111 Tage. So lange hielt das Tempolimit, das 1973 vom sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt vorübergehend eingesetzt wurde, um den Erdölverbrauch im Rahmen der Ölpreiskrise zu drosseln. Für sechs Monate sollte Tempo 80 auf Landstraßen und Tempo 100 auf Autobahnen gelten. Es scheiterte aber vorzeitig am großen Protest verschiedener Automobilverbände und Teilen der Zivilgesellschaft.
Heute ist das Meinungsbild in Deutschland ein anderes. Laut einer Umfrage des ADAC sind 50% seiner Mitglieder für ein generelles Tempolimit, während 45% es ablehnen. Verbände, Politiker und Verkehrsexpert*innen diskutieren vermehrt Tempolimits auf Autobahnen und Tempo 30 innerorts. Was dabei oft außer Acht gelassen wird, ist die Bedeutung einer höheren Geschwindigkeitsbegrenzung auf Landstraßen. Darunter werden alle Außerortsstraßen (Bundes-, Land- und Kreisstraßen), die nicht als Autobahn klassifiziert sind, zusammengefasst. Denn dort ereignen sich die meisten tödlichen Verkehrsunfälle: Knapp 59 Prozent aller Verkehrstoten wurden 2020 auf Landstraßen registriert – obwohl nur 40 Prozent der Kfz-Fahrleistungen dort zusammenkommen. Im Durchschnitt verlor dort alle fünfeinhalb Stunden ein Mensch sein Leben. Gründe warum Landstraßen so gefährlich sind gibt es genügend.
Gründe für ein höheres Unfallrisiko auf Landstraßen
- Auf Landstraßen fährt alles – neben Pkw und Lkw auch Fahrräder und Trecker. Dadurch ergeben sich große Tempounterschiede und aufgrund der fehlenden Trennung zum Gegenverkehr kommt es häufig zu gefährlichen Überholmanövern. Laut einer Studie des DVR kam fast jede*r Zweite, der/die regelmäßig auf einer Landstraße unterwegs ist, bereits mindestens einmal in eine kritische Situation mit dem Gegenverkehr.
- Landstraßen sind oft schmal, kurvig oder in einem schlechten Zustand und daher nicht geeignet für Tempo 100.
- Zahlreiche Kreuzungen und Hindernisse am Straßenrand, wie Büsche oder Bäume, erhöhen ebenfalls das Unfallrisiko.
Zu schnelles Fahren ist eine der Hauptunfallursachen auf Landstraßen. Hohes Tempo ist aber auch bei anderen Unfallursachen im Spiel, wie z.B. beim Nichtbeachten der Vorfahrt, wenn das vorfahrtberechtigte Fahrzeug zu schnell unterwegs ist. Auch Abstandsunfälle hängen fast immer mit der gefahrenen Geschwindigkeit zusammen.
Kleiner Eingriff, großer Effekt
Um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, fordert der VCD seit Jahren ein Absenken der Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen auf 80 km/h. Das würde die Reaktionszeit erheblich reduzieren, wie folgende Rechenbeispiele zeigen: Bei Tempo 100 legt ein Pkw fünf Meter mehr zurück als ein Auto mit 80 km/h – und das pro Sekunde. Bei einer Vollbremsung mit 100 km/h kommt ein Auto nach frühestens 50 Metern zum Stillstand. Mit 80 km/h gelingt dies bereits nach 32 Metern. Geringere Geschwindigkeiten verringern aber nicht nur das Unfallrisiko, sondern leisten auch einen Beitrag zur Verringerung von Lärm und CO2.
Mit der Forderung nach einem Absenken der Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen ist der VCD nicht allein. Viele Verbände sprechen sich dafür aus. Innerhalb Europas gelten zudem in fast allen Ländern niedrigere Höchstgeschwindigkeiten auf Landstraßen als in Deutschland. Einzig in Portugal und Österreich können Autofahrer*innen außerorts ebenfalls 100km/h fahren.
Mit niedrigeren Höchstgeschwindigkeiten lässt sich die Zahl der Toten und Verletzten in Deutschland auch innerorts und auf Autobahnen senken. Die letzte Bundesregierung hat sich zur Vision Zero, null Verkehrstote im Straßenverkehr, verpflichtet. Der VCD nimmt sie beim Wort und fordert deshalb von der neuen Regierung konkrete Maßnahmen. Neue Höchstgeschwindigkeiten – Tempo 30 innerorts, 80 km/h auf Landstraßen und Tempo 120 auf Autobahnen – sind sofort wirksam und retten Menschenleben im Straßenverkehr.
Kontakt
Julia Nothnagel
Trainee für politische Kommunikation und klimafreundliche Verkehrspolitik