MVGmeinRad Mainz

Straßenbahn, Bus und Fahrrad – Alles aus einer Hand, in der ganzen Stadt

Als einziger Nahverkehrsbetrieb bietet die Mainzer Verkehrsgesellschaft ein hauseigenes Mietrad an. Mit 800 Rädern in der gesamten Stadt bildet es das dichteste Mietradsystem Deutschlands.

Im Jahr 2009 veranstaltete das Bundesverkehrsministerium einen Wettbewerb um innovative Fahrradverleihsysteme. Ziel war es das bestehende Verkehrsangebot um ein System zu ergänzen, dass die Vorteile des privaten Fahrrads mit denen des ÖPNV vereint. Die Landeshauptstadt Mainz und die Mainzer Verkehrsgesellschaft mbH (MVG) bewarben sich mit einem besonders ambitionierten Konzept, das ihnen den ersten Preis im Wettbewerb einbrachte. Nach einer mehrmonatigen Testphase ging das Mietradsystem im Frühjahr 2012 an den Start. Heute überzeugt es mit einer für die Stadtgröße überaus hohen Anzahl von 800 Mieträdern an 112 Stationen (Stand 2016).

Die Fahrradmietstationen fügen sich dabei in das bestehende ÖPNV-Netz ein. Das bediente Gebiet deckt nahezu die gesamte Landeshauptstadt ab. So sind sämtliche Straßenbahnendstellen und S-Bahnstationen, sowie zahlreiche Haltestellen im Stadtgebiet mit Fahrradmietstationen ausgestattet, um den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt, u.a.  auch in den Nebenverkehrszeiten, ein ausreichendes Mobilitätsangebot bereitzustellen.

Das Mietradsystem wird neben dem Bus und der Straßenbahn als dritte Säule im Angebot der MVG wahrgenommen. Hierfür greifen die eigens entwickelten Räder das Design der Busse und Bahnen auf. Die MVG informiert über defekte Mietstationen genauso, wie über Unterbrechungen im Straßenbahn- und Busverkehr. Der Tarif richtet sich gezielt an Stammkunden des ÖPNV und Studierende.

Ein dichtes Stationsnetz ergänzt den ÖPNV

Eine erste Initiative für ein Mainzer Mietradsystem erging 2008 aus dem Stadtrat der Landeshauptstadt, der zunächst nur die Prüfung eines Mietradsystems für die Stadt Mainz anfragte und hier bereits  den Verkehrsbetrieb als geeigneten Betreiber identifizierte. Hieraus ergab sich in 2009 die Teilnahme am Wettbewerb für Innovative Fahrradleihsysteme des Bundesverkehrsministeriums. Die Landeshauptstadt entschied sich für die Teilnahme am Wettbewerb. Es herrschte ein politischer Rückhalt für das Vorhaben, der u.a. durch die zuständige Dezernentin getragen wurde. Mit einer ambitionierten Projektskizze konnte das Mainzer Vorhaben die Wettbewerbsjury überzeugen. Letztendlich erteilte der Stadtrat dem Verkehrsbetrieb den Auftrag ein entsprechendes Mietradsystem aufzubauen.

Nach einer mehrmonatigen Testphase 2011 mit einigen wenigen Stationen und einem geschlossenem Testkundenkreis, wurde das Netz konsequent erweitert. Heute besteht es aus 112 Stationen mit 1.600 Stellplätzen an denen, dank eines eigenen Schließsystems, ausschließlich MVGmeinRäder abgeschlossen werden können. Damit ist die ursprünglich angestrebte Stationsanzahl von 120 Standorten nahezu erreicht. Bei der Anzahl der Räder und Stellplätze wurden nach den ersten Erfahrungen Korrekturen vorgenommen. Es hat sich gezeigt, dass ein Verhältnis von zwei Stellplätzen je Mietrad günstig ist. Ein anderes Verhältnis von Rädern führt regelmäßig zu einer Überbelegung bzw. Leerstand an einzelnen Stationen. In solchen Fällen greift der Verteilservice ein und disponiert einzelne Räder um. Aus dieser Erfahrung heraus wurde die Zahl der Stellplätze an vielen Stationen erhöht und die Zahl der Räder auf rund 800, von zunächst geplanten 1.000, beschränkt. Der notwendige Dispositionsaufwand konnte so deutlich reduziert werden. Als praktisch hat es sich erwiesen täglich in den Nachmittags- und Abendstunden Räder zwischen den Stationen zu verlegen, um Ungleichverteilungen die über den Tag aufgelaufen sind abzubauen. Mit einer Mietraddichte von 380 Rädern je 100.000 Einwohner liegt Mainz deutlich vor anderen Angeboten wie beispielsweise StadtRad Hamburg  (129 Räder/100T EW) oder NorisBike in Nürnberg (157 Räder/100T EW). Das flächendeckende und dichte Netz erleichtert eine Integration des Verkehrsmittels in die Alltagsmobilität. Dennoch ist man auch im Mainzer Mietradsystem gezwungen die Stationsdichte entsprechend der Zentralität und Siedlungsdichte der Stadtviertel anzupassen. Dabei erfolgt jährliche eine wirtschaftliche Überprüfung der Stationen. Durch eine Abwägung zwischen wirtschaftlichen Aspekten und der Systemrelevanz einzelner Stationen gelingt es der MVG ein tragfähiges Stationsnetz zu unterhalten, das ganz Mainz erschließt.

Einzelne Verkehrsachsen in der Stadt haben jedoch eher mit einer Überlastung zu kämpfen. Erklärtes Ziel der MVG war es hier mit dem Mietradangebot für Entlastung zu sorgen. Dies betrifft insbesondere den Universitätscampus, der ausschließlich im Busverkehr erschlossen wird. Auf dem Hauptcampus befinden sich heute fünf Mietstationen.

Eine lokale Besonderheit der Stadt ist die Nähe zur hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden, die durch den Rhein von Mainz getrennt ist. Trotz enger Verflechtungen im Verkehr übernahm Wiesbaden das System nicht. Auf Initiative der dortigen Studierendenschaftsvertretung (AStA) wurde ein Mietradsystem vergeben, dass heute durch das Call a Bike-System der Deutschen Bahn umgesetzt wird. Beide Angebote sind nicht miteinander kombinierbar. Andere Agglomerationsräume wie das Ruhrgebiet (Metropolradruhr) haben von Beginn an ein gemeinsames Mietradsystem initiiert.

Autarke Stationen in einer gewachsenen Stadt

Ein Ansatz, der sich nicht durchsetzen konnte, sind mobile Mietstationen. Mit denen wollte der Verkehrsbetrieb kurzfristig auf die Kundennachfrage reagieren. Statische Anforderungen machten stets eine Verankerung im Fundament notwendig. Mit einigen flexiblen Stationen wird jedoch regelmäßig das Nutzungspotential für weitere Standorte ermittelt. Die Stationen arbeiten autark. Ein Solarmodul, das jeweils über dem Terminal angebracht ist, reicht zur ganzjährigen Stromversorgung aus. Die Kommunikation erfolgt via GSM, wodurch auf jegliche Netzanschlüsse im Untergrund verzichtet werden kann.

Bei der Schaffung neuer stationsbasierter Verkehrsangebote in der Stadt ist die Bereitstellung geeigneter Flächen stets eine große Herausforderung. Fast immer ist es notwendig Flächen einer anderweitigen Nutzung (z.B. öffentliches Parken, Grünanlagen, … ) zu entziehen. Meist handelt es sich um städtischen Boden. In Mainz hat sich ein regelmäßiges Koordinierungstreffen bewährt, an dem alle betroffenen Ämter teilnehmen. Hierbei wird stets nur eine kleine Anzahl von potentiellen Flächen besprochen und deutlich gemacht, in welchem Umfang andere Funktionen von einer Umnutzung betroffen sind.

Ein Nischenprodukt ergänzt den Umweltverbund

Die Fahrten- und Kundenzahlen stiegen in den ersten drei Jahren schnell an und wachsen weiterhin mit einer geringeren Dynamik. Im Jahr 2015 erfolgten 480.000 Fahrten. Dies entspricht durchschnittlich 1.300 Fahrten pro Tag, wobei diese in den Sommermonaten auf bis zu 2.600 Mietvorgänge täglich ansteigen können.  Das Mietrad bleibt damit ein Nischenprodukt im Mobilitätsportfolio. Eine Nutzerbefragung zeigte, dass Kundinnen und Kunden des MVGmeinRad den Umweltverbund in Summe sehr intensiv nutzen (69,8%; siehe Abbildung).

Wer mit dem MVGmeinRad unterwegs ist, nutzt deutlich häufiger den ÖPNV und das eigene Rad. Zwar werden dabei auch Fahrten mit dem eigenen Rad oder dem ÖPNV durch das Mietrad subsituiert, die Mainzer finden so aber häufiger ein für den aktuellen Weg besonders gut geeignetes Verkehrsmittel aus dem Umweltverbund. Das Angebot spricht auch eine ganz ähnliche Zielgruppe wie das Carsharing an. Der Anteil der Carsharing-Kunden ist unter den Personen, das das Mietrad nutzen  mehr als dreimal so hoch wie in der gesamten Stadtbevölkerung.

Jedes Rad wird ca. 1,7 Mal täglich ausgeliehen. Dies ist eine typische Nutzungsintensität für ein erfolgreiches Mietradsystem, wobei einzelne Angebot wie das Pariser Vélib‘ mit mehr als fünf Entleihvorgängen noch deutlich intensiver genutzt werden. Angesichts der Rahmenbedingungen in deutschen Großstädten – mit einem traditionell hohen Bestand privater Fahrräder – ist dies ein positiver Wert. Im Vergleich der zahlreichen Fahrradverleihsysteme in Deutschland zeigen sich eine hohe Netzdichte, sowie günstige Tarife – insbesondere Freiminuten – als ausschlaggebend für eine intensive Nutzung. Letzteres ist meist nur durch Subventionen seitens der Stadt möglich.

Finanziert durch zehntausende Nutzerinnen und Nutzer

Das MVGmeinRad soll mittelfristig mit einem Finanzierungsmix kostendeckend betrieben werden. Der Verkehrsbetrieb spricht dafür gezielt seine Stammkundschaft an. Personen mit einem Abo der MVG erhalten grundsätzlich einen vergünstigten Preis je 30 Minuten Fahrt. Dieser wurde 2015 erstmals von 0,50 € auf 0,80 € erhöht. Gegen Zahlung einer Jahresgebühr entfallen die Kosten in den ersten 30 Minuten. Auch diese Jahresgebühr ist für ÖPNV-Abo-Kunden und Studierende reduziert. Der Tarif wird analog zum geltenden ÖPNV-Tarif auf der Webseite des Verkehrsbetriebes dargestellt. Um zum Projektstart eine große Stammkundenschaft zu gewinnen, war geplant allen MVG-Abo-Kunden (ca. 50.000) automatisch eine Chipkarte,  mit der sich an den Terminals die Räder ausleihen lassen, zuzustellen. Dies konnte so letztendlich vor allem aus organisatorischen Gründen nicht umgesetzt werden. Die Stammkundschaft wird angeschrieben, muss sich dann aber aktiv registrieren. Anstelle der hauseigenen Karte, kann auch das eTicket RMV  als Zugangskarte zum MVGmeinRad genutzt werden.

Die wichtigste Nutzergruppe bilden aber die Studierenden, mit denen eine gesonderte Kooperation besteht. Diese erhalten für einen reduzierten Jahresbeitrag die ersten 30 Minuten einer Fahrt kostenfrei. Im Gegenzug besteht ein Solidarmodell über das Semesterticket, welches zur Finanzierung des Systems beiträgt. Die Gruppe der Studierenden ist vergleichsweise leicht für derartige Angebote zu gewinnen. Die Studierendenvertretung AStA war ein maßgeblicher Initiator und Befürworter des Vorhabens. Die über 35.000 Studierenden in der Stadt bilden heute eine wesentliche Nutzergruppe aber auch Finanzierungssäule. Entscheidend war, dass aufgrund der Kooperation bereits mit Projektstart schnell ein großer Kundenstamm angesprochen und eine Grundfinanzierung sichergestellt werden konnte.

Die Investitionskosten von 3,8 Mio. Euro wurden je zur Hälfte aus Eigenmitteln der MVG und dem Preisgeld aus dem einmaligen Wettbewerb des BMVI aufgebracht. Das Mietradgeschäft entwickelt sich positiv, lässt sich aber auch im vierten Jahr noch nicht kostendeckend betreiben. Die MVG hält einen baldigen eigenwirtschaftlichen Betrieb für realistisch. Um das Mietradgeschäft kostentransparent vom Kerngeschäft des Nahverkehsbetriebes zu unterscheiden, wurde das Geschäftsfeld als Tochtergesellschaft MVGmeinRad GmbH ausgegründet.

Bus, Bahn & Fahrrad aus einer Hand

Die in Deutschland agierenden Anbieter für Leihradsysteme nextbike und Call a Bike beschränken sich bei der Lokalisierung ihrer Angebote im Wesentlichen auf die optische Gestaltung der Räder und die Anpassung des Namens (z.B. NorisBike für das nextbike-Angebot in Nürnberg). Angebote wie das StadtRad Hamburg – das auf dem Call a Bike-System basiert – zeigen aber, dass auch auf diesem Weg ein hohes Maß an Identifikation der Bevölkerung mit „Ihrem“ Leihrad möglich ist. Die etablierten Anbieter liefern mit ihren hauseigenen Rädern, Stationen und Vertriebssystemen bewährte, sofort einsatzfähige Komponenten. Um auch die Möglichkeit zu innovativen Lösungen und einer individuellen Systemgestaltung zu haben, entschied man ein „Mainzer Modell“ für Stationen und Räder entwerfen zu lassen. Das Projekt wurde in vier Losen (Fahrrad, Station, Informations- und Vertriebssystem) vergeben, für die jeweils eigene Anforderungen definiert wurden. Die Entwicklung neuer Komponenten führte in den ersten Monaten aber zu deutlichen Verzögerungen und Mehrkosten. Besonders die Entwicklung eigener Stationen und die darauf anzupassenden Informations- und Hintergrundsysteme war anfänglich mit großen Problemen verbunden. Nachdem das System über Monate hinweg instabil lief, wurde die Stations- und Hintergrundsoftware 2014 neu aufgesetzt.

Als dritte Säule im Leistungsangebot der MVG ist das Mietrad gleichberechtigt in das Kundeninformationssystem und das Kommunikationskonzept des Verkehrsbetriebes eingebunden. Beispielsweise besteht eine entsprechende Seite in den sozialen Netzwerken Facebook und Google+. Über Änderungen und Defekte an den Stationen wird fortlaufend in den einschlägigen Kommunikationskanälen des Verkehrsbetriebs berichtet.

An den eigens konzipierten Rädern nehmen die Kunden die unterschiedlichen Gepäckträgermodelle und die stufenlose Gangschaltung sehr positiv wahr. Der Verkehrsbetrieb genießt ein Maximum an Freiheit bei der Ausgestaltung des Angebotes und des Tarifs. So können Synergien zwischen Marketing und Vertrieb ermöglicht werden. Es gelingt gezielt ÖPNV-Kundschaft anzusprechen aber auch neue Nutzergruppen zu gewinnen, die erst durch das Mietradsystem auf die MVG aufmerksam geworden sind. Die hohe Anzahl von Stationen gerade in der Innenstadt und das auffällig leuchtende Gelb, welches das gelb-weiße Farbkonzept der Busse und Straßenbahnen aufgreift, machen das Angebot sehr präsent im Stadtbild. Die MVG steht einer Adaption des Systems in weiteren Städten offen gegenüber.

Steckbrief MVGmeinRad

Mainz: 207.000 Einwohner/innen

Wegeanteil Umweltverbund: 61 % (Stadt Mainz 2016)

Elemente: Bikesharing, Sharing-Angebote mit und ohne Bindung an ÖPNV-Tarif, Dachmark& Corporate Design

Akteur: MVGmeinRad GmbH

Start: April 2012

Nutzergruppe: registrierte Nutzer/innen (24.000 aktive Kunden 2016)

Kosten: 3,8 Mio. € Investition

Finanzierung: Eigenmittel MVG und BMVI

Besonderheit: Starke Identifikation der Bürgerschaft, sehr hohe Mietrad-/ Stationsdichte auch außerhalb der Kernstadt, Betrieb durch städtische Verkehrsgesellschaft, Kooperation mit Studierendenschaft

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