Globalisierung und Profitstreben haben dazu geführt, dass Rohstoffe, Zwischenprodukte und Fertigwaren teils mehrfach um den Globus transportiert werden, bevor sie bei uns als T-Shirts, E-Bikes oder Smartphones in den Handel kommen. Die Lieferketten führen dorthin, wo die Arbeit am billigsten, die Produktionsbedingungen am besten oder das Know-how am größten ist. Waren aus der ganzen Welt sind für uns im Online-Handel nur ein paar Klicks entfernt und wir bekommen sie nur wenige Tage später an unsere Haustür geliefert. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Regale in Läden stets gut gefüllt sind und Supermärkte alles von thailändischen Nudeln bis zu kenianischen Mangos bereithalten. Selten machen wir uns Gedanken darüber, wie diese Produkte zu uns gelangen und welche Strecke sie mit welchen Verkehrsmitteln zurückgelegt haben. Wer die Verkehrswende will, muss die Augen öffnen für Schäden, die der Güterverkehr anrichtet, und Probleme, die dieser Transport verursacht.
Der Güterverkehr hat in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen. Die Güterverkehrsleistung in Deutschland stieg zwischen 1991 und 2019 um 75 Prozent. Und zwar hauptsächlich auf der Straße – was jeder an den Lkw-Kolonnen auf deutschen Autobahnen sehen kann. Der Straßengüterverkehr hat sich hierzulande in den letzten 30 Jahren glatt verdoppelt und auch in den Pandemiejahren 2020 und 2021 kaum abgenommen. Dieser Zuwachs ging vor allem zulasten der umweltfreundlicheren Verkehrsmittel Bahn und Binnenschiff. Hatte deren Anteil 1991 noch etwa 34,5 Prozent ausgemacht, ist er laut Umweltbundesamt inzwischen auf rund 26 Prozent geschrumpft – wobei die Bahn 19 Prozent der Verkehrsleistung erbringt, die Binnenschifffahrt rund 7 Prozent.
Laut Verkehrsprognose der Bundesregierung wird sich die Transportleistung bis 2030 gegenüber 2010 um weitere 38 Prozent erhöhen. Zwar soll die Schiene mit 43 Prozent stärker wachsen als der Transport per Lkw mit plus 39 Prozent; an der Vormachtstellung der Straße wird dies nichts ändern. Und wie die Bundesregierung tatsächlich mehr Güter auf die völlig überlastete Schiene bringen will, steht in den Sternen.
Drei Effekte haben wesentlich zur Dominanz des Lkw beigetragen. Zuerst der Güterstruktureffekt: Er bezeichnet den steigenden Anteil an kleinen, hochwertigen Gütern, wie zum Beispiel Elektronikgeräten, die vor allem mit dem Lkw und zunehmend auch per Flugzeug transportiert werden. Der Logistikeffekt zeigt an, wie tief Transporte mittlerweile in den Produktionsprozess integriert sind: Güter müssen just in time zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sein, um dort zum Beispiel in ein Produkt eingebaut zu werden. Und dann gibt es noch den Liberalisierungs- und Deregulierungseffekt: Der komplett offene europäische Binnenmarkt und Güterverkehr führte ab 1993 zu steigendem Wettbewerb und in der Folge zu sinkenden Transportpreisen auf der Straße, zur Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigerem Lohnniveau – und damit zu noch mehr Verkehr.
In diesem Wettbewerb konnte und kann die Bahn nicht mithalten: Während auf der Straße der grenzenlose Warenverkehr Realität ist, herrscht auf der Schiene noch immer Kleinstaaterei: Beim Grenzübertritt braucht es in jedem Land ein eigenes Eisenbahnunternehmen, Stopps, womöglich mit einem Wechsel der Lok von Diesel auf Elektro und einen neuen Lokführer mit zertifiziertem Sprachtest, der oder die die jeweilige Landessprache beherrscht. Denn kaum zu glauben: Anders als im internationalen Flugverkehr hat sich bei der Eisenbahn Englisch als Verkehrssprache nicht etablieren können.
Güterverkehr gefährdet Klimaziele
Deutschland hat 2021 seine nationalen Klimaschutzvorgaben im Klimaschutzgesetz verschärft. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 verringert werden, bereits ab 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Das Klimaschutzgesetz enthält auch Zwischenziele für die einzelnen Sektoren. Danach muss der Verkehr seine Emissionen bis 2030 nahezu halbieren – wovon noch nichts zu sehen ist. Wesentliche Ursache für den schleppenden Fortschritt ist das Wachstum des Straßengüterverkehrs. Trotz technischer Verbesserungen erhöhten sich die CO2-Emissionen gegenüber 1995 um 21 Prozent. Insgesamt verursachen Lkw derzeit etwa ein Drittel der Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor.
Bezogen auf die Verkehrsleistung emittieren Lastwagen rund viermal mehr CO2 als die Bahn. Allen voran die schweren Lkw und Sattelzüge über 15 Tonnen. Sie verbrennen 30 bis 40 Liter Diesel auf 100 Kilometer und sind für zwei Drittel der Treibhausgasemissionen beim Lkw-Verkehr verantwortlich. Vor allem diese Fahrzeuge müssen ihren Verbrauch senken und auf emissionsfreie Antriebe umstellen.
Auch der Transport auf der letzten Meile, also dem Weg vom letzten Umschlagzentrum bis zur Auslieferung an die Kund*innen, verursacht viele Treibhausgase. Die Dieseltransporter bis 3,5 Tonnen müssen dekarbonisiert werden – es braucht mehr Einsatz von Elektrofahrzeugen und Lastenrädern.
Hohe Kosten durch den Güterverkehr
Marode und gesperrte Autobahnbrücken, Dauerbaustellen im Schienennetz – das deutsche Verkehrsnetz in der Mitte Europas ist extremen Belastungen ausgesetzt. Die Kosten für die notwendigen Sanierungen gehen in die Milliarden. Hauptverursacher der Schäden bei Straßen und Brücken sind wiederum die Lkw, deren zulässige Gewichte und Achslasten in den vergangenen Jahren immer weiter erhöht wurden. Mit zunehmender Achslast steigt die Straßenbelastung exponentiell. Die TU Hamburg verdeutlicht dies an einem Beispiel: Ein 40-Tonner mit einer Achslast von 10 Tonnen beansprucht die Straße bis zu 160?000-mal stärker als ein Pkw. Wachsender Lkw-Verkehr führt zu einem überproportionalen Anstieg von Straßenschäden.
Die Lkw-Maut, die die Infrastrukturkosten decken soll, gilt bisher nur für Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen und nur auf Autobahnen und Bundesstraßen, nicht auf Landes- und Gemeindestraßen. Sie sollte alle Straßen sowie alle Lkw ab 3,5 Tonnen umfassen. Laut einer neuen EU-Regelung soll eine CO2-Komponente die Lkw-Maut ab 2024 in allen Mitgliedstaaten ergänzen, damit ein Anreiz für emissionsfreie Lkw entsteht. Außerdem hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgehalten, dass das Geld aus zusätzlichen Mauteinnahmen auch Alternativen zugutekommen soll – also zum Beispiel der Finanzierung klimafreundlicher Mobilität auf der Schiene.
Auch die schädlichen Auswirkungen auf Umwelt, Natur und die menschliche Gesundheit durch Luftschadstoffe, Lärm und Unfälle verursachen neben Leid und Zerstörung immense Kosten. Diese sogenannten externen Kosten trägt zum größten Teil die Allgemeinheit. Das Schweizer Forschungsinstitut INFRAS beziffert sie für den Güterverkehr auf 32,5 Milliarden Euro. Zu 90 Prozent ist dafür der Straßengüterverkehr verantwortlich, also wieder die Armada der Last- und Lieferwagen. Allein die Kosten, die der Güterverkehr durch Lärm verursacht, belaufen sich auf rund 4 Milliarden Euro jährlich – da ist dann zu rund einem Viertel der Eisenbahnverkehr dabei. Denn natürlich leiden nicht nur Menschen an verkehrsreichen Straßen, sondern auch Anwohner viel befahrener Schienenstrecken oder im Einzugsbereich von Flughäfen sehr unter Verkehrslärm und tragen gesundheitliche Schäden davon.
Auch Unfälle verursachen erhebliche Schäden und Kosten. Jährlich gibt es über 20?000 Straßenverkehrsunfälle mit Personenschaden unter Beteiligung von Güterfahrzeugen – in über der Hälfte sind die Lkw-Fahrer*innen Hauptverursacher. Aufgrund der Größe und Masse der Fahrzeuge sind die Folgen immer besonders schwer. Häufigste Fehlverhalten sind Abstandsfehler und Fehler beim Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren. Besonders tragisch sind die Lkw-Abbiegeunfälle in Innenstädten, die für Radler*innen, Fußgänger*innen und Kinder meist tödlich enden. Allein in Berlin wurden nach Zählungen des Vereins Changing Cities in den letzten fünf Jahren 26 Menschen von abbiegenden Lkw getötet. Die Forderung nach einer technischen Nachrüstung, die den sogenannten Toten Winkel besser sichtbar macht, besteht seit langem. Alle Verkehrsminister der letzten Jahrzehnte haben es EU-weit verschleppt. Erst ab Juli 2022 sind Abbiegeassistenten für neue Fahrzeugtypen und ab Juli 2024 für neue Fahrzeuge verpflichtend. Für die Nachrüstung alter Fahrzeuge gibt es keine Verpflichtung, aber Zusagen und Fördermittel, es trotzdem zu tun.
Der Güterverkehr braucht ein Gesamtkonzept
Der überbordende Güterverkehr ist eine Plage und der Transport auf der Straße nur deshalb so günstig, weil er die Kosten für Klima, Umwelt und Gesundheit nicht selbst trägt, sondern auf die Allgemeinheit abwälzen kann. Das muss sich ändern.
Eine Strategie für einen klimaverträglichen Güterverkehr setzt an mehreren Stellen an: In erster Linie müssen Güterverkehrsaufkommen und -leistung insgesamt sinken und sinnlose Transporte und Leerfahrten vermieden werden. Der Transportsektor insgesamt braucht neue Antriebe und eine weitestgehende Verlagerung von Gütern auf die weniger klimaschädlichen Verkehrsmittel Bahn und Binnenschiff – vor allem auf langen Distanzen.
Auf der Kurzstrecke sollten zukünftig nur noch emissionsfreie Fahrzeuge verkehren. Gerade in den Städten, wo viele Menschen leben und unterwegs sind, ballen sich die Verkehre der Wirtschaft und des Handels. Hier bedeutet Güterverkehr fast immer noch Straßengüterverkehr, denn die Möglichkeiten, der Verlagerung auf andere Verkehrsmittel sind begrenzt. Die städtische Logistik braucht deshalb dringend innovative Konzepte, die auch Lastenräder miteinbeziehen.
Aber der Güterverkehr hat nicht nur ein Klimaproblem. Bei einer stärkeren Verlagerung von Transporten auf Binnenschiffe wächst dort die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Modernisierung der Schiffsflotte; der Ausbau von Bahnstrecken muss den Lärmschutz beachten; und nicht zuletzt verursachen auch emissionsfrei angetriebene Lkw Schäden an Straßen oder Brücken und Feinstaubemissionen durch Reifenabrieb. Priorität sollte deshalb die Reduktion des Transportaufkommens insgesamt haben. Der Güterverkehr braucht ein Gesamtkonzept, das alle Verkehrsträger berücksichtigt, und dessen zentrale Strategie lautet: Vermeiden, Verbessern, Verlagern.
Weitere Infos und Grafiken zum Güterverkehr: www.vcd.org/factsheet_gueterverkehr
Uta Linnert
ist Chefredakteurin beim VCD-Magazin fairkehr.
uta.linnert@fairkehr.de
Michael Müller-Görnert
arbeitet als Verkehrspolitischer Sprecher beim VCD.
michael.mueller-goernert@vcd.org
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Katharina Klaas
Projektbearbeitung »Verkehrswende: klimaverträglich und sozial gerecht«
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