Spätestens seit dem VW-Skandal im September 2015 ist der breiten Öffentlichkeit klar, dass Autohersteller bei Abgastests betrügen. Die amerikanische Umweltbehörde EPA hatte den VW-Konzern überführt, bei Diesel-Fahrzeugen mithilfe einer Software die Messwerte des offiziellen Abgastests zu manipulieren. Die Software erkennt, wann der Abgastest erfolgt und sorgt dafür, dass der Motor in dem Moment im optimalen Kernfeld läuft und das Auto die Schadstoffgrenzwerte einhält. Im Realverkehr liegen die Emissionen der gesundheitsschädigenden Stickoxide (NOx) bis zum 25-fachen pro Kilometer höher. Dieses Vorgehen ist illegal und gefährdet darüber hinaus die Gesundheit von Menschen und die Umwelt.
Realitätsferne Verbrauchsangaben der Autohersteller auch beim CO2- und Spritverbrauch
Aber nicht nur bei den Schadstoffemissionen manipulieren Autohersteller die Messwerte, sondern auch beim Klimagas CO2, und damit beim Spritverbrauch. Laut der internationalen Forschungsorganisation ICCT lagen die CO2-Emissionen und Verbräuche neuer Pkw in Europa 2017 durchschnittlich um 42 Prozent höher als die offiziellen Herstellerangaben.
Vor allem seit dem Beschluss der EU im Jahr 2008, CO2-Grenzwerte für Autos festzulegen, hat sich die Lücke zwischen Herstellerangaben und Realverbrauch immer mehr vergrößert. Mit der Folge, dass nur ein Drittel der von den Herstellern zwischen 2008 und 2014 proklamierten Verbrauchsminderungen auch tatsächlich auf der Straße stattfand. Seitdem stagnieren die Werte in der Realität.
Das liegt am Testverfahren. Bis 2018 wurden die Verbräuche und CO2-Werte von Neufahrzeugen im sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) gemessen. Dieses Verfahren legte die Prüfbedingungen und Geschwindigkeitsabläufe für die Fahrzeuge im Test auf einem Rollenprüfstand fest. Das zugrunde gelegte Fahrprofil war allerdings völlig realitätsfern. Zudem konnten Automobilhersteller durch Tricks wie extrem aufgepumpte Reifen oder abgeklebte Kühlergrills die Messergebnisse manipulieren, die in der Folge völlig unrealistisch waren.
Neuer WLTP-Test löst realitätsfernen NEFZ ab
Da die Schwächen des NEFZ immer offensichtlicher wurden, hat die EU gemeinsam mit Partnern im Rahmen der UN mit dem WLTP (world-harmonized light duty test prozedure) ein neues, realitätsnäheres Testverfahren zur Ermittlung von Schadstoffemissionen und Kraftstoffverbauch von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen entwickelt. Der WLTP gilt in der EU seit dem 1. September 2018 für alle Neuwagen.
Unterschiede zwischen WLTP und NEFZ
- Der neue Test dauert 30 statt 20 Minuten, es wird deutlich häufiger beschleunigt, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 131 km/h (im NEFZ wurden maximal 120 km/h gefahren).
- Es wird stärker beschleunigt und gibt weniger Standphasen. Durch die deutlich höhere Dynamik erhöht sich die Durchschnittsgeschwindigkeit von 33,6 km/h auf 46,6 km/h.
- Der Test findet bei maximal 23 Grad statt und wird auf die in Europa übliche Durchschnittstemperatur von 14 Grad umgerechnet. Beim NEFZ galt eine Temperaturspanne von 20 bis 30 Grad.
- Messungen müssen an einem vollausgestatteten Fahrzeug durchgeführt werden. Bislang galt das jeweils nur für die Serienausstattung eines Fahrzeuges.
- Da Sonderausstattungen, wie z.B. ein Schiebedach, Heckspoiler oder verschiedene Reifen mit individuellem Rollwiderstand, das Fahrzeuggewicht oder die Aerodynamik beeinflussen, müssen Automobilhersteller künftig neben der Messung eines vollausgestatteten Fahrzeugs auch weitere Messungen mit anderen Ausstattungsstufen durchführen. So ergibt sich eine Bandbreite unterschiedlicher Kraftstoff- und CO2-Angaben, je nach gewählter Ausstattung.
- Die Klimaanlage bleibt weiterhin ausgeschaltet.
Der WLTP ist ein erster wichtiger Schritt, damit die Angaben zum Verbrauch und zum CO2-Ausstoß neuer Modelle realistischer werden. Allerdings werden die Emissionen beim WLTP weiterhin im Labor auf einem Rollenprüfstand gemessen. Entsprechend werden Hersteller weiterhin Schlupflöcher nutzen und Fahrzeuge für den Test optimieren, um niedrigere Werte zu produzieren. Da der NEFZ weiterhin die Basis für die CO2-Grenzwertvorgaben für 2020/2021 bildet, werden die WLTP-Werte in NEFZ-Angaben umgerechnet. Erst für die ab 2025 geltenden CO2-Grenzwerte ist der WLTP alleinige Berechnungsgrundlage.
Die Gefahr: Hersteller nutzen die Übergangsphase, um höhere WLTP-Werte zu produzieren, gleichzeitig aber Autos weiterhin auf den NEFZ zu optimieren. Dies erhöht die Absprungbasis für 2025. Allein durch die dann erfolgende Optimierung der Fahrzeuge auf den WLTP-Test, können die CO2-Werte verringert werden, ohne tatsächlich die Effizienz zu verbessern. Daher: in der Realität ändert sich nichts. Dieses Schlupfloch muss dringend geschlossen werden.
Allerdings profitieren Verbraucher*innen noch nicht von den realitätsnäheren Angaben. Autohersteller müssen nach wie vor lediglich die veralteten und niedrigeren NEFZ-Werte in der Werbung, in Verkaufsprospekten und im Autohaus angeben. Erst im Herbst 2020 sollen die Regeln des Pkw-Labels zur Kennzeichnung von Spritverbauch und CO2-Emission geändert und die Angabe der WLTP-Werte zur Pflicht werden.
Gefordert sind klare Testbedingungen und eine konsequente CO2-Politik
Der VCD fordert die Bundesregierung auf, sich klar für die Einhaltung der CO2-Grenzwerte einzusetzen und dafür zu sorgen, dass Schadstoff- und Verbrauchsmessungen ehrliche Werte liefern.
- Das realitätsnähere Testverfahren WLTP muss so schnell wie möglich durch CO2-Messungen im Realverkehr (Real Driving Emissions - RDE) ergänzt werden.
- Die CO2-Grenzwerte für Pkw-Flotten müssen auf den RDE-Tests beruhen.
- Verbindliche Nachprüfungen an zufällig ausgewählten Serienfahrzeugen sind ergänzend zu den ab 2017 erfolgenden Realmessungen der Schadstoffemissionen auch bei CO2 vorzusehen.
- Der Verstoß gegen Messregularien sollte in ganz Europa als Betrug mit hohen Geldstrafen für die Hersteller und mit strafrechtlichen Konsequenzen für verantwortliche Manager geahndet werden.
- Eine Aktualisierung des Pkw-Labels ist überfällig, damit Verbraucher*innen auf Basis realitätsnäherer Verbauchs- und CO2-Werte ihre Fahrzeugwahl treffen können.