Bus- und Bahnfahren zum Nulltarif hört sich gut an. Ist jedoch zu kurz gedacht:
- Ticketverkäufe decken durchschnittlich drei Viertel der Betriebskosten des ÖPNV. Auf diese Finanzierungssäule sollte nicht einfach verzichtet werden.
- Obwohl der Preis durchaus Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl hat, ist er keineswegs allein entscheidend. Um mehr Menschen zum Umsteigen auf Bus und Bahn zu bewegen, muss das Angebot besser werden.
- Bei pauschalen Preisermäßigungen wechseln vor allem Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zum ÖPNV, nicht aber die Autofahrer*innen. Um diese zum Umstieg zu bewegen, darf die Pkw-Fahrt nicht der bequemste Weg sein. Um die richtigen Anreize zu schaffen, braucht es weniger und teurere Parkplätze, sowie Auto-Fahrspuren die zu Busspuren und Fahrradstreifen umgewidmet werden.
Der Wiener Weg und das 365€-Jahresticket
Ein 365€-Jahresticket ist ein guter Kompromiss zwischen einem nutzer*innenfinanzierten ÖPNV und einem Nulltarif. Um mehr Menschen zu befördern, genügt es aber nicht, allein an der Preisschraube zu drehen. Die Infrastruktur und das Angebot müssen massiv ausgeweitet werden. Dafür braucht es insgesamt mehr Geld im System ÖPNV. Ausreichende Kapazitäten und reduzierte Preise gehören zusammen. Der „Wiener Weg“ ist hier mustergültig.
Die Stadt Wien gilt europaweit als das Vorbild für guten öffentlichen Nahverkehr: dort gibt es mehr ÖPNV-Abos als Kfz-Zulassungen. Das liegt nicht allein an der populären 365€-Jahreskarte. Im Gegenteil, eine Untersuchung konnte bedeutendere Gründe für die Nachfragesteigerung aufzeigen: Das Angebot im Nahverkehr ist über Jahre hinweg gewachsen. Die ÖPNV-Infrastruktur wird seit Jahrzehnten konsequent ausgebaut und der Takt verdichtet. Busse und Bahnen fahren häufiger als in Berlin, München oder Köln. Die Parkraumbewirtschaftung wurde deutlich ausgeweitet und die Einnahmen aus Parkgebühren hauptsächlich in den weiteren Ausbau des öffentlichen Verkehrs investiert.
Die Standard-Tarife des ÖPNV richten sich an die Mehrheit der Bevölkerung, die über ein geregeltes Einkommen verfügt. Länder und Kommunen müssen in ihrer sozialstaatlichen Pflicht aber auch den Menschen ohne oder mit sehr geringem Einkommen Mobilität in ihrer Region ermöglichen. In Deutschland kommen zu viele Kommunen diesem Auftrag nicht nach. Es gibt aber auch hierzulande gute Beispiele: Das Land Berlin senkte 2017 die Kosten des Sozialtickets auf monatlich 27,50 Euro, exakt der Betrag, der im ALG II - Satz für Mobilitätsausgaben vorgesehen ist. Rostock ermöglicht seinen Schüler*innen seit Sommer 2019 die kostenfreie Nutzung der Busse und Straßenbahnen. Hessen bietet allen Schüler*innen und Auszubildenden ein landesweites 365€-Jahresticket an.
Länder und Kommunen müssen Verdopplung der Fahrgastzahlen ermöglichen
Der VCD fordert Länder, Kommunen und Aufgabenträger auf, den von Ihnen beauftragten Verkehrsunternehmen auch den finanziellen Spielraum zu geben, um die Fahrgastzahlen deutlich zu steigern. Dies kann durch Zuschüsse für die Fahrzeugbeschaffung geschehen. Verkehrsunternehmen in kommunaler Hand können weniger strenge Ergebnisziele gesteckt werden. Bei der Vergabe von Verkehrsleistungen im Wettbewerb müssen Aufgabenträger bereit sein, für bessere Leistung auch mehr Finanzmittel in die Hand zu nehmen.
Die Länder sollten ein akzeptables ÖPNV-Angebot zur kommunalen Pflichtaufgabe erheben. So kann auf kommunaler Ebene eine vorrangige Finanzierung des ÖPNV gegenüber dem Straßenbau ermöglicht werden.
»Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge.«
§1 Regionalisierungsgesetz
»ÖV-Beitrag« als zusätzliche Finanzierungssäule für lebenswerte Städte
Von einem guten ÖPNV-Angebot profitieren nicht nur die Fahrgäste, sondern alle Bewohner*innen und Unternehmen einer Gemeinde. Daher ist es nur angemessen, dass sich – über die Fahrgäste hinaus – alle an den Kosten des Nahverkehrs beteiligen. In Frankreich und Österreich hat sich eine ÖPNV-Abgabe bewährt.
Die ÖPNV-Finanzierungsstudie des VCD zeigt, dass auch in Deutschland ein entsprechendes Modell möglich und sinnvoll ist. Das Konzept sieht vor, in Kommunen eine zweckgebundene Abgabe – ähnlich der Grundsteuer B – zur Sicherung und zum Ausbau des ÖPNV zu erheben. So würde nicht jeder dasselbe zahlen, sondern Eigentümer von attraktiven Innenstadtlagen sowie von großen Grundstücken und Immobilien würden stärker zur Kasse gebeten. Auch Unternehmen wären beteiligt. Den ÖV-Beitrag benötigt der Nahverkehr als zusätzliche Finanzierungssäule.
Der Bund und der Nahverkehr
Der Bund gibt den Ländern im Zusammenhang mit der Regionalisierung des Bahnverkehrs (Bahnreform) Mittel, um den Verkehr mit Regionalzügen zu bestellen: die sogenannten Regionalisierungsmittel. Nach jahrelangen Verhandlungen und Druck seitens der Umweltverbände sowie Bundesländer, konnten 2016 die Mittel aufgestockt und fortan dynamisiert werden. Trotz der Verbesserung, sind die Mittel unzureichend, um bis 2030 die Zahl der Bahnnutzer zu verdoppeln.
Infrastrukturgroßprojekte unterstützt die Bundesrepublik durch Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG). Diese sollen bis zum Jahr 2021 auf eine Milliarde Euro pro Jahr anwachsen, nachdem sie zuvor 20 Jahre bei 333 Millionen Euro stagnierten. Die Liste von notwendigen Ausbauvorhaben ist jedoch lang und wird auf diesem Finanzierungsniveau Jahrzehnte brauchen um abgearbeitet zu werden. Der VCD hält eine Aufstockung auf mindestens zwei Milliarden Euro für notwendig. Die Bundesregierung hat im September 2019, im Rahmen des Klimaschutzpaketes, jedoch einer weiteren Aufstockung vor 2025 eine Absage erteilt.
Downloads
VCD-Position für bezahlbaren ÖPNV
September 2019 (PDF 1,8 MB)
VCD-Hintergrund Ein neues Finanzierungsmodell für Kommunen - BPV-Studie zur Finanzierung des ÖPNV
Zusammenfassung, 2015 (PDF 627 KB)
Der ÖV-Beitrag - BPV-Studie zur Finanzierung des ÖPNV
Langfassung, 2014 (PDF 1,3 MB)