Infrastruktur | VCD-Magazin 4/2024

Einstürzende Altbauten - Über nötige Investitionen

Tausende Brücken sind marode, das Bahnnetz ist an vielen Stellen verschlissen. Aber statt in die Zukunft zu investieren, steckt der Staat weiter Geld in klimaschädliche Neubauten.

| Bahn Verkehrspolitik fairkehr-Magazin 04/2024

Einmal ein rotes Band durchschneiden und eine neue Straße freigeben – davon träumen nicht wenige Politiker*innen. Doch ein Großteil der Infrastruktur in Deutschland ist in die Jahre gekommen. Laut Deutschem Institut für Urbanistik (DiFu) weist etwa ein Drittel des kommunalen Straßennetzes größere Mängel auf. Spätestens seit die Carola-Brücke in Dresden zusammengebrochen ist, dämmert vielen, dass es um mehr geht als um ärgerliche Schlaglöcher: Die Sache kann lebensgefährlich werden.

8.000 Autobahn- und 3.000 Bundesstraßenbrücken gelten als nicht ausreichend tragfähig. Viele sind vor mehr als einem halben Jahrhundert gebaut worden und waren für deutlich geringere Verkehrsmengen und -lasten ausgelegt, als heute darüber donnern. Zum Beispiel die Rheinbrücke Neuenkamp bei Duisburg: Als Verkehrsminister Georg Leber sie 1970 feierlich eröffnete, ging man von täglich 30.000 Fahrzeugen aus. Doch der Verkehrsstrom schwoll immer weiter an und erreichte irgendwann die Marke von 100.000. Als Risse auftraten, wurde der Schwerlastverkehr umgeleitet, später ein Neubau beschlossen. 600 Millionen Euro hat das alles gekostet. Der Glamour-Faktor der Baustelle war gering, viele Nutzer*innen genervt; keine Motivation für Politiker*innen, solch ein Projekt frühzeitig anzugehen.

Dabei betonte der Zuständige im Bundesverkehrsministerium bei einem „Betontag“ vor über 40 Jahren, dass der Erhalt der Brücken eine vordringliche Aufgabe der Straßenbauverwaltung sein müsse. Tatsächlich versprach die Kohl-Regierung, bis zum Jahr 2000 „Tausende von Brücken“ zu sanieren. Doch dann kam die Wende und mit dem als „Sause-Krause“ bezeichneten Verkehrsminister Günther Krause das größte Straßenbauprogramm der Nachkriegsgeschichte. Sanierung war kein Thema mehr. Stattdessen blähte sich der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) zu einem unfinanzierbaren Wunschkatalog für neue Verkehrstrassen auf. Bis heute enthält das zuletzt 2016 aktualisierte Werk 6.000 Kilometer neue Asphaltpisten sowie zusätzliche Fahrspuren auf 4.000 Kilometer Länge. Bis 2030 bräuchte es dafür nach aktuellem Kostenstand 123,7 Milliarden Euro, hat Greenpeace ausgerechnet.

Alte Brücken: Plötzlich systemrelevant

Inzwischen ist aber unübersehbar, dass einstürzende Altbauten drohen. Im Dezember 2021 musste die Talbrücke Rahmede bei Lüdenscheid wegen irreparabler Schäden am Tragwerk komplett gesperrt werden. Seither kriecht der Fernverkehr durch Lüdenscheid und belastet sowohl die Bevölkerung als auch die nicht auf diese Lkw- und Pkw-Lawine ausgelegte Infrastruktur. Was es bedeuten kann, wenn die Behörden zu spät reagieren, war drei Jahre vorher in Genua deutlich geworden, als eine Stadtautobahnbrücke zusammenbrach und dabei 47 Menschen starben.

Plötzlich war klar: Brücken sind „systemrelevant“. So sah sich Verkehrsminister Volker Wis?sing im März 2022 genötigt, einen „Brückengipfel“ einzuberufen. Das danach beschlossene Modernisierungsprogramm bezieht sich allerdings nur auf die 4.000 Bauwerke, die zum transeuropäischen Fernverkehrsnetz zählen. Deshalb kritisiert der Bundesrechnungshof, Wissing erzeuge den Eindruck, die schlechtesten Autobahnbrücken könnten bis Ende 2032 saniert sein. „Dies ist aber nicht der Fall“, so die klare Aussage der staatlichen Kassenprüfer. Weder reiche das eingeplante Geld noch gäbe es ausreichend Personal.

Autobahn-Neubau: Rausgeschmissenes Geld

Das liegt auch daran, dass die Politik weiterhin an vielen Neubauten festhält. Dazu zählt beispielsweise die gewünschte Verbreiterung der Autobahn zwischen Frankfurt und Friedberg auf zehn Spuren, wofür Wissing eine lange nicht veröffentlichte Machbarkeitsstudie erarbeiten ließ. Für 150 Autobahnprojekte wünscht er sich sogar Eilverfahren und begründet das mit militärisch möglicherweise notwendigen Transporten.

Neue Autobahnen zu bauen ist völlig aus der Zeit gefallen. Wir sollten uns vom Bundesverkehrswegeplan trennen und uns beim Straßennetz auf die Sanierung konzentrieren“, fordert der verkehrspolitische Sprecher des VCD Michael Müller-Görnert. Selbst in der Systematik des Verkehrsministeriums sind die Kosten für viele Autobahnprojekte inzwischen höher als ihr Nutzen.

Das liegt zum einen an den massiv gestiegenen Baukosten. Zum anderen wird der volkswirtschaftliche Nutzen vor allem in der Zeitersparnis für die Fahrenden gesehen. Doch der Pkw-Verkehr hat sich seit Corona aufgrund der Ausbreitung von Homeoffice um sieben Prozent reduziert, wie die Denkfabrik „Agora Verkehrswende“ ausgerechnet hat. So rutschen viele Projekte schon aus diesen Gründen in den Bereich „unwirtschaftlich“.

Dabei noch nicht einberechnet sind die durch Bau und Betrieb verursachten Schäden durch CO2-Emissionen, wie sie das Umweltbundesamt kalkuliert. Unter diesen Voraussetzungen erreicht die A20 von Schleswig-Holstein nach Niedersachsen einen Nutzen-Kosten-Faktor von gerade einmal 0,9 – und ist somit volkswirtschaftlich sinnlos, wie der europäische Verband „Transport & Environment“ und Greenpeace vorrechnen. Die durch das Verkehrsministerium vor zwei Jahren angesetzten Baukosten von 5,7 Milliarden Euro für die neue Autobahn sind also rausgeschmissenes Geld und zerstören darüber hinaus große, für den Klimaschutz extrem wichtige Moorgebiete.
Dagegen sind Neu- und Ausbauten bei Bahngleisen unerlässlich, sollen die im Koalitionsvertrag der jüngst zerbrochenen Ampelregierung vereinbarten Ziele jemals näher rücken: Steigerung des Schienengüterverkehrs auf 25 Prozent bis 2030 sowie eine Verdopplung des Personentransports.

Deutschlandtakt vor 2070

Basis dafür ist die Umsetzung des „Deutschlandtakts“: ein bundesweiter Taktfahrplan, der die Abfahrtszeiten für Fahrgäste zuverlässiger und planbarer macht und Umstiege erleichtert. Dieser wird schrittweise umgesetzt und kommt nicht erst im Jahr 2070, wie Michael Theurer (FDP), Staatssekretär im Verkehrsministerium, letztes Jahr missverständlich behauptet hatte.

„Die erste Stufe wird 2026 oder 2027 umgesetzt“, sagt der VCD-Bundesvorsitzende Matthias Kurzeck. Er sitzt für den VCD in der Koordinierungsgruppe Deutschlandtakt der Bundesregierung. „Die weiteren Stufen folgen aber immer erst, wenn die Finanzierung des dafür erforderlichen Aus- und Neubaus funktioniert hat. Mit der bisherigen Finanzplanung wäre die vollständige Umsetzung des Deutschlandtakts tatsächlich erst 2070 denkbar.“

Um nachhaltige Fortschritte erzielen zu können, braucht es also massive Investitionen in die Bahninfrastruktur. Der Sanierungsstau muss abgearbeitet werden. Parallel sind die notwendigen Kapazitätserweiterungen der Bahn unerlässlich. „Pünktlichkeit ist die Grundvoraussetzung für einen Deutschlandtakt“, so Kurzeck. „Insbesondere die Anschlüsse zwischen den Zügen und dem Busverkehr müssen zuverlässig funktionieren.“

Bahnsanierung: Fehler der Vergangenheit

Dass die Züge immer unpünktlicher geworden sind, hat strukturelle Gründe. So hatte die Bahnreform von 1994 Konstruktionsfehler, auf die kundige Menschen damals vergeblich hingewiesen haben. Zum einen verpflichtet ihre Rechtsform als Aktiengesellschaft die DB, Gewinne zu erwirtschaften. Dazu kam ein Finanzierungsmodus für die Gleise, der es für das Unternehmen günstig machte, auf Verschleiß zu fahren: Reparaturen musste die DB selbst finanzieren, grundlegende Sanierungen und Neubauten dagegen übernahm der Bund. Dieser Fehler wurde erst kürzlich korrigiert: Wie vom VCD lange gefordert, kann nun immer die günstigere Variante von Sanierung oder Ersatz gewählt werden.

Im kommenden Jahr stehen nun immerhin rund 18 Milliarden Euro für die Ertüchtigung der Schieneninfrastruktur bereit – deutlich mehr als für den Straßenbau. Vorausgesetzt der Bundeshaushalt wird so beschlossen, wie er sich zur Drucklegung dieses Heftes präsentierte. Nur zum Teil soll der Geldsegen jedoch aus nicht rückzahlbaren Zuschüssen bestehen. Der größere Teil sind eine Erhöhung des Eigenkapitals der Bahn sowie Darlehen, weil beide nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden.

Allerdings ist die DB dadurch gezwungen, Gewinne zu erwirtschaften, um das Eigenkapital nicht zu vermindern. Aus diesem Grund sollen die Trassenpreise für den Fern- und Güterverkehr um bis zu 17,7 Prozent erhöht werden. Das Bahnfahren würde dadurch für Menschen und Güter teurer und somit unattraktiver werden.

Bahninfrastruktur in Zukunft am Gemeinwohl orientiert?

Auch der Fehlkonstruktion, das Schienennetz einer AG zu übertragen, statt es als gemeinwohlorientierte Daseinsvorsorge zu betreiben, soll nun etwas entgegengesetzt werden. Zu Jahresbeginn startete die neue DB-Tochter InfraGO, die für Bahnhöfe und Gleise zuständig ist und gemeinwohlorientiert arbeiten soll. „Was das heißt, ist allerdings noch nicht ausbuchstabiert“, sagt die VCD-Bundesvorsitzende Kerstin Haarmann, die im Beirat die Interessen der Fahrgäste vertritt. Als Grundvoraussetzung verlangt sie Transparenz über Einnahmen und die Verwendung der Mittel. Auch wie und wann Neu- und Ausbauprojekte sowie die Sanierungen bis 2030 finanziert werden, will sie wissen. „Bisher ist auf jeden Fall zu wenig Geld da, und die Planung reicht nur bis 2027.“

Immerhin haben sich die Verkehrsminister*innen der Länder Anfang Oktober bei einem Treffen mit Wissing einstimmig dagegen ausgesprochen, die Trassenpreise zu erhöhen. Außerdem fordern sie, dass die nächste Bundesregierung einen milliardenschweren Infrastrukturfonds auf den Weg bringt, der Projekte unabhängig vom jährlichen Haushalt finanziert. Wo das Geld herkommen soll und ob sich private Investoren beteiligen können, sei noch zu diskutieren. Über eines aber waren sich alle einig: Bei Deutschlands Verkehrsinfrastruktur besteht dringender Handlungsbedarf.

Annette Jensen

Das fordert der VCD

Zehn Forderungen zum Erhalt und Ausbau einer klimafreundlichen Infrastruktur in Deutschland

  1. Alle Mittel für den Straßenneu- und -ausbau stoppen! Diese müssen in den Erhalt von Straßen und Brücken fließen.
  2. Tempolimit statt Autobahnausbau! Vermindert Staus und Engpässe und macht neue Spuren unnötig.
  3. Kommunale Infrastruktur sichern! Bund und Länder müssen helfen, marode Brücken bis spätestens 2030 zu sichern.
  4. Lückenlose Radwegenetze inner- und außerorts! Das bringt mehr Menschen aufs Rad.
  5. Gesamtsystem Bahn stärken! Statt weniger Großprojekte: mehr Mittel für Deutschlandtakt, Digitalisierung und Sanierung.
  6. Güter auf die Bahn! Dafür muss die Infrastruktur für den kombinierten Verkehr ausgebaut werden.
  7. System der Trassenpreise reformieren! Nur so bleibt die Bahn konkurrenzfähig zum Straßenverkehr.
  8. Finanzierungsfonds für die Bundesverkehrswege einrichten! ... um Investitionen langfristig abzusichern.
  9. Neue Grundprinzipien für die deutsche Mobilitätsplanung! Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz müssen maßgeblich werden.
  10. Einführung der kaufmännischen Buchhaltung (Doppik) in Bundes- und Landeshaushalten! Diese würde den jährlichen Wert­verlust der Verkehrswege transparent machen.

Ausführlichere Informationen zu den Forderungen finden Sie in unserer Resolution.

zurück

Cookie-Einstellungen ändern