Bezahlbarer ÖPNV durch Sozialtickets

Sozialtickets sollen Menschen, die staatliche Leistungen beziehen, bezahlbare Mobilität ermöglichen. Die Preise und Bedingungen sind jedoch sehr unterschiedlich, und nicht jede Kommune kann sich vergünstigte Sozialtickets leisten.

| ÖPNV Soziale Aspekte der Verkehrswende

Für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist die persönliche Mobilität von großer Bedeutung. In den seltensten Fällen befinden sich Arbeitsstelle, Einkaufmöglichkeiten oder Ärzte in unmittelbarer Nähe der eigenen Wohnung. Für Menschen mit geringem Einkommen ist ein eigenes Auto häufig unerschwinglich, aber auch die Preise für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sind für viele zu hoch.

Damit es beispielsweise auch Empfänger*innen von Arbeitslosengeld II (ALG II) möglich ist, den ÖPNV zu nutzen, bieten viele Städte ein sogenanntes Sozialticket an. Das ist eine vergünstigte Fahrkarte für Busse und Bahnen des ÖPNV. Die Preise für ein solches Ticket unterscheiden sich teilweise stark zwischen den Städten. In den meisten Fällen sind diese Tickets nicht übertragbar und müssen extra beantragt werden.

Solche Sozialtickets sind freiwillige Leistungen, das heißt Gemeinden oder Kommunen sind nicht verpflichtet, ein vergünstigtes Ticket anzubieten. Oftmals erhalten die regionalen oder überregionalen Verkehrsunternehmen für das Sozialticket einen Zuschuss von den betreffenden Städten, Landkreisen oder Bundesländern. Die meisten Groß- und Mittelstädte und zunehmend auch kleinere Städte und Landkreise bieten Sozialtickets an, aber von vielen finanziell schwachen Landkreisen und Kommunen werden Sozialtickets aus Geldmangel abgelehnt.

Wer berechtigt ist, ein Sozialticket zu beantragen ist unterschiedlich, aber meist sind zumindest Empfänger*innen von Arbeitslosengeld, Sozialgeld, Sozialhilfe und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz berechtigt. In manchen Fällen können außerdem Empfänger*innen von Wohngeld und Kinderzuschlag und Leistungsberechtigte nach dem Bundesversorgungsgesetz ein Sozialticket beantragen.

Wie teuer sind Sozialtickets?

Die Preise für Sozialtickets sind so unterschiedlich wie die Preise für den öffentlichen Nahverkehr generell. Je nach Region, Ticket-Reichweite, Netzdichte, Größe der Stadt oder der Kommune, zuständigem Verkehrsverbund, Abonnements und vielen weiteren Bedingungen unterscheiden sich auch die Preise für ÖPNV-Tickets, sodass bundesweite Aussagen und Vergleiche schwierig sind. Hinzu kommt, dass auch die sonstigen Lebenshaltungskosten und die Einkommen regional sehr unterschiedlich sind, sodass auch der Anteil eines ÖPNV-Tickets an den Ausgaben schwankt.

Im Gegensatz dazu ist der Anteil, der für Verkehr im Regelsatz des Sozialgesetzbuches (SGB)1 in 2021 vorgesehen ist, bundesweit der Gleiche, nämlich 40€. Das ist zwar mehr als noch 2017, wo lediglich 27,50€ vorgesehen waren, reicht dennoch in den meisten Fällen nicht aus, um davon ein Monatsticket für den ÖPNV zu finanzieren.

In den meisten größeren und mittelgroßen Städten und auch in einigen Landkreisen gibt es mittlerweile deshalb Sozialtickets, und viele davon liegen unter dem aktuellen Anteil für Verkehr im Regelsatz. Mit einigen Ausnahmen: zum Beispiel in Mainz, Frankfurt oder Hamburg liegen die Preise auch für Sozialtickets deutlich höher.2

Problematisch ist die Situation vor allem in vielen ländlichen Regionen, wo es selten Sozialtickets gibt und das ÖPNV-Angebot eingeschränkt ist, sodass Menschen mit geringem Einkommen oder im Arbeitslosengeld-Bezug hier doppelt benachteiligt sind: durch ein schlecht ausgebautes ÖPNV-Angebot, dass ihre Mobilität einschränkt, gleichzeitig aber zu teuer ist. Dabei wäre ein gutes und bezahlbares ÖPNV-Angebot und die Möglichkeit von Sozialtickets gerade in solchen Gegenden nötig, da viele alltägliche Besorgungen oft nicht vor Ort erledigt werden können und weitere Wege zurückgelegt werden müssen als in Städten.

So unterschiedlich sind die Bedingungen für Sozialtickets

Wie viel ÖPNV man für sein Geld bekommt, ist sehr unterschiedlich. Zum Beispiel in Ulm kostet ein normales Monatsticket 61€, das Sozialticket ist reduziert auf 31€. Im Vergleich dazu kostet das Monatsticket in Balingen, einer Kleinstadt im Zollernalbkreis ebenfalls in Baden-Württemberg, 62€ - hier gibt es allerdings kein Sozialticket, obwohl ein solches Ticket im Armuts- und Sozialbericht für den Landkreis empfohlen wurde. Die Landkreisverwaltung sprach sich aufgrund von “erheblichen Kosten bei überschaubarer Zahl der potenziellen Nutzer” und “zu hohem Verwaltungsaufwand” dagegen aus.3

Einen anderen Ausgang gab es dagegen in Nordrhein-Westfalen: 2011 wurde das Sozialticket eingeführt und vom Land finanziell gefördert. 2017 plante die schwarz-gelbe Landesregierung, das Sozialticket abzuschaffen und das Geld stattdessen in den Straßenbau zu stecken. Nach großen Protesten von Opposition und Sozialverbänden ruderte die Regierung zurück, und nachdem 2019 die letzten Kreise in Ostwestfalen-Lippe nachzogen ist das Sozialticket für 39€ nun in ganz NRW für die jeweilige Heimatstadt bzw. den Heimatkreis erhältlich.

Ein ähnliches Ticket forderte das Bündnis „Mobilität für alle“ (ein Zusammenschluss aus 14 Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden und des VCD) in 2018 auch für Rheinland-Pfalz. SPD und Grüne sagten zwar zu, sich mit dem Thema zu befassen, die Sozialtickets haben es im Gegensatz zu Jobtickets und einem 365€-Ticket für junge Menschen jedoch nicht in den Koalitionsvertrag 2021 geschafft.4

Auch die Art von Sozialtickets, die die Kommunen ausgeben, sind sehr unterschiedlich. Zum Beispiel gibt Ludwigshafen am Rhein, wo ein normales Monatsticket 76€ kostet, als Sozialticket pro Person im Monat drei Mehrfachkarten mit jeweils fünf Fahrscheinen für 5€ aus – bis das Kontingent ausgeschöpft ist. Heidelberg dagegen, ähnlich groß, ähnlich viele Einwohner*innen, keine halbe Stunde mit der S-Bahn entfernt und bei gleichem Preis für normale Monatstickets, gibt das Sozialticket als Monatskarte für nur 25€ aus.

Ein besonders positives Beispiel ist auch Nürnberg: Hier wurde entgegen dem Trend von steigenden Ticketpreisen auch für Sozialtickets der Preis sogar gesenkt. Hier kostet der “Solo 31 Nürnberg-Pass” seit dem 1. Januar 2021 nur noch 15€5. Mit dem Ziel, die Reichweite zu erhöhen und noch mehr Bürger*innen Teilhabe zu ermöglichen, wurde im Vergleich zum vorherigen Angebot der Preis für das Sozialticket halbiert und die zeitliche Beschränkung abgeschafft. Zudem bekommt man mit dem Ticket auch vergünstigen Eintritt zu Bildungs-, Kultur- und Sportangeboten. Das Beispiel zeigt, was ein solches Sozialticket sein kann: Die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe, mobil zu sein und aktiv am Leben teilhaben zu können.

ÖPNV: für viele zu teuer und trotzdem unterfinanziert

Die hier zusammengetragenen Beispiele zeigen, dass der öffentliche Nahverkehr in Deutschland viel Geld kostet, und zwar nicht nur für Bezieher*innen von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld, sondern auch für Menschen mit geringem Einkommen. Sozialtickets bieten hier eine Möglichkeit, Mobilität und damit soziale Teilhabe für diese Menschen zu ermöglichen. Generell sollte aber der ÖPNV für alle Menschen, auch diejenigen mit geringem Einkommen, die keine staatlichen Leistungen beziehen, bezahlbar sein. Doch gerade am Beispiel Sozialtickets zeigt sich das Problem der Finanzierung. Finanzschwache Kommunen können die Einnahmenausfälle, die durch vergünstigte Sozialtickets entstehen, nicht ausgleichen, hier muss dann das Land wie im Beispiel NRW einspringen. Ein bezahlbarer ÖPNV bei gleichzeitig gutem Angebot erfordert also eine Neuausrichtung bei der Finanzierung des ÖPNV.

Unsere Forderungen

  • Sozialtickets sollten bundesweit und flächendeckend angeboten werden, auch abseits der Großstädte.
  • Der Preis für Sozialtickets sollte nicht höher sein als der für Verkehr vorgesehene Anteil im Regelbedarf nach Sozialgesetzbuch (in 2021 40€).
  • Jobcenter, Verkehrsunternehmen und soziale Einrichtungen wie Stadtteilzentren oder Nachbarschaftshäuser sollten online und offline gut auffindbare und leicht verständliche Informationen zum Sozialticket zur Verfügung stellen.
  • Die Einnahmeausfälle durch vergünstigte Tickets sollten durch Bund und/oder Länder ausgeglichen werden, damit auch finanziell schwächere Kommunen Sozialtickets anbieten können.

Quellen

[1] BMAS: Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sowie weiterer Gesetze vom 9. Dezember 2020. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2020 Teil I Nr. 61, ausgegeben zu Bonn am 14. Dezember 2020. https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/text.xav?SID=&tf=xaver.component.Text_0&tocf=&qmf=&hlf=xaver.component.Hitlist_0&bk=bgbl&start=%2F%2F*%5B%40node_id%3D%27817636%27%5D&skin=pdf&tlevel=-2&nohist=1

Für die Aufschlüsselung des Regelsatzes und weitere Informationen zur Ermittlung siehe HartzIV.org: Hartz IV Regelsatz. Regelbedarf 2021 beim Arbeitslosengeld II. https://www.hartziv.org/regelbedarf.html

[3] Lorenz Hertle (2021): Armut im Zolleranalbkreis: Kreisverwaltung will kein Sozialticket für ÖPNV. Schwarzwälder Bote, 29.03.2021. https://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.armut-im-zolleranalbkreis-kreisverwaltung-will-kein-sozialticket-fuer-oepnv.5b21c968-492c-48ef-acb3-a0cde1f73cdb.html

[4] Zukunftsvertrag Rheinland- Pfalz – 2021 bis 2026. Koalition des Aufbruchs und der Zukunftschancen. https://www.rlp.de/fileadmin/rlp-stk/pdf-Dateien/Staatskanzlei/rlp_Koalitionsvertrag2021-2026.pdf

[5] Stadt Nürnberg (2020): Neues Sozialticket für Nürnberg-Pass-Berechtigte. Nachrichten aus dem Rathaus Nr. 1286/23.12.2020. https://www.nuernberg.de/presse/mitteilungen/presse_69820.html

Heinrich-Böll-Stiftung (2020): Infrastrukturatlas 2020. Daten und Fakten über öffentliche Räume und Netze. https://www.boell.de/sites/default/files/2020-11/Infrastrukturatlas%202020.pdf?dimension1=ds_infrastrukturatlas

[2] Preise für Sozialtickets

Preise für Sozialtickets im Vergleich zu Normalpreisen für Monatskarten ohne Abo, in Euro, 2021

Stadt

Sozialticket

Normalpreis

Link

Hamburg

90

113

https://www.hamburg.de/sozialkarte

Köln

39

106

https://www.vrs.de/tickets/ticketuebersicht/ticket/mobilpasstickets

Frankfurt a.M.

66

92

https://www.vgf-ffm.de/de/tickets-tarife-plane/tickets-kauf/zeitkarten/monatskarten/

Berlin

28

86

https://www.bvg.de/berlin-ticket-s

Mainz

63

84

https://www.mainz.de/vv/produkte/buergeramt/mainzpass.php 

https://www.rheinpfalz.de/politik/rheinland-pfalz_artikel,-landesweites-sozialticket-gefordert-_arid,1129012.html 

Nürnberg

15

80

https://www.nuernberg.de/internet/sozialamt/projekte_nuernberg_pass.html

Leipzig

35

79

https://www.mdv.de/ticket/leipzig-pass-mobilcard/

Heidelberg

25

77

https://www.heidelberg.de/hd,Lde/HD/Rathaus/Sozialticket.html 

Ludwigshafen

3 Mehrfahrtenkarten (jeweils 5 Fahrscheine) pro Monat à 5 €

76

https://www.vrn.de/tickets/tarifsystem/wabensystem/index.html#sec_0_16
 
 https://www.ludwigshafen.de/buergernah/buergerservice/dienstleistungen-a-z/detail/services-detail/sozialticket/  

Koblenz

-

75

https://www.vrminfo.de/fahrkarten/tickets/fahrkarten/vielfahrer-tickets/

Wolfenbüttel

25

73

https://www.vrb-online.de/service/downloads/sozialticket-wolfenbuettel.html 

Duisburg

39

71

https://www.dvg-duisburg.de/tickets/abotickets/ticket1000-ticket2000/

Stuttgart

35

70

https://www.ssb-ag.de/tickets/soziale-tickets/jedermann-monatsticket-bonus/

Bremen

25

68

https://www.bsag.de/tickets/ticketinfo-und-fahrpreise/wochen-und-monatstickets.html

Hannover

39

68

https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Mobilit%C3%A4t/Bus-Bahn/Fahrpreise-Tarife/Sozialtarif/Region-S-Karte

Dresden

48

64

https://www.dvb.de/de-de/tickets/dresden-pass-inhaber/

Balingen

-

62

https://www.naldo.de/tickets-und-preise/alle-fahrscheine/ 

Ulm

31

61

https://www.ulm.de/-/media/ulm/so/downloads/soziale-verguenstigungen/merkblatt-sozialticket--alle-sr-stand-januar-2020.pdf

München

30

57

https://www.mvv-muenchen.de/tickets/zeitkarten-abos/

Weimar

23

56

https://stadt.weimar.de/aktuell/presse/mitteilung/sozialticket-in-weimar-fuer-23-euro-erhaeltlich/

Greifswald

35

40

https://www.sw-greifswald.de/Leistung/OEPNV/Tickets/Kultur_und_Sozialpass


Kontakt

Katharina Klaas

Projektbearbeiterin für das Projekt »Verkehrswende: klimaverträglich und sozial gerecht«

katharina.klaas@vcd.org

Dominik Fette

Sprecher für klima- und sozialverträgliche Mobilität

dominik.fette@vcd.org

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