Grüne Städte | VCD-Magazin 4/2024

Wunder Baum - Was Bäume für Städte tun

Bäume sind von unschätzbarem Wert für die Lebensqualität in Städten. Unter anderem mildern sie die Folgen des Klimawandels. Doch der bedroht sie auch selbst.

| für Familien Luftreinhaltung fairkehr-Magazin 04/2024

Ich habe den tollsten Mitbewohner der Welt. Der Typ kümmert sich um alles: Er achtet immer auf frische Luft, spielt den Staubsauger, und wenn es zu heiß ist, sorgt er für Schatten. Außerdem macht er mir immer gute Laune: Er strahlt so eine Ruhe aus und zugleich Lebendigkeit. Wenn ich in seiner Nähe bin, merke ich sofort: Mein Stresslevel sinkt, und ich atme durch. Er wirkt so standfest und verlässlich. Ich weiß, er ist immer für mich da, egal wie stürmisch die Zeiten sind. Mein Mitbewohner steht vor dem Haus, in dem ich wohne, mitten in der Stadt: Mein Mitbewohner ist ein Baum.

Leider geht es ihm in letzter Zeit nicht gut. Bei all dem Asphalt hat er wenig Platz, sich zu entfalten. In den heißen Sommern bekommt er nicht genug Wasser – selbst dann nicht, wenn es heftig regnet, weil das viele Nass auf der Straße stehen bleibt und später in die Kanalisation fließt. Dann leidet er Qualen wie Tantalos in den griechischen Mythen, der mitten in einem Teich steht, aber nie trinken kann, weil das Wasser sich zurückzieht, sobald er sich bückt.

Weil meinem Mitbewohner Enge, Hitze und Wassermangel zusetzen, ist er geschwächt. Schädlinge und Krankheiten haben sich bei ihm eingenistet. Einige seiner Verwandten in den Nachbarstraßen, denen es ähnlich ging, mussten die Stadt schon verlassen. Manchmal mache ich mir Sorgen um ihn.

Bäume: Für Menschen im Einsatz

Bäume als Mit-Lebewesen: So würden wir reden, würden wir ihren Wert angemessen schätzen. Denn Pappeln und Kastanien sind keine Wohlfühl-Deko für ausladende Villenviertel. Nein, sie sind Superhelden, die ständig und unmerklich für uns im Einsatz sind: für unsere körperliche und psychische Gesundheit, den Schutz vor Lärm und Abgasen und für die Schönheit und Artenvielfalt unserer Stadtviertel. Expert*innen sprechen etwas weniger poetisch von den „Ökosystemdienstleistungen“ der Bäume.
Diese Leistungen steigern die Lebensqualität von Städtern enorm – und das sind drei Viertel der Bevölkerung in Deutschland. Da durch die Erderwärmung ein Hitzerekord den nächsten jagt und Starkwetter-Ereignisse zunehmen, gewinnen Bäume noch mehr an Bedeutung: Sie kühlen Plätze und Straßen, die im Sommer zu Hitze-Inseln erglühen. Mit ihren Kronen fangen sie starke Böen auf. Und je mehr Grün eine Stadt hat, desto geringer das Risiko von Überflutungen.

Der Baumbestand in unseren Städten muss also steigen. Aber vielerorts ist das Gegenteil der Fall. In München schrumpfte die Zahl der Stadtbäume 2022 um über 1.300, in Berlin um mehr als 4.000, in Frankfurt starben im selben Jahr 1.465 Straßenbäume an Hitze und Trockenheit. Die Ausgangslage in deutschen Städten ist dabei höchst unterschiedlich: In Karlsruhe kommen auf tausend Einwohner*innen 232 Bäume, in Bremen 125, in Nürnberg nur 54.

Schuld an dem Baumschwund ist der Klimawandel, aber auch die fortschreitende Versiegelung: Viele Baumscheiben sind zu erweiterten Parkplätzen verkommen, Wurzeln und Erde tragen die Last der schweren Autos. Und viele heimische Baumarten sind der Belastung durch Trockenheit, Hitzestress und sich ausbreitende Schädlinge nicht gewachsen: Ahornbäume, Rosskastanien, Eschen und Linden haben unter den Witterungsverhältnissen der letzten Jahre stark gelitten. So sehr wir auf Bäume angewiesen sind, so brauchen sie unsere Hilfe.

Blätter mit Sensoren

Die Wissenschaft versucht deshalb, mehr darüber zu lernen, wie Stadtbäume in einem sich ändernden Klima gesund und gut wachsen können. In Karlsruhe haben Forscher*innen deshalb 240 Bäume mit Sensoren ausgestattet und messen, wie diese auf Änderungen der Witterungsverhältnisse reagieren. Andere Forschungsprojekte testen, welche Arten besonders klimaresistent sind. Denn deutsche Städte werden in Zukunft nicht nur mehr, sondern auch andere Bäume pflanzen müssen. Als geeignete Kandidaten gelten derzeit etwa Robinien, Silberlinden und Ginkgos.

Großstädte wie Paris, London und Wien haben die Zeichen der Zeit verstanden und große Begrünungsinitiativen gestartet. Paris hat sich vor drei Jahren das Ziel gesetzt, bis 2026 170.000 neue Bäume zu pflanzen, und liegt laut Stadtverwaltung im Plan. 60.000 Parkplätze sollen in den nächsten Jahren zu Grünflächen umgewandelt werden.
An Paris zeigt sich auch eine weitere „Leistung“ von Stadtbäumen: Als Sympathieträger sorgen sie für größere Akzeptanz für die Verkehrswende. Da Bäume bei allen beliebt sind, stellt die Stadt den Aspekt Begrünung in den Vordergrund, wenn sie um Zustimmung für verkehrsberuhigende Maßnahmen wirbt.

Auch in Deutschland haben viele Städte Ziele für die urbane Aufforstung ausgegeben. Doch fehlt oft schon ein Baumkataster – also ein detailliertes Register über Art, Alter und Zustand der Bäume. Erstaunlich wenige Kommunen haben eine Baumschutzverordnung, sodass die Belange der Bäume oft hinter anderen wie Wohnungs- und Straßenbau zurückstehen. 

Umso wichtiger sind zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für Bäume einsetzen. Auch im Kleinen kann man einen Unterschied machen. Das Projekt „Leipzig gießt“ hat zum Beispiel eine App entwickelt, die Bürger*innen hilft, Stadtbäume bei Hitze fachgerecht zu gießen. Mich hat das inspiriert: Nächsten Sommer nehme ich den Gartenschlauch und wässere meinen Mitbewohner. Das ist das Mindeste, das ich für ihn tun kann.

Autor

Tim Albrecht ist Redakteur, Berater und Coach für Kommunikation rund um die Themen Nachhaltige Mobilität & Urban Transformation. Er arbeitet bei der fairkehr Agentur in Bonn und schreibt seit 2018 für das VCD-Magazin fairkehr.

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