Wie ungerecht der Verkehr heute ist und warum wir die Verkehrswende brauchen

Die Sicht auf den Verkehr heute ist zu oft die Sicht durch die Windschutzscheibe, die Verkehrspolitik konzentriert sich auf die autogerechte Stadt. Was ist aber mit den Menschen, die sich kein Auto leisten können oder wollen?

| Klimafreundliche Mobilität Soziale Aspekte der Verkehrswende

Was ist mit denen, die an großen Straßen oder Autobahnen leben müssen, weil sie sich die Mieten im hübschen grünen Viertel nicht leisten können? Die jetzige Situation im Verkehr ist, ganz abgesehen von den Auswirkungen auf Umwelt und Klimaschutz, sozial ungerecht. Mobilität ist existenziell für uns. Wenn 13,5 Millionen Menschen in Deutschland keinen Führerschein besitzen und 14,2 Millionen Haushalte in Deutschland kein Auto haben, so wird Mobilität nicht dadurch gewährleistet, dass alle Strecken mit dem Auto zurückgelegt werden können. Gerecht sind ein gut ausgebauter und komfortabler öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), ein sicheres Radwegenetz und barrierefreie Fußwege, ergo, die Verkehrswende. Da wollen wir hin. Aber was ist eigentlich das Problem am Status Quo?   

Wie das Auto bisher bevorzugt wird 

Nicht nur das Verkehrs-, sondern auch unser Steuersystem begünstigen diejenigen, die ein Auto haben. Das zeigt sich an der sogenannten Pendlerpauschale, der finanzielle staatliche Zuschuss zum Arbeitsweg. Zwar kann diese auch für Bus und Bahn genutzt werden, doch dazu muss es diese Busse und Bahnen überhaupt geben. Sonst bleibt gerade im ländlichen Raum nur das Auto übrig. Zum anderen bekommen die Pendlerpauschale nur diejenigen, die diese von der Steuer absetzen können. Wer auf Grund eines geringen Gesamteinkommens keine Steuern zahlt oder Mittel vom Jobcenter bekommt, kann diese nicht beantragen. Viele Menschen mit geringem Einkommen* besitzen kein Auto und profitieren somit auch nicht von der Pendlerpauschale. 

Zum anderen belegen Untersuchungen, dass Menschen mit wenig Einkommen häufiger an den Straßen wohnen, wo viel Verkehr fließt und somit auch mehr Abgase und Lärm erzeugt werden.1 Hier sind die Mieten insbesondere in den Innenstädten oft nicht so hoch wie in begehrteren, ruhigen, verkehrsärmeren Wohnlagen. Die geringere Miete hat allerdings gesundheitsschädigende Wirkungen zur Folge. Hohe Mieten drängen Menschen nicht nur an die großen Straßen, sondern auch aus der Stadt heraus. Von dort pendeln sie häufig mit dem Auto in die Innenstadt zur Arbeit, wodurch wieder Emissionen produziert werden. Klima- und Umweltschutz? Fehlanzeige. Die lebenswerte Stadt darf keine Frage des Geldbeutels sein!  

Die wahren Kosten des Verkehrs werden nicht berücksichtigt 

Der Verkehr verursacht hohe externe Kosten, das sind Schäden, die uns alle betreffen: Veränderungen des Klimas, Luftverschmutzung, Verkehrsunfälle und Lärm.  Betrugen die externen Kosten des Verkehrs 2005 noch 80 Milliarden Euro, waren es 2017 149 Milliarden Euro. Den überwiegenden Anteil daran hat der Straßenverkehr mit etwa 95%.2 Wer zahlt das alles? Wir, die Steuerzahler*innen. Wer nur Fahrrad fährt, den ÖPNV nutzt oder zu Fuß geht, finanziert somit indirekt die Schäden des Autoverkehrs mit. Die wahren Kosten des Verkehrs werden also nicht auf diesen umgelegt. 

Autos sind nicht nur für die Allgemeinheit teuer, sie sind es auch für ihre Besitzer*innen. Diesen ist das tatsächliche Ausmaß der Kosten aber nicht bewusst. Eine Studie des RWI-Leibniz-Instituts, der Uni Mannheim und der US-Uni Yale zeigte: Autobesitzer*innen unterschätzen die Kosten für ihren Pkw um mehr als 50 Prozent. Die tatsächlichen monatlichen Ausgaben für Abnutzung, Steuer, Versicherung und etwa Werkstattbesuche eines Autos liegen im Durchschnitt bei rund 425 Euro. Die Eigentümer*innen eines Kfz gaben ihre Kosten im Schnitt mit 204 Euro an.3 Die wahren Kosten des Verkehrs sind also versteckt, verschleiert und vielen nicht bewusst. Auch der öffentliche Raum muss gerechter aufgeteilt werden. 

Ein Anwohnerparkausweis kostet in Deutschland höchstens jährlich 30,70 Euro. Ein Auto steht statistisch gesehen über 23 Stunden am Tag einfach nur rum und besetzt einen Parkplatz. Das ist öffentlicher Raum, der der Allgemeinheit gehört. In der Innenstadt wird kaum woanders Fläche so günstig vermietet. Die Kosten für den Erhalt eines Parkplatzes belaufen sich derweil in Berlin auf 220 Euro.4 Mit den Gebühren für einen Bewohnerparkausweis können also nicht einmal die Kosten dieses Erhalts bezahlt werden. Selbst wenn eine Kommune höhere Gebühren für einen Bewohnerparkausweis erheben will, darf sie das nicht. Zum Vergleich: In Stockholm muss dafür 827 Euro jährlich gezahlt werden. 

Für eine ökologische Steuerreform und Abgabenlast 

Die Belastung des Verkehrs ist weder fair noch umweltgerecht aufgestellt. Die umweltfreundliche Bahn muss auf jeden Kilometer eine Maut zahlen, den Trassenpreis und sie muss alle ihre Fahrten versteuern – auch wenn im Personenfernverkehr mittlerweile der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben statt 19% gilt. Der Flugtreibstoff Kerosin wird jedoch gar nicht besteuert und auf internationalen Verbindungen muss auch keine Mehrwertsteuer gezahlt werden. Der CO2-Ausstoß in der EU ist trotz des bereits vorhandenen Emmissionshandels bei Flügen innerhalb der EU 2019 um ein Prozent gestiegen, während der CO2-Austoß in der EU insgesamt gesunken ist.5 Der Verkehr bleibt damit das Sorgenkind des Klimaschutzes. Eine fairere Lastenverteilung kann dazu beitragen, dass umweltfreundlichere Verkehrsträger auch im Preis attraktiver werden. Zwar fordert uns aktuell die Corona-Pandemie heraus und in ihrer Folge bleiben viele Flugzeuge am Boden. Doch nach der Pandemie müssen wir die Chance nutzen, die umweltfreundlichen Verkehrsträger zu stärken und die Verkehrsinfrastruktur insgesamt krisenfester aufzustellen. Wie das gehen kann, haben wir in unserem Positionspapier „Neustart grüne Mobilität“ dargestellt. 

Wir alle kommen also für Kosten auf, die überwiegend vom Straßenverkehr verursacht werden. Eine faire Lastenverteilung ist das nicht. Zusätzlich schaden wir damit dem Klima und unserer eigenen Gesundheit. Autos müssen insgesamt weniger werden, sodass die Belastung der Allgemeinheit sinkt. Der ÖPNV muss eine komfortable Alternative zum Auto werden, gerade auch auf dem Land. Eine gute Rad- und Fußwegeinfrastruktur sorgt dafür, dass wir emissionsfrei und gesund unterwegs sind. Die Verkehrswende führt also unweigerlich zu einer sozial gerechteren Mobilität. 


* Eine Person gilt nach der EU-Definition für EU-SILC. (European Union Statistics on Income and Living Conditions) als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. 2018 betrug das durchschnittliche Nettoeinkommen in Deutschland 1.892,75 Euro monatlich. 60 % dieses Einkommens sind 1.135,65 Euro. Personen, die diesen Betrag oder weniger im Monat zur Verfügung haben, definieren wir als „Menschen mit geringem Einkommen“.

1 s. Weniger Einkommen, mehr Lärm und Abgase – Sozial Benachteiligte sind oft stärker belastet, Presseinformation des Umweltbundesamtes, https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/press/pd11-035_weniger_einkommen_mehr_laerm_und_abgase_sozial_benachteiligte_sind_oft_staerker_belastet.pdf, Dessau-Roßlau 29.06.2011
Lärm: Soundcheck Berlin, in: Der Tagesspiegel, https://www.tagesspiegel.de/themen/auge-und-ohr/laerm-soundcheck-berlin/13647416.html, ohne Datum (gelesen 2020) 

2 vgl. Kosten: Falsche Abrechnung – Zahlen sollen die Anderen, in: Mobilitätsatlas - Daten und Fakten für die Verkehrswende, hrsg. vom VCD und der Heinrich-Böll-Stiftung, www.vcd.org/themen/klimafreundliche-mobilitaet/mobilitaetsatlas , Berlin November 2019, S. 30/31 

3 s. Autos: (Sehr viel) teurer, als man denkt, in: Süddeutsche Zeitung, https://www.sueddeutsche.de/auto/autos-kosten-umwelt-1.4885295, 22.04.2020 Running a car costs much more than people think — stalling the uptake of green travel, in: Nature, https://www.nature.com/articles/d41586-020-01118-w, 20.04.2020 

4 s. Umparken – den öffentlichen Raumgerechter verteilen: Zahlen und Fakten zum Parkraummanagement, hrsg. von der “Agora Verkehrswende”, www.agora-verkehrswende.de/fileadmin/Projekte/2018/OEffentlicher_Raum_ist_mehr_wert/Agora-Verkehrswende_oeffentlicher-Raum_Factsheet_Auflage-3_WEB.pdf , 3. aktualisierte Auflage Berlin 2020,S. 3 

5 vgl. Pressemitteilung der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, https://ec.europa.eu/germany/news/20200505-treibhausgasemissionen_de, 5.5.2020   

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