In Folge der Corona-Pandemie leidet die Mobilitätsbranche unter der schwersten Krise seit Jahrzehnten. Um aus der wirtschaftlichen Krise zu kommen und die Unternehmen der Verkehrsbranche zu stützen, brauchen wir Konjunkturmaßnahmen, die schnell Wirkung zeigen und gleichzeitig Nachhaltigkeit fördern. Um jetzt die Chance für einen Neustart in die grüne Mobilität zu nutzen, hat der VCD Maßnahmen erarbeitet, die ergriffen werden müssen. Eine zentrale Forderung ist: Eine Autokaufprämie darf es nicht geben. Stattdessen schlägt der VCD ein »Startgeld grüne Mobilität« vor.
Autoindustrie und Fluggesellschaften stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Der öffentliche Verkehr mit Bus und Bahn hat einen dramatischen Fahrgastrückgang und hohe Einnahmeverluste zu verkraften. Damit Menschen auf den Straßen Abstand zueinander halten können, ist eine gute Infrastruktur für Fußgänger*innen und Fahrradfahrende wichtig. Die Frage nach der gerechten Verteilung des öffentlichen Raums stellt sich jetzt neu.
Der Neustart in die grüne Mobilität trägt auch dazu bei, dass die Luft sauberer wird, was gerade vor dem Hintergrund der Corona-Epidemie von großer Wichtigkeit für unsere Gesundheit ist. Wir brauchen die Verkehrswende – mehr denn je. Für Mensch und Klima.
Einer Förderung des Automobilsektors mithilfe einer Prämie muss eine Absage erteilt, oder eine Prämie in entsprechender Höhe für den Umweltverbund beschlossen werden.
Der VCD schlägt stattdessen ein »Startgeld grüne Mobilität« vor, das für sämtliche Formen nachhaltiger Mobilität verwendet werden kann. Dies kann der Kauf einer BahnCard, eines ÖPNV-Abos, eines (E-)Fahrrads oder Lastenrads, von Car- und Bikesharing-Leistungen oder auch ein Zuschuss zur Anschaffung eines E-Autos sein. Von dieser Prämie würden alle Bürger*innen profitieren, besonders diejenigen mit geringerem Einkommen.
Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher beim VCD
Der VCD schlägt umfangreiche Maßnahmen vor, um den einzelnen Verkehrsbereichen durch die Krise zu helfen. Das Ziel: Mobilität ökologischer, sozialer und zukunftsfähiger gestalten.
Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig eine gut ausgebaute Fuß- und Radverkehrsinfrastruktur für eine sichere, unabhängige und kostengünstige Fortbewegung ist. Hier zu investieren, stärkt die Mobilität von Menschen unmittelbar und nachhaltig. Neben kurzfristigen, temporären Umwidmungen von Straßenraum zugunsten von Fußgänger*innen und Radfahrenden während der Corona-Krise, braucht es mittelfristig einen umfassenden Umbau unserer Straßen zu einem lebenswerten Raum für Menschen.
Zentral ist dabei der Ausbau eines dichten, für alle Nutzergruppen sicheren und attraktiven Fuß- und Radwegenetzes. Dazu müssen deutlich mehr Mittel in den Erhalt und Ausbau von Radwegen an Bundesstraßen sowie in den Ausbau von Radschnellverbindungen und sonstigen überörtlichen Radverbindungen fließen. Die Finanzierung des Um- und Ausbaus von Radinfrastruktur kann z.B. im Rahmen des Förderprogramms „Stadt und Land“ passieren.
Um die Potenziale einer intermodalen Nutzung von Fahrrad und ÖPNV auszuschöpfen, werden mehr sichere und wettergeschützte Fahrradabstellanlagen oder -parkhäuser an Bahnhöfen benötigt. Hierfür sind gezielte Investitionen und eine entsprechende Stadtplanung erforderlich.
Angesichts absehbarer Einbrüche am Arbeitsmarkt sind Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen jetzt besonders wichtig. Dafür sollten die Fortbildungs- und Informationsprogramme des Bundes - wie die Fahrradakademie, die Fahrradkommunalkonferenz und das Fahrradportal – nicht mehr befristet stattfinden, sondern stattdessen weiter ausgebaut werden. Neben dieser berufsbegleitenden Fortbildung muss dafür gesorgt werden, dass Universitäten und Fachhochschulen vermehrt Verkehrsplaner*innen bzw. Ingenieur*innen für die Umsetzung von Fuß- und Radverkehrsanlagen ausbilden. Die in diesem Jahr ausgelobten Stiftungsprofessuren für Radverkehr bieten hierfür ein gutes Beispiel. In Verwaltungen wie auch bei umsetzenden Betrieben muss ausreichend qualifiziertes Fachpersonal für die Planung und Realisierung von Fuß- und Radverkehrsstrategien beschäftigt werden.
Forschungsgelder müssen künftig deutlich stärker in die Nahmobilität statt in Pkw- und Straßenforschungsprojekte fließen.
Zweite StVO-Reform notwendig
Um die Investitionen schnellstmöglich und unbürokratisch umzusetzen, ist noch in diesem Jahr eine zweite StVO-Reform erforderlich. Damit sollte den Kommunen die Förderung des Fuß- und Radverkehrs rechtlich erleichtert werden. Etwa die Umwidmung von Pkw- in Fuß- und Radverkehrsflächen oder die Einführung von Tempo 30 als Basisgeschwindigkeit innerorts, mit Ausnahmemöglichkeiten für Tempo 50 auf Hauptverkehrsstraßen. Die Vision Zero - Null Verkehrstote – muss gesetzlich verankert werden. Jegliche Umgestaltung des Straßenraums muss sich an ihr orientieren.
Der Ausbau der Infrastruktur im öffentlichen Nahverkehr ging in den vergangenen Jahren viel zu langsam voran. Ein grünes Konjunkturprogramm muss diesen Investitionsstau endlich auflösen. Zunächst gilt es aber, die Betreiber von Bussen und Bahnen aus der Krise zu holen, in die sie durch den schlagartigen Rückgang der Fahrgastzahlen geraten sind. Mit hohem Kostenaufwand halten die Verkehrsbetriebe auch in der derzeitigen Situation einen Großteil ihres Angebots aufrecht, um den verbliebenen Fahrgästen genügend Abstand zu anderen zu ermöglichen.
Der VCD schlägt einen »ÖPNV Rettungsschirm« vor, durch die der Bund die Länder und Kommunen mit zunächst monatlich mindestens 200 Millionen Euro unterstützt. So kann ein Teil der fehlenden Einnahmen kompensiert werden, bis sich das Fahrgastaufkommen normalisiert hat. Die Verteilung kann nach dem Modus der Regionalisierungsmittel erfolgen.
Um den Bahnverkehr zu stärken, sollte der Bund die Trassenpreise auch für Personenzüge halbieren.
Der Investitionsstau bei der Verkehrsinfrastruktur muss aufgelöst werden. Die Mittel für den Aus- und Neubau des Schienennetzes sollten auf mindestens drei Milliarden Euro im Nachtragshaushalt 2020 sowie den Haushalten der Folgejahre erhöht werden. So können Engpässe im Schienennetz aufgelöst und die Infrastruktur schneller für den Deutschland-Takt umgestaltet werden. Die Mittel für das Bahnstreckenreaktivierungs- wie für das Elektrifizierungsprogramm müssen erhöht werden. Auch die Digitalisierung des Schienennetzes durch den Ausbau des europäischen Zugleitsystem ETCS kann jetzt schneller vorangebracht und der Gütertransport auf der Schiene durch weitere 740-Meter-Überholgleise gefördert werden.
Mit einem Fahrzeugförderprogramm für E-Busse, O-Busse und Stadtbahnen lässt sich der öffentliche Verkehr bis 2030 vollständig elektrifizieren. Dadurch erhält auch die Fahrzeugindustrie einen kräftigen Schub an Aufträgen.
Auch der überfällige Ausbau der Straßenbahnnetze ließe sich nun beschleunigen. Dafür müsste die ursprünglich bis 2025 vorgesehene Erhöhung der GVFG-Mittel auf eine Milliarde Euro vorgezogen werden.
Um den zügigen Ausbau des öffentlichen Verkehrs voranzutreiben, braucht es an den entscheidenden Stellen mehr Personal mit Kompetenzen im Bereich Verkehrswende. Hier können neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen. Die Verkehrsbranche muss ihre in den letzten Jahren bereits ausgeweiteten Recruiting-Maßnahmen weiter intensivieren. Bund und Länder müssen mit einem Stellenzuwachs in ihren Verkehrsabteilungen dafür sorgen, dass die Ämter nicht zum Flaschenhals des Netzausbaus werden. Zusätzliche Professuren an den Hochschulen sorgen für Nachwuchs in den zunehmend anspruchsvollen und vielfältigen Berufsfeldern bei der Bahn und im ÖPNV.
Konjunkturhilfen für die Autoindustrie müssen mit konkreten ökologischen Auflagen verbunden werden, um Arbeitsplätze zu sichern und zukunftsfähiger zu gestalten. Eine Lockerung der Umweltauflagen für die Branche ist aus Sicht der VCD der falsche Weg. Fehler aus vergangenen Konjunkturprogrammen, wie beispielsweise bei der Abwrackprämie in der Wirtschaftskrise 2008, dürfen sich nicht wiederholen.
Bereits vor der Corona-Krise haben Autohersteller und Zulieferer verstärkt in Elektroantriebe investiert. Auch der Absatz von Elektroautos nimmt seit Ende letzten Jahres deutlich zu. So wurden noch im März, als die Verkaufszahlen von Pkw insgesamt bereits erheblich zurückgingen, mehr Elektroautos verkauft als in allen Monaten davor. Inzwischen stellen E-Autos rund zehn Prozent aller Neuzulassungen und tragen damit zu einer deutlichen Senkung des CO2-Ausstoßes des Straßenverkehrs bei. Konjunkturhilfen sollten deshalb die Rahmenbedingungen für die Elektromobilität weiter verbessern und Automobilunternehmen darin unterstützen, mehr emissionsfreie Autos abzusetzen.
Prämien darf es nur für den Kauf von emissionsfreien, batterieelektrischen Fahrzeugen geben. Hierfür steht das Startgeld grüne Mobilität zur Verfügung. Zusätzlich sollte insbesondere kleinen Unternehmen der Kauf von Elektrofahrzeugen erleichtert werden. Neben besseren Abschreibungsmöglichkeiten im Rahmen einer Sonder-AfA kommt für Lieferfahrzeuge eine Prämie für den Austausch alter Fahrzeuge in Betracht. Bei Transportern und Lkw gibt es - stärker als bei Pkw – einen großen Altbestand an Fahrzeugen mit schlechter Schadstoffnorm.
Der Ausbau der öffentlichen und gewerblichen Ladeinfrastruktur für E-Autos muss beschleunigt werden. Ladesäulen sollten dabei zielgerichtet und bedarfsorientiert errichtet werden. Zeitgleich muss auch der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangetrieben werden, der zuletzt ins Stocken geraten ist.
Eine Abschwächung der CO2-Grenzwertvorgaben ist klimapolitisch kontraproduktiv und bestraft diejenigen Autohersteller, die bereits ihre Antriebe umstellen. Letztlich leistet eine Grenzwertabschwächung keinen Beitrag zum Ankurbeln der Konjunktur.
Auch im Bereich Digitalisierung liegen große Chancen für die sozial-ökologische Verkehrswende. Eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur ist für die Planung und Organisation von Mobilität unabdingbar. Sie trägt aber auch dazu bei, Verkehr zu reduzieren. Ganz oder gelegentlich zuhause zu arbeiten und an Konferenzen per Video teilzunehmen, spart den täglichen Weg zum Arbeitsplatz
Damit mehr Menschen beruflich wie privat die Möglichkeiten des Internets nutzen können, braucht es einen schnelleren Ausbau der digitalen Infrastruktur. Noch verläuft der Aufbau eines deutschlandweiten Hochgeschwindigkeits-Datennetzes viel zu langsam. Da die hierfür bereitgestellten Gelder zum Teil gar nicht abgerufen wurden, sollten insbesondere Kommunen bei der Planung, Antragstellung und Umsetzung unterstützt werden.
Für Pendler*innen sind auch Zugfahrten für das mobile Arbeiten prädestiniert, oft scheitert es jedoch am lückenhaften Mobilfunknetz auf vielen Strecken. Der Bund sollte das bestehende Investitionsprogramm zum 5G-Netzausbau an Bahnstrecken erweitern. Nicht nur das Hauptstreckennetz, sondern sämtliche Bahnstrecken sollten mit einer Verbindungsrate von 100 Megabit pro Sekunde abgedeckt werden.
Die Digitalisierung ist eine Chance, den Umweltverbund aus Bus und Bahn, Bike-, Car- und Ride-Sharing besser miteinander kombinieren zu können, um von A nach B zu gelangen. Bisher werden diese Möglichkeiten zu wenig genutzt. Erste Anfänge wie die App Jelbi in Berlin reichen nicht aus, um die Potenziale für intermodale Mobilität bundesweit zu erschließen. Eine deutschlandweite App für den öffentlichen Nahverkehr sollte rasch umgesetzt werden, damit man bald mit einem System die verschiedenen Verkehrsträger und Verbindungen von einem Ort zum anderen einsehen und mit einem Klick buchen kann. Die Daten dürfen ausschließlich für den Buchungsvorgang genutzt werden.
Wer mobiles Arbeiten nutzt, statt täglich ins Büro zu fahren, trägt dazu bei, Verkehr zu reduzieren. Für nicht wenige Menschen ist dies aber kaum möglich, da sie zuhause nicht die notwendigen Räumlichkeiten und technische Ausstattung haben. Coworking-Spaces, die dieses anbieten, befinden sich jedoch meist in den Innenstädten. Mit einem speziellen Förderprogramm kann der Bund die Schaffung von wohnortnahen Coworking-Spaces in kleinen Städten und im ländlichen Raum unterstützen. Hierfür können beispielswiese ehemalige oder nur zum Teil ausgelastete Bahnhofsgebäude genutzt werden. Zugleich werden damit kleinere Zentren außerhalb der Städte weiterentwickelt und dies trägt dazu, dass diese besser erschlossen werden.
Das Konjunkturprogramm, das den Verkehrssektor durch die Krise bringen und die Wirtschaft anschieben soll, wird den Staatshaushalt auf Jahre hinaus belasten. Ein Teil der langfristigen Gegenfinanzierung wird durch Steueranpassungen zu leisten sein. Damit auch diese zu einem nachhaltigen Umbau der Wirtschaft beitragen, sollten umweltschädliche Subventionen abgebaut werden. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes belaufen sich die klimaschädlichen Subventionen alleine im Verkehrsbereich auf 29 Milliarden Euro pro Jahr.
Ein aufkommensneutrales Bonus-Malus-System im Rahmen einer Kfz-Steuer-Reform. Fahrzeuge mit einem CO2-Ausstoß unterhalb eines bestimmten Schwellenwerts können steuerlich bevorzugt oder gar mit einem Bonus bezuschusst werden. Fahrzeuge mit einem hohen Schadstoffausstoß werden dafür durch einen sogenannten Malus zusätzlich belastet und finanzieren so den Bonus.
Der Umfang des sogenannten “Geldwerten Vorteils” bei der Besteuerung von Dienstwagen wird künftig am CO2-Ausstoß des Fahrzeugs ausgerichtet.
Das Dieselsteuerprivileg wird abgebaut und zeitgleich auf EU-Ebene die Energiebesteuerung auf CO2-Basis vorangetrieben.
Eine Lkw-Maut wird auf allen Straßen für Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen eingeführt und alle Mauteinnahmen nach dem Prinzip “Verkehr finanziert Verkehr” eingesetzt. So können der Ausbau der Infrastruktur für den Fuß- und Radverkehr sowie öffentliche Verkehrsmittel finanziert werden.
Statt die Luftverkehrsteuer abzusenken oder auszusetzen, müssen die Steuerprivilegien für den Flugverkehr auf den Prüfstand kommen: Alleine durch die Steuerfreiheit auf Kerosin und internationale Flugtickets entgehen dem Staat jährlich Einnahmen in Höhe von 12 Milliarden Euro. Deutschland kann bereits jetzt auf Grundlage der aktuellen EU-Energiesteuerrichtlinie Kerosin auf Inlandsflügen besteuern. Parallel dazu sollte die Bundesregierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft die Initiative für eine EU-weite Kerosinsteuer und für die Erhebung der Mehrwertsteuer auf internationale Tickets ergreifen.
Subventionen für unrentable Flughäfen sollten gestrichen werden. Viele Flughäfen tragen sich bereits seit Jahren nur aufgrund hoher Zuschüsse von Kommunen und Ländern. Diese Mittel stehen in Konkurrenz zu anderen öffentlichen Mitteln, wie sie z.B. für Bibliotheken, Schwimmbäder und sonstige Freizeit- und Beratungsangebote benötigt werden. Sie sollten aber auch verstärkt für die Förderung neuer Mobilitätsangebote und des ÖPNV genutzt werden.
Der CO2-Preis auf Brenn- und Kraftstoffe sollte wie geplant eingeführt und rasch erhöht werden. Dies stärkt nachhaltige Mobilität und setzt Anreize zum Umstieg. Ein Ausgleich sollte grundsätzlich nur für soziale Härtefälle gewährt werden, z.B. in Form einer Mobilitätspauschale. Eine höhere Entfernungspauschale ist sozial ungerecht, da von ihr in der Regel nur Besserverdienende profitieren.
Positionspapier, April 2020 (pdf, 280 KB)
Verkehrspolitischer Sprecher
Fon 030/28 03 51-19
michael.mueller-goernert@vcd.org
Pressesprecherin
Fon 030/28 03 51-12
franziska.fischer@vcd.org