung oft unter den Tisch fällt. Er empfiehlt den Schulen daher, das Thema Mobilität mit anderen Unterrichtsinhalten zu verknüpfen: „Da bietet sich zum Beispiel das große Thema der nachhaltigen Entwicklung an. Wir können Kindern vermitteln, dass Mobilität Auswirkungen auf Umwelt, Klima und Gesundheit hat.“

Die Empfehlungen der KMK besagen auch, dass Kinder die Möglichkeit bekommen sollen, ihren Schulweg mitzugestalten: „Schülerinnen und Schüler erwerben Grundlagen, um an der Gestaltung einer Verkehrsumwelt mitzuwirken, die zur Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmer (...) und einer zukunftsfähigen Mobilität beiträgt.“ Und weiter: „Sie werden angeregt, sich an Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr zu beteiligen und solche zu initiieren.“ Würde das gelingen, könnte man Schülerinnen  und Schülern nebenbei noch zu mündigen Bürgern machen, die die gegebene Realität nicht einfach hinnehmen, sondern zu verbessern versuchen.

Der VCD unterstützt

Grundschüler wie der achtjährige Maxi brauchen dazu natürlich die Hilfe der Erwachsenen. Neben dem Dialog mit Schule und Kommune kann auch die örtliche VCD-Gruppe mit Know-how unterstützen. Eine tolle Hilfestellung leisten auch die VCD-Projekte zur Kindermobilität wie „Zu Fuß zur Schule“ und „FahrRad!“, die genau auf das abzielen, was Experte Spitta empfiehlt: aus Kindern nicht nur Regelbefolger*innen, sondern mündige Mobilitätsexpert*innen für den Kinderalltag zu machen.

Vor allem aber brauchen junge Menschen Vorbilder: „Überspitzt gesagt: Kinder tun nicht, was wir ihnen sagen, sondern das, was wir ihnen vorleben“, sagt Pädagoge Spitta. Wenn Eltern und Lehrer*innen den Kindern predigen, wie gesund es ist, zu laufen, und die Kinder dann mit dem Auto zur Schule bringen, ist wenig gewonnen. Auch die Infrastruktur leitet das Verhalten: Die Kinder bemerken die Scheinheiligkeit sofort, wenn wir ihnen beibringen, wie klima­freundlich das Rad ist und ihnen dann Laternenpfähle in den Weg stellen, damit unsere Autos möglichst unbehelligt parken können.

Nach dem Sommer kommt Maxi in die dritte Klasse. Dann steht die Fahrrad­ausbildung in seiner Schule auf dem Stundenplan. Bisher ist es den Kindern von der Schule aus untersagt, mit dem Rad zur Schule zu kommen. Davon abgesehen, dass es dafür keine rechtliche Grundlage gibt: Wie traurig ist es, dass wir unsere Städte so sehr zur Spielwiese von Autos gemacht haben, dass wir unseren Kleinsten verwehren, was ihnen nicht nur Spaß macht, sondern gut für ihre Gesundheit, Entwicklung und Umwelt ist?

Das Gespräch mit Philipp Spitta hat mich bestärkt, jetzt den Dialog mit Maxis Schule zu suchen. Und auch Maxi will jetzt gemeinsam mit mir was bewegen.

Dr. Tim Albrecht

schreibt seit 2018 für das fairkehr-Magazin über Mobilitäts- und Umweltthemen. Er ist ein optimistischer Europäer mit transatlantischem Einschlag und liebt Fahrräder, Literatur und Basketball.

Tim.Albrecht@fairkehr.de

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