Rückblick

VCD-Debatte zu Maßnahmen für eine schnelle Verkehrswende in Stadt und Land

Auf der zweiten Veranstaltung der Debattenreihe zum Thema „Mehr Gestaltungsspielraum für nachhaltige Mobilität in der Stadt und auf dem Land“ am 13.06.2022 diskutierte der VCD mit Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft die besondere Rolle der Kommunen für die Verkehrswende und machte auf die entsprechenden Hemmnisse im Verkehrsrecht aufmerksam.

| Auto Bundesmobilitätsgesetz Fußverkehr Radverkehr

Anika Meenken, Sprecherin für Radverkehr und Mobilitätsbildung beim VCD, eröffnete die zweite Veranstaltung der der Debattenreihe mit einem kurzen Problemaufriss. Ihr falle immer wieder auf, wie menschen- und kinderfeindlich das aktuelle Verkehrssystem auf der einen Seite sei und wie sehr autogerecht auf der anderen. Die Lösung dafür sei bekannt: „Wir brauchen einen massiven Umstieg vom Auto und eine Verlagerung auf den Umweltverbund.“ Doch immer wieder scheiterte dieser. Woran liegt das und welche Verantwortlichkeiten haben Bund, Länder und Kommunen?

Für Angela Kohls, Abteilungsleiterin für Verkehr beim ADFC, spielen Länder und Kommunen eine zentrale Rolle: „Die Umsetzung der Klimaziele gelingt nur mit der Verkehrswende vor Ort.“ Das aktuelle Rechtssystem im Verkehrsbereich lasse ihnen aber kaum Handlungsspielraum für klimafreundliche Verkehrsplanung. Grund dafür sei vor allem das Straßenverkehrsgesetz (StVG), das ausschließlich die Gefahrenabwehr und Leichtigkeit des Kfz-Verkehrs regle. Dieser Gesetzeszweck müsse erweitert werden um Belange des Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutzes und der städtebaulichen Planung. In einem zweiten Schritt müsse dann die Reformierung der StVO folgen, um Gestaltungsfreiheit für Länder und Kommunen zu schaffen. Kohls dazu: „Die Neuausrichtung des StVG ist elementar, um unser Mobilitätssystem an den Bedürfnissen aller Verkehrsteilnehmer auszurichten (…) und so den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, nicht das Kraftfahrzeug.“

Auch Philipp Kosok, Projektleiter Öffentlicher Verkehr bei Agora Verkehrswende, verwies auf die besondere Rolle der lokalen Akteure in der Verkehrswende: „Der Veränderungswille in den Kommunen war noch nie so deutlich, wie er es aktuell ist.“ Das wird an der Initiative „Lebenswerte Städte“ besonders deutlich. Aus sieben Städten wurden in kurzer Zeit 191. Diese setzen sich primär dafür ein, leichter Temporeduktionen einrichten zu dürfen. Die Initiative stehe aber stellvertretend für viele Maßnahmen, die dringend notwendig seien. Dabei gehe es um die Einhaltung der Klimaschutzziele, aber auch die allgemeine Belastung der Städte durch den Verkehr. Kosok betonte: „Die Städteinitiative ist der beste Ausdruck dafür, dass es zunehmend ein Akzeptanzproblem für den Autoverkehr, wie er heute stattfindet, gibt.“
 

"Die Neuausrichtung des StVG ist elementar, um unser Mobilitätssystem an den Bedürfnissen aller Verkehrsteilnehmer auszurichten"

Angela Kohls, Abteilungsleiterin für Verkehr, ADFC

Im dritten Vortrag ging Axel Friedrich, internationaler Verkehrsexperte und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des VCD, auf die Notwendigkeit eines Bundesmobilitätsgesetzes ein. Auch er sehe den Reformbedarf im Verkehrsrecht. Entscheidend sei es aber, daraus ein Gesetz zu formen: „Wir brauchen kein Straßenverkehrsgesetz, kein ÖPNV-Gesetz, keinen Fahrradplan. Wir brauchen eine einzige Basis für unsere Mobilität. Das Bundesmobilitätsgesetz.“ Das definiere genaue Ziele für Bund, Länder und Kommunen. Nur mit einem zielgerichteten und koordinierten Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen gelinge die effektive Verlagerung auf den Umweltverbund. Denn er machte deutlich, dass die meisten CO2-Emissionen im überörtlichen Verkehr auf Wegen über zehn Kilometern entstehen.

Straßenverkehrsrecht bremst Verkehrswende

In der anschließenden Paneldiskussion überlegten Swantje Michaelsen, Mitglied des Bundestags für Bündnis 90/Die Grünen, Frauke Burgdorff, Stadtbaurätin der Stadt Aachen, Jan Korte, wissenschaftlicher Referent für kommunale Nachhaltigkeit beim Rat für Nachhaltige Entwicklung und Kerstin Haarmann, VCD-Bundesvorsitzende, wie die Mobilität der Zukunft aussehen sollte, wie das Sorgenkind ländlicher Raum mit eingebunden werden kann und was es von der Politik braucht, um die Änderungen des StVG zu realisieren.

Burgdorff, die auch Mitbegründer*innen der Initiative „Lebenswerte Städte“ ist, sprach sich für die Änderung des StVG aus und machte deutlich, dass es nicht darum ginge flächendeckend Tempo 30 einzuführen. Vielmehr ginge es um die subsidiäre Kompetenz der Kommunen, entscheiden zu können, an welchen Orten Temporeduktionen eingeführt werden sollen. Mit dieser Chance würde sich „das Leben der Menschen vor Ort ganz konkret verändern.“ Michaelsen teilte diese Einschätzung und verwies auf den demokratischen Mehrwert der Gesetzesänderung. Damit werden Demokratie, Kommunalpolitik und insbesondere das Vertrauen der Menschen in Institutionen gestärkt. Sie erläuterte: „Wir haben überall im Land Entscheidungen aus den kommunalen Parlamenten für Veränderungen, z.B. Tempo 30, (…), die dann nicht umgesetzt werden können, weil das StVG es ausbremst.“ Auch Korte pochte auf das Prinzip der Subsidiarität: „Jede Stadt, jede Region hat unterschiedliche Voraussetzungen die Mobilitätswende umzusetzen.“ Ziele müssten bundesweit einheitlich gelten, aber die Umsetzung lokal passieren. Diese Logik wird auch im Bundesmobilitätsgesetz verfolgt, für das sich Haarmann nochmal stark machte. Länder und Kommunen brauchen gesetzlich definierte Spielräume und müssen mit dem Bund Zielbeiträge aushandeln. Diese müssen alle leisten, aber Kommunen sollen entscheiden können, wie sie die erbringen. Das Bundesmobilitätsgesetz reguliere genau das und sei daher ein „Win-Win-Win-Gesetz, das wir unbedingt brauchen.“

Kommunen, Verkehrsplaner*innen und zivilgesellschaftliche Akteure sind sich einig: Das aktuelle Straßenverkehrsrecht bremst die Verkehrswende aus. Und die Bundespolitik? Michaelsen zeigte sich zuversichtlich, dass die Ampelregierung die Änderung der StVG und StVO zu ihrem Projekt macht. Dieses müsse vor allem schnell passieren. Die Gesprächseinladung an Verkehrsminister Volker Wissing von Frauke Burgdorff und ihren Mitinitiatoren der Initiative für Lebenswerte Städte blieb bis Ende der Veranstaltung allerdings unbeantwortet.

Michael Müller-Görnert

Verkehrspolitischer Sprecher des VCD
Fon 030/28 03 51-19
michael.mueller-goernert@vcd.org
Michael Müller-Görnert auf Twitter

zurück

Cookie-Einstellungen ändern