Zielgruppenorientierte Marketingmaßnahmen

Zielgruppenmarketing für Multimodalität

Über sogenannte Lebensumbrüche und mit einfachen, emotionalen und humorvollen Kampagnen lassen sich auch erklärungsbedürftige Produkte wie inter-oder multimodale Verkehrsangebote vermarkten. Doch welche Zielgruppen können wie und wo erreicht werden? Einige Städte und Kommunen machen es bereits vor.

Studien zeigen deutlich, dass Lebensumbrüche, wie z. B. ein Umzug in eine andere Stadt, die Geburt eines Kindes oder ein Arbeitsplatzwechsel das sonst routinierte Mobilitätsverhalten unterbrechen und Menschen offen sind, es neu zu organisieren. Das sind die Momente, in denen Werbung für eine umwelt-verträgliche Mobilität effektiv wirken kann. Diese Kommunikationskampangen sollen außerdem besonders diejenigen erreichen, die noch nicht mit dem Umweltverbund unterwegs sind, anstatt nur den Modal Split innerhalb der umweltfreundlichen Verkehrsmittel zu verschieben. Doch wie und wo kann die Zielgruppe der Autofahrenden angesprochen werden? Ein Weg führt über die Lebensumbrüche und ein anderer über intelligente Kampagnen in den klassischen und sozialen Medien.

Wie kann man Autofahrende erreichen?

Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Oft sind lokale Marketingkampagnen für umweltfreundliche Verkehrsmittel gerade für Fahrgäste des ÖPNV besonders präsent. Menschen, die mehrheitlich mit dem eigenen Auto fahren sollen jedoch die zentrale Zielgruppe für das Marketing von multimodalen Angeboten und die Mobilitätsberatungen sein. Was aber spricht Autofahrende an? Und wer sind diese eigentlich? Erschwerend kommt hinzu, dass Produkte der Multimodalität tendenziell erklärungsbedürftiger sind. Wichtig: Das Produkt muss attraktiv sein, sonst nützt auch gute Werbung nicht.   Man weiß über Autofahrende, dass sie mehrheitlich Individualisten sind. Wer gerne seine Fahrstrecke und die Startzeit selbst bestimmt, für den ist als Alternative zum eigenen PKW möglicherweise das Fahrrad interessanter als der ÖPNV. Die Ansprache soll dann möglichst emotional gestaltet sein, sachliche oder moralische Gründe funktionieren nicht. Das Produkt einfach darstellen, Neugier und Emotionen wecken, Spaß vermitteln, Geschichten erzählen – so funktionieren gute Kampagnen.

Über klassische Werbung sind Autofahrende am besten während der Autofahrt z.B. an Busrücken oder -seiten oder über den Hörfunk zu erreichen. Auch Straßenaktionen während des Berufsverkehrs bekommen die Aufmerksamkeit der Zielgruppe.

Ein innerbetriebliches Mobilitätsmanagement kann Anreize setzen, nicht mit dem eigenen Auto zur Arbeit zu kommen. Firmen können als Partner fungieren und ihren Mitarbeiter/innen Informationspakete, SchnupperTickets oder Freikontingente für Bikesharing überreichen.

Ein Blick ins Ausland zeigt, dass nicht nur die postalische Ansprache, sondern auch sogenannte Haustürwerbung positive Auswirkungen auf die Veränderung des Modal Splits zeigt. Das in Großbritannien von Sustrans durchgeführte Programm „Personalised Travel Planning“ (PTP) kann ebenso gute Resultate vorzeigen: Für die Wege zur Arbeit konnte bei den zu Hause beratenen Personen ein Anstieg von 7% für das Radfahren, von 1 % für das Zu Fuß gehen und von -5 % für das Autofahren festgestellt werden. Bei den allgemeinen Wege lag die Veränderung bei + 1 % beim Radfahren und + 6 % beim Zufußgehen. Alle Veränderungen des Verkehrsverhaltens waren langfristiger Art.

Junge Eltern ansprechen

Einen weiteren Lebensumbruch, der meist mit einem veränderten Mobilitätsverhalten einhergeht, markiert die Geburt eines Kindes. Geeignete Anlaufstellen bzw. Ort um Infomaterial zu vertreiben sind Geburtsvorbereitungskurse, Hebammen- und Frauenarztpraxen bzw. die Anmeldung in der Kindertagesstätte, dort ergeben sich weitere Anknüpfungspunkte für eine zielgruppengerechten Ansprache.

In München können  junge Eltern für einige Tage kostenlos ein Kindertransportrad oder einen Kinderfahrradanhänger leihen, ein ÖPNV-Monatsticket für 29 Euro bekommen oder einen Carsharing-Wagen für ein Jahr ohne Anmelde- oder Grundgebühr nutzen. In Leipzig bekommen Babys ein Jahresticket für den ÖPNV und dürfen ein Elternteil kostenlos mitnehmen.

Autofahrende junge Eltern können z.B. über Kindertagesstätten und Schulen mit Projekten wie „Zu Fuß zur Schule“  angesprochen werden. Mobilitätsbildung bei Kindern führt auch zu verändertem Verhalten der Eltern. Bikesharing-Stationen können außerdem gezielt auch vor Schulen mit jugendlichen Schülern platziert werden. Menschen in diesem Alter sollten möglichst früh Alternativen zum eigenen Auto kennenlernen und ausprobieren können. Die Leipziger Verkehrsbetriebe führen dazu Mobilitätsberatungen und Bus- und Bahntrainings in Schulklassen ab der 2. Klasse durch.

Marketing für Neubürger/innen

Der Wohnortswechsel ist ein idealer Moment den Menschen die Alternativen zum eigenen Auto zu zeigen. Umgekehrt müssen aber auch die bisher autofreien Neubürger/innen Informationen und Zugang zum Umweltverbund und Carsharing erhalten. Es ist nicht selbstverständlich, dass sie auch am neuen Wohnort ohne Auto unterwegs sind. Kommunen und Verkehrsbetrieben bleibt nur wenig Zeit, denn das Zeitfenster „Umzug“ ist kurz. Ein niedrigschwelliger Zugang zu Informationen ist hierbei entscheidend.

Einige Städte nutzen bereits das Instrument des sogenannten „Neubürgerpakets“. Ein solches Produkt soll nicht nur Neubürger/innen willkommen heißen sondern zu einer Verlagerung des Autoverkehrs in den Umweltverbund führen. Für die Vermarktung von umweltfreundlichen Mobilitätsdienstleistungen finden Städte und Kommunen ganz individuelle Lösungen die Zugezogenen zu erreichen. Häufig entstehen diese in Zusammenarbeit mit den lokalen Verkehrsbetrieben bzw. ansässigen Mobilitätsanbietern. Neubürgerkampagnen stellen zwar eine kostenintensive Art der Ansprache dar, zeigen bei guter Planung und Durchführung aber lohnenswerte Resultate. Die erwünschte Wirkung sollte durch Monitoring und Evaluation regelmäßig geprüft werden sollte.

Da zum Einen das Zeitfenster für eine Verhaltensänderung kurz ist und sich nicht jeder Mensch sofort nach dem Umzug ummeldet, empfiehlt es sich auch andere Vertriebswege zu wählen. Die Anmeldung für Strom/Gas und Wasser erfolgt noch vor der Ummeldung in die neue Stadt und häufig bei stadteigenen Unternehmen. Auch diese könnten nach der Anmeldung ein Neubürgerpaket versenden. Viele Umziehende nutzen auch die Möglichkeit des Nachsendeauftrags bei der Post, welcher eine weitere Gelegenheit zur Ansprache bietet.

Das Wichtigste in Kürze

  • Menschen sind empfänglicher für Informationen über Verhaltensveränderungen wenn sie sich in einem Lebensumbruch befinden.
  • Eine Marketingkampagne kann signifikanten Einfluss auf die Verschiebung des Modal Splits zugunsten des Umweltverbunds haben.
  • Alle Neubürger/innen, die ein Neubürgerpaket postalisch erhielten, beurteilten den ÖPNV allgemein positiver, als jene, die diese Informationen nicht bekamen.
  • Zugezogenen bewerten Neubürgerkampagnen allgemein als positiv.
  • Neubürgermarketing zeigt bei kombinierten Informations- und Dialogkampagnen den größten Effekt  bei der Verlagerung des MIV in den Umweltverbund.
  • Reine Dialogkampagnen (z.B. nur ÖPNV-Schnuppertickets) verlagern den Modal Split in Richtung ÖPNV, sowohl auf Kosten des Fuß-, als auch des Autoverkehrs.
  • Reine Informationskampagnen (z.B. nur Broschüren) verschoben den Modal Split leicht vom MIV hin zum Fußverkehr.
  • Der Vertriebsweg der  klassischen „Haustürwerbung“ zeigte in diversen europäischen Städten gute Resultate.
  • Die Wirkungsmechanismen eines Neubürgermarketings sollten stets evaluiert werden.
  • Bisher liegt in Deutschland der Fokus des Neubürgermarketings auf dem Lebensumbruch „Umzug“. Ähnlich wichtige Stationen, wie die Geburt eines Kindes sind bisher kaum berücksichtigt.

Im Folgenden werden vier Projekte vorgestellt, bei denen die Neubürger/innen unaufgefordert nach Anmeldung am neuen Wohnort Informationen zugesandt bekommen. In der Regel werden dafür drei verschiedene Kampagnentypen genutzt oder kombiniert:

  • für sich stehende Informationsmaterialien, wie z.B. Stadtplan mit Liniennetz;
  • für sich stehende Angebote, die eine Rückmeldung der Adressaten erfordern, z. B. ein kostenloses Schnupperticket bestellen; an einer Mobilitätsberatung teilnehmen, oder
  • die Kombination aus beiden

Eine Evaluation der Wirkung dieser drei Typen wurde vom Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen in 2008 geleitet. Die in den Städten München, Frankfurt am Main und Halle durchgeführten Befragungen und Interviews zeigten, dass der Kampagnentyp „Dialog“ den Wegeanteil der neu Hinzugezogenen leicht vom Fußverkehr in den ÖPNV verschiebt. Werden nur Informationen gegeben, verminderte sich der Anteil der Autofahrenden leicht zugunsten des Zufußgehens. Die Personen, die die kombinierte Variante bekamen, verzichteten am meisten auf das Autofahren und stiegen auf das Fahrrad und in den ÖPNV um.

Bremen – Bestellbogen für ein Kennenlernpaket

In Kooperation mit der Bremer Straßenbahn AG, dem Verkehrsbund Bremen/ Niedersachen, dem ADFC und den Carsharing-Unternehmen entstand Ende Oktober 2014 unter der Leitung des Senators für Umwelt, Bau und Verkehr ein zweijähriges Pilotprojekt das Informations- und Beratungsangebot für Neubürger/innen und Bremen. Neu Zugezogene können sich online, noch vor dem Umzug, über das Bestellportal für Neu-Bremer ein kostenloses Kennenlernpaket zum Thema Mobilität zusammenstellen. Auch nach der Anmeldung in der Meldebehörde wird ihnen die Broschüre mit dem Willkommensschreiben und  dem Bestellformular zugesandt. Die im Rahmen des Bremer Mobilitätsmanagements durchgeführte Maßnahme enthält neben den gewünschten Informationen auch eine persönliche Mobilitätsberatung, bei der die Neubürger/innen ein SchnupperTicket für 7 Tage bekommen. In der Projektphase 2014 bis 2016 wurden 38.000 Neubürger/innen-Haushalte angeschrieben. Davon nutzten 4.300 dieses Angebot und bestellten jeweils mit ca. 60 % am Häufigsten den BSAG-Stadtnetzplan und die bike it-Fahrradtouren-Prospekte. Insgesamt wurden ca. 1.077 SchnupperTickets herausgegeben, für die vorher eine telefonische Beratung stattfand (Stand Juli/2016). Eine im März 2017 veröffentlichte Evaluation zeigt, dass die Mobilitätsberatung einen signifikanten Einfluss auf die PKW-Nutzung unter den Bremer Neubürgerinnen und Neubürgern hat. So vermeidet das Neubürger/innenmarketing hochgerechnet im Jahr ca. 15 Mio. km PKW-Fahrt. Die Zielgruppe nutzt generell häufiger das Fahrrad bzw. geht zu Fuß als die Kontrollgruppe, die kein Neubürgerpaket bekommen hat.

Aachen - clever mobil

Die jährlich rund 16.000 Neubürger/innen Aachens bekommen nach ihrer Anmeldung beim Bürgeramt ein Informations-Paket zugestellt. Neben dem Stadtplan und einem Gutscheinheft für Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie Verkehrsangebote erhalten sie auch die Broschüre „Aachen clever mobil“, in der Leser/innen Information zu Rad, Pkw, Bus, Bahn und zum Zufußgehen bekommen. Dem Gutscheinheft liegen Coupons für ein siebentägiges Schnupperticket  des ÖPNV und ein 30 Euro-Fahrtguthaben für das Carsharing bei. Eine 2010 durchgeführte repräsentative Studie ergab, dass die Anzahl der privaten Pkw in den Haushalten im neuen Wohnort deutlich niedriger liegt (41 % haben keinen Pkw in Aachen) als im alten Wohnort (21 % hatten keinen Pkw).

Vergleich Pkw-Anzahl am alten und neuen Wohnort Aachen

Die Studie ergab außerdem, dass Menschen, die Mobilitätsinformationen im Rahmen des Neubürgermarketings erhielten, den Umweltverbund allgemein besser beurteilten und sich besser informiert fühlten, als jene, die keine Informationen bekamen. Es wurde weiterhin festgestellt, dass Neubürger/innen, die kein Informationspaket bekamen, an ihrem neuen Wohnort Aachen seltener den ÖPNV nutzten, als an ihrem vorherigen Wohnort.

München – Neubürgerpaket "Gscheid mobil"

Die Haushalte der  85.000 Neubürger/innen, die jährlich nach München ziehen und sich dort anmelden, bekommen im Anschluss seit 2007 das Paket „Meine neue Stadt“ per Post. Allgemeine Informationen werden mit Materialien zum Thema Verkehr, Mobilität und den multimodalen Angeboten MVG multimobil und MVG more ergänzt. Darin sind ein Radlstadtplan, ein Gutschein für ein Schnupperticket für den ÖPNV und die Möglichkeit der telefonischen Mobilitätsberatung enthalten. Eigens dafür wurde auch die Webseite gscheid-mobil.de/ erstellt, die kompakte Informationen zu Bus & Bahn, Rad- und Fußwegen, Carsharing & Parken sowie Freizeit & Vergnügen enthält. Die im Rahmen des Pilotprojekts von 2005 erfasste Wirkung des Neubürgermarketings ergab, dass sich der Modal Split bei den Neu-Zugezogenen um 7,6 % zugunsten des Umweltverbunds veränderte – im Vergleich zur Kontrollgruppe, die keine Informationen erhielten. Gleichzeitig wurde eine geringere Nutzung des Pkw (3,3 %) und des Fuß- und Radverkehrs (3,5 %) festgestellt. Bei Personen, die die Stadt München nicht gut kannten, lagen die Zahlen sogar noch höher: 9 % häufigere ÖPNV-Nutzung und 5,5% geringere MIV-Nutzung als die Kontrollgruppe ohne Neubürgerpaket. Auf alle Münchner Neubürger übertragen, kann dadurch der Kfz-Verkehrsaufwand um 1 % reduziert werden, was jährlich 12.000 Tonnen weniger CO2-Emissionen bedeutet.

Wirkung des Münchner Neubürgerpakets auf den Modal Split

Offenburg - Begrüßungspaket

Das Offenburger Neubürgerpaket bekommt jede/r Neubürger/in spätestens zwei Monate nach der Anmeldung im Bürgerbüro zugeschickt. Seit 2007 bekommen Neu-Hinzugezogene mit dem Paket allgemeine Informationen und Materialen zum Thema Mobilität. In 2017 erschien eine Neuauflage des Neubürgerpakets. Eine kompakte Faltkarte (siehe Foto) informiert über alle nachhaltigen Verkehrsmodi. Auf der Vorderseite zeigt ein Stadt- und Umgebungsplan die Standorte von kommunalem Bikesharing,  Carsharing, den Elektro-und Pedelec-Ladestationen, dem Radhaus, der Bike & Ride-Station und ebenso den Radwegen und Buslinien sowie ihre Haltestellen. Auf der Rückseite werden alle Angebote und ihre Funktionsweise detailliert erklärt. Drei Gutscheine für ein ÖPNV-Schnupperticket, eine "Einfach Mobil"-Karte und einen Sattelbezug liegen ebenso dabei.

Einmal jährlich soll außerdem an einer der Mobilitätsstationen ein Aktionstag zu nachhaltiger Mobilität stattfinden, zu der neben allen Bürger/innen insbesondere die neu Hinzugezogenen eingeladen werden.   

Im Jahr 2005 fand eine Evaluation statt, aus der hervorgeht, dass von ca. 1.600 versandten Begrüßungspaketen 15 % der Haushalte ein zwei-monatiges kostenloses Schnupperticket beantragt haben, welches von ca. 40 % mehrmals die Woche benutzt wurde – hauptsächlich zu den Wegezwecken Einkauf, in der Freizeit und um zum Fernbahnhof zu gelangen. Zu jeweils ca. 15 % wurde das Ticket für den Weg zur Schule und Arbeit genutzt. 54 % von ihnen waren auch nach Ablauf des Gültigkeitszeitraums ihres Schnuppertickets im Besitz eines Zeitfahrausweises in Offenburg. Ca. zwei Drittel derjenigen, die ein Schnupperticket bestellt haben, waren an ihrem früheren Wohnort nicht im Besitz eines Zeitfahrausweises. Nur 7 % der befragten Personen nutzten an ihrem früheren Wohnort häufiger den ÖPNV als in Offenburg.

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