Dabei ist es für Kinder und Jugendliche sehr wichtig, eigenständig mobil zu sein. Nicht nur die dadurch verbesserte räumliche Orientierung bringt ihnen viele Vorteile: Kinder und Jugendliche beginnen auch automatisch, sich stärker mit ihrem Wohnumfeld zu identifizieren und haben so die Möglichkeit, soziale Bindungen besser aufzubauen und zu stärken. Das Erleben des Straßenraums fördert darüber hinaus ihre Kreativität, weil er keine Themen vorgibt, wie andere Orte des Spielens und Lernens - sprich Kindertagesstätten, die Schule, oder der Sportverein. Zwar wird sich auch hier bewegt, doch führt die starke Organisation des Alltags heute dazu, dass die Wege dorthin nicht mehr selbstständig bewältigt werden. Dieser Entwicklung, die auch als „Verhäuslichung“ oder „Verinselung“ bezeichnet wird, wirkt eine selbstständige Mobilität entgegen und ermöglicht stattdessen bereits in jungen Jahren ein Gefühl von Freiheit. Wer zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule kommt, ist außerdem wacher, kann sich besser konzentrieren und beugt nebenbei Übergewicht und anderen gesundheitlichen Problemen vor.
Daher ist nachhaltige und eigenständige Mobilität nicht nur ein wichtiges Thema für die Kinder und Jugendlichen selbst oder deren Eltern. Auch Schulen können davon profitieren, der Mobilität ihrer Schüler und Schülerinnen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Fahrrad fahren und zu Fuß Gehen schulen den Teamgeist und tragen zu einem positiven sozialen Klima in den Klassen und in der Schule bei. Das Fahrrad fördert zudem motorische und koordinative Fähigkeiten und hilft so, Unfällen und Verletzungen vorzubeugen - sowohl im Verkehr als auch in der Schule. Die vielseitige Einsetzbarkeit des Fahrrads zeigt sich im Unterricht, in den Nachmittagsangeboten der Ganztagsschule, bei Exkursionen oder auch bei Klassenausflügen.
Nachhaltige Mobilität bietet als Bildungsthema einen besonders guten Zugang zum komplexen Ansatz der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Denn Mobilitätsbildung ist praxisnah, sie bietet die Möglichkeit zum individuellen Handeln, ermöglicht es, komplexe Zusammenhänge anhand von konkreten Alltagssituationen zu begreifen und lässt Erfahrungen auf verschiedenen Sinnesebenen zu.
Daher stellen wir als ökologischer Verkehrsclub VCD gemeinsam mit der Aktion Fahrrad folgende Forderungen:
1. an die Bundesebene
- Ein fußverkehrs- und fahrradfreundliches Schulumfeld schaffen. Alle Straßen, die laut Schulwegeplänen von Kindern benutzt werden, sollten prioritär fußverkehrs- und fahrradfreundlich umgestaltet werden, d.h. die Umsetzung kinderfreundlicher Planungen muss in der StVO vereinfacht werden:
- Umsetzung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts und speziell auf Straßenabschnitten in Schulnähe für mehr Übersicht und einen kürzeren Anhalteweg. Die Entscheidungskompetenz für die Anordnung von Tempo 50 auf Hauptverkehrsstraßen als Ausnahme muss bei den Kommunen liegen.
- Fahrradstraßen, die sich im Umfeld von Schulen befinden, können von den Kommunen ohne Nachweis von Nutzerzahlen einfach ausgewiesen werden.
- Senken der rechtlichen Hürden für die Einrichtung von Fußgängerüberwegen (Zebrastreifen). Auch in Tempo-30-Zonen sollten Zebrastreifen einfach eingesetzt werden können.
- Generelles Halte- und Parkverbot im direkten Schul-Umfeld, um allen Kindern einen sichereren Schulweg zu ermöglichen.
- Elternhaltestellen als Zusatzzeichen in die StVO aufnehmen für unbedingt notwendige Pkw-Fahrten. Solche Haltestellen ermöglichen Kindern einen sichereren Fuß- und Radverkehr und ordnen den Bring- und Abholverkehr mit dem Elterntaxi.
- Verpflichtender Einbau von Brems- und Abbiegeassistenten in alle LKW, damit diese beim Abbiegen automatisch stoppen, wenn Radfahrende sich im toten Winkel befinden.
- Mehr Kontrollen und höhere Bußgelder im Schulumfeld, damit die gesetzlichen Vorgaben auch eingehalten werden (beispielsweise hinsichtlich Falschparken oder Geschwindigkeitsüberschreitungen im Schulumfeld). Bußgelder für Falschparkende sollen auf das Niveau europäischer Nachbarländer (z.B. Dänemark oder Niederlande) angehoben werden.
- Aufnahme der Pflicht für Fahrlehrer zum erfolgreichen Abschluss einer Radfahrausbildung in das Fahrlehrergesetz, z.B. Ausbildung analog unserer Lehrerausbildung in NRW mit dem Landessportbund NRW.
2. an die kommunale und Landesebene
- Das Fahrrad in die Schulen bringen:
- Integrierte Schulmobilitätspläne und Mobilitätsbildung verpflichtend festlegen. (Rad)Schulweg- sowie Lehrpläne für Mobilitätsbildung sind eine geeignete Maßnahme für eine sichere Verkehrsbeteiligung der Kinder. Die Aufstellung von Schulmobilitätsplänen und die dafür nötigen Beteiligungsverfahren (auch von Kindern) müssen auf Bundesebene verbindlich gesetzlich geregelt werden.
- Auf Landesebene muss Mobilitätsbildung als fester Bestandteil in die Lehrpläne der Primar- und Sekundarstufen aufgenommen werden und Radfahren in der Lehrerausbildung berücksichtigt werden.
- Verpflichtendes Erstellen von Radschulwegplänen für Schulen in Abstimmung mit der Straßenverkehrsbehörde, der Polizei und den Schüler*innen.
- Ermittlung der Hauptschulwegrouten und Durchführung einer Sicherheitsauditierung in mindestens dreijährigem Abstand.
- Gestufte Fahrradausbildung beginnend ab dem ersten Schuljahr, darauf aufbauend eine motorische Fahrradprüfung im dritten Schuljahr und eine Verkehrsprüfung im ersten Halbjahr des vierten Schuljahres.
- Grundsätzliche Trennung von Fuß- und Radverkehr.
- Ermittlung von Kinderunfallschwerpunkten neben den „normalen Unfallschwerpunkten“. Hierfür sollten die Anforderungen zur Ausweisung einer Verkehrsfläche als Unfallschwerpunkt niedriger angesetzt werden z.B. „zwei leichtverletzte Kinder < 16 Lebensjahren“. Verpflichtung zur Beseitigung der Unfallschwerpunkte innerhalb von zwei Jahren nach Feststellung und strukturelle Verbesserungen aus den Schulweg-Sicherheitsauditierungen innerhalb von drei Jahren nach deren Feststellung.
- Mehr Fahrrad- und Rollerstellplätze an Schulen. Diese müssen ausreichend vorhanden und qualitativ hochwertig sein, was in allen Landesbauordnungen vorgesehen werden sollte, mindestens in Höhe von 20% der durchschnittlichen Schüler*innenzahlen der letzten drei Jahre durch den Schulträger.
- Mehr Investitionen für den Radverkehr. Wir fordern Investitionen in Höhe von 25 Euro pro Einwohner durch Kommunen und Landkreise.
- Einrichtung einer Landesarbeitsgruppe für Kinder- und Jugendmobilität bestehend aus Vertreter*innen der Ministerien für Gesundheit, Verkehr, Inneres und Kultur (Schule). Ziel dieser Arbeitsgruppe soll die Auslobung von Projekten für Kommunen und freie Träger sein, die der Förderung der Kindermobilität und der wissenschaftlichen Aufbereitung der Effekte dienen.
3. an die Schule selbst
- Bahn frei fürs Fahrrad. Um den Blick der kommunalen Politik für die Bedarfe einer fahrradfreundlichen Schule zu schärfen, müssen auch die Schulen selbst das Thema an die Entscheidungsträger*innen herantragen. Analysen der Verkehrssituation als schulisches Projekt oder öffentlichkeitswirksame Aktionen auf dem Schulweg können dafür erste Schritte sein.
- Zur Infrastruktur der fahrradfreundlichen Schule gehört ebenfalls, dem Fahrrad im Umfeld der Schule genügend Platz einzuräumen. Schulen, die die nachhaltige Mobilität ihrer Schüler und Schülerinnen fördern wollen, sind dazu angehalten, geeignete Fahrradabstellanlagen einzurichten.
- Einen verbesserten Service fürs Fahrrad. Die Bereitstellung von Werkzeug und Hilfestellung bei der Reparatur von Fahrrädern ermöglichen einen zuverlässigen und sicheren Weg zur Schule.
- Klassenfahrten sollten mit dem Fahrrad umweltfreundlicher und aktiv gestaltet werden.
Anika Meenken
ist Sprecherin für Radverkehr und Mobilitätsbildung