An einem frühen Sommermorgen steht ein junges Paar auf Bahnsteig 2 am Bahnhof Brühl. Neben ihnen: Zwei Fahrräder mit vollgepackten Sattel- und Lenkertaschen, ansonsten herrscht gähnende Leere auf dem Bahnsteig. Als der Regionalzug nach Köln einfährt, greifen die beiden ihre Räder, der Einstieg in den Zug ist stufen- und somit mühelos. Im Mehrzweckabteil des Regionalzugs ist ausreichend Platz für die schwer bepackten Räder, und so steigen unsere beiden Reisenden keine zwanzig Minuten später entspannt am Kölner Hauptbahnhof aus.
Jetzt aber beginnt der Hindernislauf: Ihr Anschlusszug nach Hamburg fährt von einem anderen Gleis. Am Aufzug hat sich eine Schlange gebildet: eine Großfamilie mit schweren Koffern und eine Frau mit Kinderwagen warten schon. Die Treppe ist mit den gepäckbeladenen Fahrrädern keine Option, also müssen sich die beiden in Geduld üben. Unten angekommen geht es einige Gleise weiter wieder nach oben im gleichen Schneckentempo. In den IC nach Hamburg müssen sie die Fahrräder dann drei Stufen nach oben wuchten. Nette Mitreisende fassen mit an, die reservierten Fahrradstellplätze sind frei, das Gepäck wird verstaut: Jetzt beginnt der entspannte Teil der Radreise.
Radreisen im Trend
Urlaub mit dem Fahrrad boomt: 2019 machten laut ADFC-Radreisemonitor 5,4 Millionen Menschen Fahrradurlaub; dazu kamen 330 Millionen Tagesausflüge. Über 30 Prozent der Radreisenden und Radausflügler*innen nutzten für die An- und Abreise die Bahn. Allein im Fernverkehr transportierte die Deutsche Bahn 2019 rund 393?000 Fahrräder, etwa 100?000 mehr als noch fünf Jahre zuvor. Doch nicht immer läuft alles so reibungslos wie bei unseren Reisenden aus dem Rheinland.
Fehlende Kapazitäten
Im Nahverkehr ist es unkompliziert, Fahrräder mitzunehmen, denn Stellplatzreservierungen gibt es keine. Deshalb kann es passieren, dass man in besonders vollen Zügen mit dem Fahrrad nicht immer mitkommt. Wer kann, sollte möglichst außerhalb der Hauptverkehrszeiten fahren. Im DB-Fernverkehr ist es andersherum: Stellplätze müssen reserviert werden, dafür fehlen die Kapazitäten. Zwar gibt es in allen ICs und ECs acht bis 16 Fahrradstellplätze, in den ICEs ist das jedoch nur in den Zügen der neuesten Generation der Fall. Viele, vor allem direkte Verbindungen kommen für Radreisende deshalb nicht in Frage oder sind lange im Voraus ausgebucht.
Auf fairkehr-Nachfrage erklärt ein Sprecher der Deutschen Bahn: „Die Zahl der Fahrradstellplätze wächst sukzessive. Die Fernverkehrsflotte wird bis 2025 zu knapp 65 Prozent über Fahrradstellplätze verfügen, womit auf nahezu allen Fernverkehrsverbindungen eine Fahrradbeförderung angeboten werden kann.“
Tatsächlich muss die DB aufgrund der reformierten europäischen Fahrgastrecht-Verordnung ihre Fahrradkapazitäten ausbauen. Nach der Novelle haben Fahrgäste künftig ein Recht darauf, ihr Fahrrad in Fern- wie in Regionalzügen mitzunehmen. Theoretisch sollen in jedem Zug mindestens vier Fahrradstellplätze vorhanden sein. Abhängig von der erwarteten Nachfrage können die Bahnunternehmen jedoch mehr – aber auch weniger – Plätze einrichten. Außerdem gilt die Regel nur für neue oder nachgerüstete Züge. „Die Mitnahmeregelung für Fahrräder in Zügen ist deutlich zu schwach, um die Verkehrsträger Fahrrad und Bahn attraktiv miteinander zu verknüpfen“, kritisiert Bastian Kettner, VCD-Bahnsprecher, die neuen Fahrgastrechte. Dem VCD wären konkrete Richtlinien lieber gewesen, damit Bahnreisende mit Fahrrad eine bessere Planungssicherheit gehabt hätten. Auch die Infrastruktur an den Bahnhöfen müsse verbessert werden, sagt Kettner. „Wenn die Verkehrswende klappen soll, muss es für Reisende einfacher werden, Verkehrsmittel zu kombinieren. Der VCD fordert überdachte, sichere Fahrradabstellmöglichkeiten und Leihradsysteme an Bahnhöfen, aber auch funktionierende, geräumige Aufzüge und gute Leitsysteme, die den Radreisenden den Weg zum Fahrradabteil weisen.“ Doch genau an diesen Punkten hapert es in der Realität oft.
„Mit Fahrrädern und Gepäck in den IC einzusteigen, ist Stress pur. Man weiß nie genau, wo das Fahrradabteil zum Halten kommt. Im schlimmsten Fall muss man am ganzen Zug entlang hetzen und dann in Windeseile das Gepäck vom Fahrrad abnehmen. Wir waren zum Glück zu viert unterwegs, so konnte einer auf das Gepäck aufpassen, während wir anderen erst die Fahrräder und dann das Gepäck die engen Stufen hoch in den Zug getragen haben“, erzählt Uta L. von ihrer Zugfahrt von Bonn an den Bodensee.
Wer es mitsamt Fahrrad und Gepäck in den Zug geschafft hat, steht manchmal vor einer zusätzlichen Herausforderung. fairkehr-Leser Ulfert K. fuhr von Berlin über Leipzig nach Hof. „Ich sah meinen reservierten Fahrradplatz sofort, aber es fehlte der Ständer. Zufällig richtete ich den Blick zur Decke und dort war ein Haken. Ich bin zwar kein Schwächling, aber im Alter von 75 ein E-Rad an einen Haken an der Decke zu hängen war einfach zu viel. Zum Glück hat mir ein netter junger Mitreisender geholfen.“
Wer keine direkte Verbindung buchen kann, muss beim Umsteigen den Weg durch Bahnhöfe finden, in denen Fahrräder nicht mitgedacht wurden. Claudia S. war unterwegs von Bonn nach Trier, Umsteigen in Koblenz inklusive. „In Bonn passte das Fahrrad nicht in den Aufzug. Ich musste es so richtig einkeilen, damit sich die Tür schließt. Satteltaschen sind hier auch nicht erwünscht. Mancher Bahnhof hat jedoch erst gar keinen Aufzug, dann muss man das für mehrtägige Touren beladene Fahrrad eine schmale Rinne an der Seite der Treppe hochschieben. Das habe ich letztes Mal nicht allein geschafft; wenn mir nicht ein netter Fahrgast geholfen hätte, hätte ich den Zug verpasst.“
Das Anschlusszug-Dilemma
Die hilfsbereiten Mitreisenden finden sich in fast jeder Erzählung über eine Zugreise mit dem Fahrrad. Die Deutsche Bahn scheint sie mit einkalkuliert zu haben: Als Leser Ulfert K. sich an die Service-Nummer der DB wandte, um bei zukünftigen Reisen keine Decken-Haken mehr als Fahrradplatz zugewiesen zu bekommen, lautete die Antwort. „Das können wir Ihnen nicht garantieren. Sollten Sie das nächste Mal wieder einen Platz an der Decke haben, fragen Sie einfach einen Mitreisenden.“
Als Bahnreisende*r ist man Kummer mit verspäteten Zügen gewohnt, für Radreisende macht ein verpasster Anschlusszug die Bahnfahrt schnell zur Odyssee. Radreisende können nicht einfach in den nächsten Zug steigen, sondern müssen auf den warten, der Fahrräder transportiert und noch freie Stellplätze hat. Das führt mit Pech zu stundenlangen Wartezeiten. Oder, wie im Fall von fairkehr-Leser Henning L., zu ungeplanter körperlicher Aktivität und Hetze.
Gebucht war eine Verbindung von Berchtesgaden nach Lübeck, doch auf dem ersten Teilstück der Strecke fuhren baustellenbedingt sechs Wochen lang keine Züge. „Von der DB erhielten wir keinerlei Information darüber, dass der Zug ausfallen würde, geschweige denn ein Angebot, wie wir unsere Fahrräder nach Freilassing bekommen sollten, da sie im Ersatzbus ja nicht mitgenommen werden.“ Nach mehreren ergebnislosen Anrufen beim Service-Center der DB entschieden Henning L. und seine Mitreisenden, die knapp 40 Kilometer unter Zeitdruck nach Freilassing mit dem Fahrrad zu fahren, um dort zumindest den Anschlusszug zu erwischen.
Fehlende Entschädigung
Henning L. sprach nach der Reise bei der Bahn vor: „Ich habe um eine Erstattung des Fahrpreises von 50 Prozent plus einen Aufschlag als Wiedergutmachung dieses Vorfalls nachgesucht. Im Rahmen der Fahrgastrechteklärung bekam ich dann läppische 5 Euro plus noch einmal 8 Euro überwiesen für die ausgefallene Strecke nach Freilassing – viel zu wenig für diesen Stress.“
„Das Problem ist die unklare Gesetzeslage. Es gibt keine expliziten Regeln für Reisende mit Fahrrad, sondern nur allgemeine Regeln, die auf Fahrradreisende angewendet werden müssen“, erklärt uns Dr. Carola Korff von der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) in Berlin die Sachlage. Die Juristin ist stellvertretende Leiterin des Bahn-Teams und bearbeitet regelmäßig Beschwerden von Radreisenden. „Man hat natürlich immer ein Recht darauf, bis an sein Ziel transportiert zu werden. Es gibt explizite Regeln für die Personenbeförderung. Inwieweit diese Regeln anwendbar sind, wenn lediglich die Fahrradbeförderung nicht gewährleistet ist, ist zweifelhaft.“ Könne man aufgrund einer verspäteten Verbindung wegen der nicht möglichen Fahrradbeförderung sein Ziel nicht mehr am selben Tag erreichen, könnte ein fahrgastrechtlicher Übernachtungsanspruch in Betracht kommen, meint Carola Korff. Verbindlich im Gesetz verankert ist das aber nicht.
Noch komplizierter wird es, wenn man seinen Fernverkehrszug aufgrund eines verspäteten Regionalzugs verpasst. „Zwar kann die Person weiterbefördert werden, doch ist die Fahrradmitnahme nur möglich, wenn die Beförderung garantiert ist, das heißt, ein Stellplatz reserviert wurde. Das ist im Regionalverkehr nicht möglich“, erklärt die Expertin von der SÖP. Es gilt: Wer mit seinem Fahrrad im überfüllten Regionalzug keinen Platz findet oder wegen einer Verspätung der Regionalbahn den Anschlusszug verpasst, für den ist die Weiterbeförderung mit Fahrrad nicht möglich. Daher ist es auf jeden Fall sinnvoll, mit einem früheren Regionalzug zum Umsteigen auf den Fernverkehr anzureisen, um auf Nummer sicher zu gehen.
Ticketbuchung
Wer mit Fahrrad im Fernverkehrszug verreisen will, muss ein Fahrradticket inklusive Stellplatz buchen. Das ist frühestens sechs Monate vor Fahrtantritt über alle gängigen Kanäle möglich: am Ticketschalter, in der Tickethotline, über die DB-Website oder die DB Navigator App. Gruppen ab sechs Personen können nur am Schalter oder telefonisch buchen. Ein Fahrradticket inklusive Reservierung kostet 9 Euro ohne BahnCard-Rabatt. Im Nahverkehr reicht das Fahrradticket, Reservierung gibt es keine. Viele Bundesländer bieten verbundübergreifende Fahrrad-Tageskarten an, die meist um die 6 Euro kosten.
Welche Fahrräder dürfen mit?
Im Fernverkehr der DB: Alle handelsüblichen Fahrräder, einschließlich E-Bikes, aber keine Speed-Pedelecs. Die Halterungen im Zug sind für Reifenbreiten zwischen 40 und 60 Millimeter ausgelegt. Zusammengeklappte Falträder oder Fahrradanhänger und Kinderräder müssen als Handgepäck in den Gepäckablagen verstaut werden. Tandem-, Liege- oder Dreiräder nimmt die DB nur in Ausnahmefällen mit, Lastenräder sind komplett ausgeschlossen.
Im Regionalverkehr gibt es keine einheitlichen Bedingungen. Jeder Verkehrsverbund hat eigene Regeln. Soll ein spezielles Fahrrad transportiert werden, am besten vorher die Beförderungsbedingungen des jeweiligen Verkehrsverbundes lesen.
Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP)
Alle Reisende, egal ob mit Bus, Zug, Schiff oder Flugzeug, haben bestimmte Rechte, die in verschiedenen Verordnungen auf nationaler und EU-Ebene definiert sind. Fühlen sich Reisende von den Verkehrsunternehmen in ihren Rechten verletzt, zum Beispiel wenn eine Entschädigung nicht gezahlt wird, können sie sich an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) wenden. Die SÖP ist eine anerkannte, neutrale Schlichtungsstelle für die außergerichtliche Streitbeilegung in individuellen Streitfällen zwischen Reisenden und Unternehmen. Über 400 Verkehrsunternehmen kooperieren mit der SÖP und tragen die Kosten für die Streitbeilegungen. Für die Reisenden ist der Service der SÖP kostenlos.
Die SÖP entstand aus der Schlichtungsstelle Mobilität heraus, die der VCD 2006 gegründet hat und viele Jahre selbst betrieb. Heute ist der VCD Mitglied im Beirat der SÖP, vertreten durch VCD-Vorstandsmitglied Katja Diehl.
Katharina Baum
arbeitet seit 2020 als Volontärin beim VCD-Magazin fairkehr.
katharina.baum@fairkehr.de