Die VCD-Bilanz zur neuen Straßenverkehrsordnung

Am Freitag, den 14. Februar, stimmte der Bundesrat der Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) zu. Wir geben einen Überblick über die Ergebnisse und Änderungsanträge und ziehen gemischte Bilanz. Aus Sicht des VCD hat der Bundesrat die Chance vertan, sichere und klimafreundliche Mobilität konsequenter zu fördern. Einige Änderungen bewertet der VCD aber auch als positiv.

| Auto Radverkehr Straße zurückerobern

Diese Veränderungen ergeben sich für Auto- und Radfahrende aus der StVO-Novelle:

Höhere Bußgelder für Falschparker*innen
Falsches Parken auf Geh- oder Radwegen und das Halten in zweiter Reihe und auf Fahrradschutzstreifen werden teurer. Die bisherigen Bußgelder werden von 15 bis 30 Euro auf 55 bis 100 Euro angehoben. Gefordert hatte der VCD ein Bußgeld von 100 Euro und einen Punkt in Flensburg. Dahinter fallen auch die neuen Sätze zurück, sind aber dennoch ein großer Schritt nach vorne.

Mindestüberholabstand zu Radfahrenden
Erstmals ist der Mindestabstand von 1,5 Metern innerorts und 2 Metern außerorts beim Überholen von Radfahrenden durch Autofahrende gesetzlich vorgeschrieben. Da das der gängigen Rechtsprechung entspricht, ist es erfreulich, dass sich diese nun auch in der StVO wiederfinden wird. Denn Untersuchungen in Berlin (1) zeigen, dass viele Pkw-Fahrer*innen einen solchen Mindestabstand missachten: bei 56% der aufgezeichneten Überholvorgängen wurde der Mindestsicherheitsabstand von 1,50 Meter unterschritten. Ein ausreichender Überholabstand ist aber wichtig, um zum einen Unfälle zu vermeiden und damit sich Radfahrende zum anderen sicher fühlen. (2) Einziges Manko: gilt in der aktuellen Fassung nicht für das Überholen von Radfahrenden auf Radfahrstreifen, sondern nur auf Schutzstreifen oder auf der Fahrbahn. Hier muss noch nachgebessert werden.

Kein Tempolimit
Den Änderungsanträgen zur Einführung einer allgemeinen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen sowie von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts wurde nicht zugestimmt. Der VCD bewertet dies als kurzsichtig, da niedrigere Höchstgeschwindigkeiten eine der wichtigsten Maßnahmen für mehr Sicherheit und Klimaschutz sind. Deshalb fordern wir Tempo 120 auf Autobahnen, 80 auf Landstraßen und 30 innerorts.

Halteverbot auf Schutzstreifen
Galt zuvor die Regelung, dass Pkw bis zu drei Minuten auf Schutzstreifen halten dürfen, ist das Halten auf Schutzstreifen für Autofahrende nun ganz verboten. Das schafft mehr Klarheit für Pkw-Fahrer*innen, die nicht den Unterschied zwischen Schutz- und Radfahrstreifen kennen.

Rechtsabbiegen in Schrittgeschwindigkeit
Kraftfahrzeuge mit einem Gewicht von über 3,5 Tonnen dürfen an bestimmten Kreuzungen und Einmündungen nur noch in Schrittgeschwindigkeit rechts abbiegen – und zwar überall dort, wo parallel mit Radverkehr auf oder neben der Fahrbahn oder mit Fußgängern zu rechnen ist, die mit den Abbiegenden beim Überqueren in Konflikt kommen können. Dies ist ein erster Schritt, reicht aus Sicht des VCD jedoch nicht aus. Eine zusätzliche wichtige Maßnahme ist die Ausstattung von Fahrzeugen mit einem Abbiegeassistenten, die mittels akustischer Signale vor Fußgänger*innen und Radfahrer*innen im Seitenbereich warnen. Für neue Lkw sind Abbiegeassistenten ab 2024 Pflicht. Um aber auch Anreize für die Nachrüstung im Bestand zu setzen, müssen Kommunen die Erlaubnis erhalten, Lkw ohne Assistenten innerstädtisch in sog. „Verkehrssicherheitszonen“ die Zufahrt zu untersagen. Abbiege-Assistenten sind auch für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge notwendig, die deutlich mehr Abbiegeunfälle verursachen als Lkw.

Kein Spielraum für teureres Bewohnerparken
Der Antrag, dass Kommunen für Bewohner*innen-Parkausweise künftig bis zu 240 Euro jährlich verlangen können, wurde abgelehnt. Damit gilt weiterhin, dass Bewohner*innenparken maximal nur 30,70 Euro pro Jahr kostet. Aus Sicht des VCD ist damit die Chance vertan, den Kommunen gesetzlichen Spielraum zu geben, die Kosten für den öffentlichen Raum gerechter zu verteilen.

Erweiterung der Erprobungsklausel
Zukünftig können Straßenverkehrsbehörden Modellversuche unabhängig von einer nachgewiesenen Gefahrenlage anordnen. Aus Sicht des VCD ist diese Erweiterung eine wichtige Möglichkeit, Kommunen mehr Spielraum zu geben, um beispielsweise flächendeckend Tempo30 als Regelgeschwindigkeit innerorts zu erproben. Mit Blick auf die zweite StVO-Novelle setzt sich der VCD für eine weitere Öffnung des Straßenverkehrsrechts für Verkehrsversuche ein.

Parkverbot im Kreuzungsbereich
Mit der neuen StVO ist festgelegt, dass Pkw beim Parken einen Mindestabstand von bis zu 8 statt 5 Meter von den Schnittpunkten der Fahrbahnkanten im Kreuzungsbereich halten müssen, sofern ein straßenbegleitender baulicher Radweg vorhanden ist. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Sichtbeziehungen zwischen motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen und Radfahrenden zu verbessern und so gefährliche Abbiegeunfälle zu vermeiden. Der VCD hat sich im Vorfeld für einen Mindestabstand von 10 Metern von Beginn der Eckausrundung für alle Kreuzungen ausgesprochen.

Keine erweiterte Freigabe von Busspuren
Der Bundesrat lehnte den Änderungsvorschlag ab, Busspuren für Pkw und Krafträder zu öffnen, die mit mehr als drei Personen besetzt sind. Auch Elektrokleinstfahrzeuge dürfen weiterhin nicht auf Busspuren fahren. Der VCD sprach sich bereits im Vorfeld entschieden gegen diesen Vorschlag aus und befürwortet daher die Entscheidung des Bundesrats. Eine solche Ausweitung hätte die an einigen Orten ohnehin schon stark frequentierten Busspuren überlastet, sodass sie ihren eigentlichen Zweck verfehlen: nämlich die Beschleunigung und Bevorrechtigung des ÖPNV. Fahrradfahrende hingegen dürfen auch zukünftig auf dem Bus-Sonderstreifen fahren.

Radfahrende dürfen nebeneinander fahren
Wird der restliche Verkehr nicht behindert, ist es ab nun an rechtlich erlaubt, dass Radfahrende zu zweit nebeneinander fahren. Der VCD begrüßt diesen Vorschlag, da hier eine gleichberechtigte Verkehrsteilnahme gefördert wird. Allerdings ist es – wie auch bei den anderen Neuerungen – wichtig, dass alle Verkehrsteilnehmer*innen diese Regeln kennen. Sonst werden Radfahrende auf der Fahrbahn angehupt und abgedrängt.

Kein Parkverbot für Radfahrende
Das ursprünglich geplante Parkverbot für Fahrräder am rechten Fahrbahnrand wurde gestrichen. Der VCD hatte die Pläne nach Bekanntwerden deutlich kritisiert und begrüßt nun, dass das Verbot in der neuen StVO nicht mehr vorgesehen ist. Um den klimafreundlichen Radverkehr zu stärken braucht es mehr Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, anstatt die bestehenden einzuschränken.

Grünpfeil für rechtsabbiegende Radfahrende
Ein Grünpfeil als neues Verkehrszeichen erlaubt Radfahrenden nun, an roten Ampeln rechts abbiegen zu können. Das ist eine wichtige Maßnahme, um den Radverkehrsfluss, also das zügige Vorankommen, zu unterstützen und wurde bereits in den Niederlanden, Dänemark und Frankreich erfolgreich erprobt. Wichtig ist bei der Umsetzung vor Ort darauf zu achten, dass Fußgänger*innen nicht behindert oder gefährdet werden.

Einrichtung von Fahrradzonen
Kommunen können jetzt sogenannte Fahrradzonen einrichten, die aus einem Netz von Fahrradstraßen bestehen. In einer Fahrradzone gilt grundsätzlich: Autos dürfen maximal Tempo 30 fahren und keine Radfahrenden gefährden oder behindern, Fahrradfahrer*innen dürfen nebeneinander fahren. Die Einführung von Fahrradzonen ist als positiv zu bewerten und ist ein wichtiger Schritt, um lokal ein dichtes, komfortabel und sicheres Radverkehrsnetz umzusetzen. Damit wird das erfolgreich erprobte Bremer Modellprojekt aufgegriffen. Mit der Einführung eines neuen Verkehrszeichens „Fahrradzone“ ist jedoch die Pflicht verbunden, die Verkehrsteilnehmenden über deren Bedeutung aufzuklären. Sinnvoller wäre es gewesen, bereits bekannte Schilder (Tempo-30-Zone) verbunden mit entsprechenden Verkehrsverboten zu nutzen.

Fahrräder zur Personenbeförderung
Von nun an ist es erlaubt, dass Fahrräder Personen transportieren dürfen, wenn sie zur Personenbeförderung gebaut sind. Bislang war die Mitnahme von Personen auf dem Fahrrad nur bis zum vollendeten 7. Lebensjahr zulässig. Nun können auch Ältere oder Menschen mit körperlichen Einschränkungen beispielsweise mit Rikschas oder bestimmten Lastenrädern transportiert werden.

Carsharing
In der neuen StVO wurde auch aufgenommen, dass Kommunen nun bevorrechtigt Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge auf öffentlichem Grund ausweisen können. Carsharing-Parkplätze werden künftig mit einem neuen Sinnbild „Carsharing“ gekennzeichnet. Außerdem ist ab nun eine blaue Plakette für Carsharing-Pkw vorgesehen, um sie zusätzlich kenntlich zu machen.

Für das Jahr 2020 ist eine zweite Novelle der Straßenverkehrsordnung geplant. Der VCD wird auch diesen Prozess kritisch begleiten.


[1] Projekt Radmesser des Tagesspiegel, www.tagesspiegel.de/berlin/projekt-radmesser-so-gefaehrlich-werden-radfahrer-in-berlin-ueberholt/23702706.html.

[2] Der Tagesspiegel hat 5000 Berliner Fahrradfahrer*innen nach ihren Erfahrungen befragt. Rund zwei Drittel gaben an, Angst im Straßenverkehr zu haben. Mehr als 90 Prozent der Befragten empfinden zu eng überholende Autos dabei als Hauptgefahr: https://interaktiv.tagesspiegel.de/radmesser/kapitel6.html.

Anika Meenken

ist Sprecherin für Radverkehr und Mobilitätsbildung.
Fon 030/28 03 51-403
anika.meenken@vcd.org

 

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