Es ist schön hier oben. Ich stehe an der Brüstung einer Holzplattform, hoch über dem Boden und blicke über die herbstlich bewaldeten Hügel des Bergischen Landes. Links und rechts von mir wiegen sich die Baumwipfel im Wind, ab und zu knarzt Holz. Die Luft ist frisch, die Blätter des Mischwaldes sind bunt, die Sicht ist offen und weit.
Wir sind für einen Familienausflug zum „Panarbora“ gekommen, einem Naturerlebnispark in Waldbröl, auf halbem Weg zwischen Köln und Siegen: Mein Sohn Maxi (12), meine Frau und ich. Die Attraktion des Parks ist der 1.613 Meter lange Baumwipfelpfad, der auf Stützen durch den Wald führt. Auf sieben Plattformen in unterschiedlicher Höhe bieten sich ungewöhnliche Aussichten. Der Pfad beginnt und endet in einem Einstiegsturm, der die Besucher*innen in Serpentinen aufsteigen lässt.
Den klassischen Waldspaziergang kennt jeder, aber auf Höhe der Baumwipfel zu schlendern ist etwas Besonderes: Es ist, als würde man Eichen und Buchen „Hallo“ sagen; als würde man alte Freunde wiedertreffen, die man lange nicht mehr gesehen hat. Maxi umfasst die Krone eines Baumes und probiert behutsam, ihn in Schwingung zu bringen. Infotafeln und Schaukästen erklären anschaulich das Ökosystem Wald. Da Halloween bevorsteht, hängen hier und da Hexen, Geister und Riesenspinnen in den Baumwipfeln.
Betreiber des „Panarbora“ ist das Deutsche Jugendherbergswerk. Der Park wurde 2015 eröffnet. Neben dem Baumwipfelpfad bietet er viele Attraktionen, die sich vorwiegend an Familien mit Kindern richten: einen Abenteuerspielplatz mit Wasserspielen und Holzkugelbahnen, einen Irrgarten aus Hecken, ein Kleintiergehege, ein Restaurant und vieles mehr. Kostenpunkt für eine Familie mit drei Kindern: 30 Euro. Der 32 Meter hohe Einstiegsturm ist wie der Baumwipfelpfad komplett barrierefrei. Oben befindet sich eine Aussichtsplattform mit vielen weiteren Informationen zur Kultur- und Naturgeschichte des Bergischen Landes. Im Park gibt es mehrere Erlebnisdörfer und Baumhäuser, die man für Klassenfahrten, Tagungen oder den Familienurlaub buchen kann.
In der Baum-Ausstellung
Seit 2003 im Pfälzerwald der erste Baumwipfelpfad eröffnet wurde, sind in Deutschland viele weitere entstanden. Vermarktet werden die Pfade als Naturerlebnisse mit Lerneffekt: „Schulklassen sind auf ihrer Entdeckungsreise durch die faszinierende Welt von Panarbora der heimischen Tierwelt und Natur ganz nah“, heißt es auf der Website des Parks. Auf Führungen lernen Kinder und Erwachsene allerlei über Nahrungsketten und Biodiversität.
Der pädagogische Bedarf ist unbestritten. Denn Kinder sind immer seltener in der Natur. Laut Studien spielt nur noch ein Drittel der Kleinen täglich draußen. Die Hälfte der Kinder im Alter bis zu 12 Jahren ist noch nie selbstständig auf einen Baum geklettert. Während der Pandemie drehte sich der Trend kurzzeitig um: 44 Prozent der Jugendlichen verbrachten während Corona mehr Zeit in der Natur als zuvor.
Aber kommt man der Natur auf dem Baumwipfelpfad wirklich so nah, wie der Werbetext verspricht? Sicher, es ergeben sich Blickwinkel auf die heimische Natur, die man sonst nicht hat. Das weckt Neugier und Wissensdurst. Andererseits ersetzt der geführte und sorgfältig kuratierte Pfad nicht das freie Spiel in der Natur: Man stolpert nicht über Wurzeln, tritt nicht in Matsch, kann nicht von Ast zu Ast klettern. Auf dem Pfad kommt man den Bäumen näher und ist doch merkwürdig distanziert von ihnen. Man schaut hier auf Bäume wie auf Exponate einer Kunstausstellung.
Vierzig Prozent aller Baumarten sind vom Aussterben bedroht. Ist ein Park wie „Panarbora“ ein Hoffnungszeichen für ein wachsendes Naturbewusstsein? Oder eher ein Symptom dafür, dass sich unsere Kultur immer stärker von der Natur entfremdet? Man kann „Panarbora“ mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Aber fast alle Familien sind mit dem Auto angereist.
Mein Sohn findet den Park toll. Weil es viele Möglichkeiten zum Spielen gibt. Der Baumwipfelpfad ist für ihn aber der am wenigsten interessante Teil: „Ich wäre lieber normal durch den Wald gelaufen. Da kann man Käfer beobachten und Spuren suchen und sich verstecken“, sagt er. Das schönste Naturerlebnis haben wir dann auch an unerwarteter Stelle: Im hinteren, menschenleeren Teil des Parks führt ein Sinnesrundweg statt in die Höhe in eine Senke. Am Wegesrand entdecken wir Pilze in allen Farben und Formen: Schwefelköpfe, Safran-Schirmlinge, Fliegenpilze, Geweihförmige Holzkeulen und viele mehr. Aufmerksam suchen wir Boden und Böschungen ab und freuen uns diebisch über jeden neuen Fund. Zu Hause angekommen, rufen wir eine befreundete Pilzexpertin an, die uns hilft, anhand unserer Fotos die Pilzarten zu bestimmen.
Eines ist mir dabei klar geworden: Wir sollten wieder öfter in den Wald gehen. So ganz auf die alte Tour.
Autor
Tim Albrecht ist Redakteur, Berater und Coach für Kommunikation rund um die Themen Nachhaltige Mobilität & Urban Transformation. Er arbeitet bei der fairkehr Agentur in Bonn und schreibt seit 2018 für das VCD-Magazin fairkehr.