Interview

Wie wir leben wollen: Autofrei Wohnen in München

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert setzen sich Gunhild Preuß-Bayer und Eva Döring für autofreies Wohnen in München ein. An der Gründung ihrer Initiative »Wohnen ohne Auto« war 1995 auch der VCD München beteiligt. Heute erzählen sie von langwierigen Abstimmungen mit der Stadt, dem ersten autofreien Wohnprojekt Münchens und darüber, wie unsinnige Stellplatzschlüssel zu überteuerten Fahrradstellplätzen führten.

| Wohnen und Mobilität

Wie ist die Idee zu »Wohnen ohne Auto« entstanden?

Gunhild Preuß-Bayer Sie kam uns, als der Bremer Umweltsenator Anfang der Neunzigerjahre ein autofreies Wohnquartier plante. Wir dachten, so etwas brauchen wir auch in München und gründeten 1995 unsere Initiative. Doch als das Bremer Projekt wegen eines Konjunktureinbruchs kurz darauf scheiterte, hieß es in der Presse nur: Seht her, autofreie Wohnprojekte funktionieren in der Praxis nicht!

Eva Döring Aber wir haben uns gesagt: Jetzt erst recht!

Preuß-Bayer Nachdem wir noch im selben Sommer beim Umwelttag auf viele Interessierte gestoßen waren, beschloss der Münchner Stadtrat, 200 autofreie Wohnungen in der neuen Messestadt im Osten der Stadt zu planen. Die Umsetzung durch das Planungsreferat war aber enttäuschend. Man hat uns nur gesagt: Wenn ihr ein autofreies Wohnprojekt machen wollt, werden wir euch keine Steine in den Weg legen. Damit war gemeint, dass die Stadt die in der Bauordnung des Landes festgeschriebene Stellplatzerrichtungspflicht umgeht, indem sie den Bau von Stellplätzen lediglich widerruflich stundet, nicht aber erlässt. Mittlerweile weiß ich, dass das schon ein sehr großes Entgegenkommen war.

Es ist Ihnen gelungen, bis 1999 das erste autofreie Wohnprojekt in der Messestadt zu realisieren. Wie haben Sie das geschafft?

Preuß-Bayer Wir haben viel Unterstützung erfahren von den Baugenossenschaften, die sich in München seit den Achtzigerjahren gegründet hatten, vor allem von der WOGENO. So wurde 1999 zunächst die Baugemeinschaft »Autofrei Wohnen 1« mit 14 Haushalten in der Messestadt fertig. Parallel dazu entstand 2000 das autofreie WOGENO-Haus mit 28 Wohnungen, an dem wir auch mitgewirkt haben.

Welche Projekte kamen in den folgenden Jahren noch hinzu?

Döring Es folgten in der Messestadt noch »Autofrei Wohnen 2« mit zehn Wohnungen für Familien und »Autofrei Wohnen 4« mit 14 Haushalten in unterschiedlichsten Größen. »Autofrei Wohnen 3« mit 13 Wohneinheiten wurde in Schwabing realisiert.

Wie lange hat die Planungs- und Bauphase der autofreien Häuser gedauert?

Döring Meistens mehrere Jahre. Die Stadt hat Grundstücke leider oftmals später ausgeschrieben als angekündigt. Unsere Zeitpläne mussten wir deshalb immer wieder anpassen.

Preuß-Bayer Das hat es uns schwer gemacht, auch weil die Grundstücke mit der Zeit immer teurer wurden. Vor allem seit 2008 gab es große Preissprünge. So sind immer wieder Mitglieder der Baugruppen abgesprungen, weil es ihnen zu kostspielig wurde. Die, die geblieben sind, haben der Planung Kontinuität gegeben. Wir haben gemerkt: Man braucht Ankerpersonen.

Welche Vorteile hat das autofreie Wohnen?

Döring Natürlich spielt die Klima- und CO2-Problematik eine übergeordnete Rolle bei der Frage, ob wir auf Autos verzichten sollten. Aber es gibt auch viele lokale Vorteile: Die Luft wird sauberer und das Umfeld grüner und leiser. Und autofreie Wohngebiete sind insgesamt sicherer – vor allem für Kinder, die man einfach draußen herumlaufen und spielen lassen kann. Außerdem haben wir in den autofreien Häusern ein hohes Zusammengehörigkeitsgefühl und einen ausgeprägten Gemeinschaftsgedanken. Es gibt einen Grundkonsens, wie wir leben wollen.

Kommen Ihre Häuser denn ganz ohne Stellplätze aus?

Preuß-Bayer Nein, bei »Autofrei Wohnen 1 und 2« und dem WOGENO-Haus wurden von der Stadt 0,2 Stellplätze pro Wohneinheit verlangt; bei »Autofrei Wohnen 4« sollten es 0,3 sein, also insgesamt vier Stellplätze. Aber die Stadt ließ sich auf einen gebauten und drei abgelöste Stellplätze herunterhandeln. Diese wenigen Stellplätze sind Vorsorge für unerwarteten Bedarf, aber zugleich eine Gefahr für die Projekte, denn sie müssen teuer bezahlt werden.

Werden die Parkplätze genutzt?

Preuß-Bayer Genutzt schon. Aber halt nicht alle zum Parken von Autos: Bei unserem Projekt »Autofrei Wohnen 3« hat die Stadt 0,8 Stellplätze pro Wohneinheit vorgeschrieben, also insgesamt zehn, davon acht als Tiefgarage. Weil die Bewohner*innen aber überhaupt keine Autos besitzen, haben sie den Raum kurzerhand bunt angestrichen und zur unterirdischen Fahrradgarage umfunktioniert, frei von Abgasen. Gekostet hat die Tiefgarage trotzdem rund 200.000 Euro.

Wie bewegen Sie beide sich am liebsten fort?

Döring Ich laufe zehn Minuten zu Fuß zu den nächsten Läden und bin sonst bequem mit U- und Straßenbahnen unterwegs. Wenn ich mal irgendwo hinmuss, wo es keinen Bahnhof gibt, fahre ich mit dem »Stattauto«, einem Carsharing-Angebot.

Preuß-Bayer Auch ich fahre oft U-Bahn. Aber eigentlich bin ich Radfahrerin. Ich habe lange in der Stadtmitte gewohnt, da gibt es nichts Wichtiges, was sich nicht in fünf Minuten mit dem Fahrrad erreichen lässt.

Was erhoffen Sie sich – mit über 25 Jahren Projekterfahrung – von der Zukunft?

Preuß-Bayer Als ersten Schritt: ein komplett autofreies Wohnquartier. Außerdem eine bessere Vernetzung autofreier Initiativen untereinander. Denn auf Dauer reicht es nicht, Dinge nur auf kommunaler Ebene anzuschieben. Wir sollten mal schauen, was sich auf Bundesebene machen lässt.

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Linus Goericke

ist Volontär für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation im »Bundesweiten Netzwerk Wohnen und Mobilität«.
linus.goericke@vcd.org

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