Die unterschiedlichen föderalen Ebenen handeln in der Verkehrspolitik alles andere als einheitlich - und das ist für die Umsetzung der Mobilitäts- und Verkehrswende ein großes Problem. Die Hauptverantwortung dafür liegt vor allem beim Bund, leider gleich in mehrfacher Hinsicht:
Verkehrswende vor Ort – Die Kommunen brauchen mehr Handlungsspielraum
Der Bund ist verantwortlich für einen Rechtsrahmen, der insbesondere die Kommunen in ein Korsett schnürt, das die notwendigen Spielräume für den Wandel vor Ort erheblich einschränkt. Das beschämende Gerangel um die (ohnehin noch unzureichende) Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) ist dafür vielleicht aktuell das bekannteste Beispiel (aber bei weitem nicht das einzige). Straßen- und Straßenverkehrsrecht sind nicht nur nach wie vor eher an den Bedürfnissen des Autoverkehrs als an denen des Umweltverbunds ausgerichtet, in ihrer jetzigen Ausgestaltung hindern sie die Kommunen auch daran, das zu tun, was vor Ort die angemessene Lösung wäre. Anstatt der kommunalen Ebene die notwendigen Spielräume zu geben, um aus der Ortskenntnis heraus angemessen auf lokale Probleme reagieren zu können, bremst der Bund den Veränderungswillen aus.
Mehr noch: das schnöde Handeln bei der StVO-Novelle um geringere Sanktionierung von Autofahrenden, die sich verkehrs- und menschengefährdend verhalten haben, als Preis für die Zustimmung von Verbesserungen für den Radverkehr entlarvt diverse Äußerungen von verantwortlichen Akteuren auf Bundesebene hinsichtlich der Förderung des Umweltverbunds als reine Lippenbekenntnisse. Und dass der Bund entgegen aller fachlichen Vernunft immer noch an 50 km/h als der innerörtlichen Regelhöchstgeschwindigkeit festhält und die diesbezüglichen Reformbestrebungen verzögert, macht deutlich, dass es hier um ein grundsätzliches Problem geht.
Die heutige Bundesverkehrswegeplanung – Ein Weg in die Sackgasse
Inkonsistenz geht zudem einher mit Inflexibilität. Die Auseinandersetzungen um den Dannenröder Forst im Zuge des Baus der Autobahn A 49 haben gezeigt, dass die Zeiten vorbei sein müssen, in denen Jahrzehnte alte Planungen unverdrossen unverändert umgesetzt werden können, obschon sich entscheidende Rahmenbedingungen fundamental geändert haben. Das heißt nicht, dass die solchen Projekten zugrunde liegenden Anlässe einfach ignoriert werden sollen – selbstverständlich sind überlastete Ortsdurchfahrten ein relevantes Problem für die Menschen, die dort leben. Aber ein Konstrukt, dass ein Beharren auf nicht mehr zeitgemäßen, aber in Gesetzesform gegossenen Bedarfsplänen zur Grundlage von Verkehrsinfrastrukturpolitik macht, führt in die Sackgasse.
Und es gibt ja nicht nur die A 49: Für viele weitere Straßenbauvorhaben ähnlicher Dimension und mit ähnlicher Historie laufen weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit die planungsrechtlichen Verfahren weiter. Ohne ein Innehalten ist ein ähnlich bitterer Konflikt wie um die A 49 nur eine Frage der Zeit. Ein Stück neue Straße kann im Einzelfall (und begleitet durch Kapazitätsreduzierungen für den Autoverkehr an anderer Stelle) auch mal Sinn machen – aber dennoch (oder gerade deswegen): Der Bundesverkehrswegeplan muss auf den Prüfstand. Und zwar sofort.
Reformbedarf beim Bund auf institutioneller Ebene – Stringentes Handeln statt Ressortegoismus
Der Bund agiert auch selber allzu oft inkonsistent – hier rächt sich das Fehlen klarer verbindlicher politischer Ziele für die Mobilitäts- und Verkehrspolitik. Unterschiedliche Ressortinteressen werden gegeneinander ausgespielt, verzögern wichtige Vorhaben, stellen die Glaubwürdigkeit des Agierens des Bundes gerade bei diesem Thema in Frage. Das gilt auch für Ressortzuschnitte und Zuständigkeitsfragen, von der Odyssee des für Verkehr und Mobilität so wichtigen Bereichs Stadtentwicklung durch verschiedene Ministerien bis zur Situation, dass verschiedenste nachgeordnete Behörden mit unterschiedlichen Ressortzugehörigkeiten nebeneinanderher am Thema Mobilität und Verkehr arbeiten. Stringente Politik geht anders.
Gesellschaftlicher Dialog als Kern für Veränderung – Der Bund ist gefordert
Vielleicht auf lange Sicht das größte Problem ist die Untätigkeit des Bundes beim Diskurs mit der Gesellschaft. Trotz der einen oder anderen gegenteiligen Bekundung signalisiert der Bund immer noch viel zu häufig den Bürger*innen, dass es mit einem modifizierten „weiter so“ im Grunde auch gehen wird. Neue Antriebstechnologien hier, ein bisschen Digitalisierung dort – schon sind alle Probleme gelöst, mehr braucht es eigentlich nicht, schon gar nicht grundlegende Verhaltensänderungen bei der Mobilität. Bei einem Thema, dass (im Gegensatz zur Energiewende) viel stärker die Menschen in ihren eigenen Verhaltensroutinen berührt, ist das ein fatales Signal – vor allem für die politischen Entscheidungsträger*innen und Verwaltungen in Kommunen, die in ihren Städten aus guten Gründen einen fundamentalen Wandel bei der Gestaltung der Mobilität vor Ort herbeiführen wollen. Sie werden in ihrer Argumentation gegenüber der Stadtgesellschaft allein gelassen und geschwächt.
All dies muss sich nach weitgehend vertanen vier Jahren in der kommenden Legislaturperiode nach den Bundestagswahlen umgehend ändern. Die vom VCD initiierte Diskussion um ein Bundesmobilitätsgesetz kann da ein wichtiger, vielleicht entscheidender Baustein sein. Basierend auf wenigen wichtigen, aber klar formulierten Leitzielen und Maßgaben zur Anpassung anderer rechtlicher Vorschriften kann ein solches Gesetz wesentliche Barrieren für den notwendigen Wandel abbauen – von der StVO bis zum Bundesverkehrswegeplan.
Burkhard Horn
ist freiberuflicher Berater an der Schnittstelle Verkehrspolitik/Verkehrsplanung/Stadtentwicklung
und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des VCD
www.burkhardhorn.de