Mobilitätsgarantie

9-Euro-Nachfolgeticket: Nicht ohne Sozialticket und Angebots-Ausbau!

Vielen Menschen fehlt das Geld, um angemessen mobil zu sein, aber Bund und Länder streiten um Kompetenzen und Finanzen. Wir appellieren an die Verkehrspolitik: Nehmt endlich die Menschen in den Blick!

| ÖPNV Soziale Aspekte der Verkehrswende

Das Bus- und Bahn-Angebot schnell und flächendeckend ausbauen, eine Qualitätsoffensive, mehr Geld für Personal und dazu ein supergünstiges Ticket für alle: Beim Wünsch-dir-was wären wir dabei. Die Realität sieht anders aus: Bund und Länder kämpfen um jeden Euro für die Verkehrswende und der Bundesfinanzminister hat nur den Status quo im Blick. Daher setzen wir klare Prioritäten: Um allen ein bezahlbares Angebot zu bieten, muss Geld vor allem in den Ausbau und in Sozialtickets fließen – und zwar mindestens 15 Mrd. Euro pro Jahr zusätzlich.

Kompetenzgerangel statt Mobilität für Menschen 

Mit den Beschlüssen zum dritten Entlastungspaket gab der Koalitionsausschuss am 3.9. grünes Licht für ein dauerhaftes, bundesweites Nahverkehrsticket. Das ist ein gutes Signal, denn im Sinne von Klimaschutz und Energieunabhängigkeit sollten Bus und Bahn bald so einfach zu nutzen sein wie das eigene Auto – und wesentlich günstiger als dieses.

In drei Punkten ist dieser Beschluss der Koalition aber ungenügend:

1. Wenn der Bund das will, soll er auch zahlen 

Die Bundesregierung will nur dann 1,5 Mrd. Euro für das Nachfolgeticket bezahlen, wenn die Länder mindestens die gleiche Summe aufbringen. Sie argumentiert, dass die Verantwortung für den Öffentlichen Nahverkehr bei Ländern und Kommunen liege. Das birgt allerdings die Gefahr, dass die Länder das Geld dann an anderer Stelle einsparen – z.B. bei Investitionen in den Ausbau und die Barrierefreiheit des ÖPNV.  

Aus den Ländern kam daher viel Kritik. Die Verkehrsministerkonferenz der Länder knüpfte am 19.9. die Zustimmung zu einem Nachfolgeticket an die Bedingung, dass der Bund die Regionalisierungsmittel wie angekündigt schon für 2022 um 1,5 Mrd. Euro erhöhen und zusätzlich noch mit einem Energiepreis-Zuschlag von 1,65 Mrd. Euro für 2022 und 2023 versehen müsse. Außerdem wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet.  

Der Bund könnte sich bei den Verhandlungen mit den Ländern auf eine sinnvolle Ausgestaltung des Tickets konzentrieren, wenn er das nötige Geld komplett bereitstellen würde. Für die Fahrgäste ist dieses Bund-Länder-Hickhack nur ärgerlich.  

2. Für viele zu teuer 

Das neue Ticket soll eine Entlastung sein. Aber auch mit 49 Euro – der genannten Untergrenze – wäre es für viele noch zu teuer. Daher muss dieses Ticket durch ein Sozialticket ergänzt werden, das deutlich günstiger ist, aber dieselben Leistungen bietet. Zudem sollten Kinder im Nah- und Regionalverkehr kostenlos fahren. 

3. Fehlendes Angebot 

Außerdem nützt das Ticket den vielen Menschen nichts, die die Öffis gar nicht nutzen können: Weil sie keine Haltestelle in der Nähe haben, die Verbindung zu schlecht oder der Bus nicht barrierefrei ist. Hier fehlt ein klares Signal vom Bund: Er muss den Ausbau mindestens bis 2030 verlässlich finanzieren. 

Es geht ums Geld

Letztlich geht es bei allen Punkten ums Geld. Und um die Frage, wie viel aus welchem Topf wofür bereitgestellt wird. Der Porsche-Fan Lindner will als Bundesfinanzminister die Subventionen in den Autoverkehr nicht abbauen, weil dies für ihn als „Steuererhöhung“ ein FDP-Tabu ist. Den Ruf nach günstigen Tickets hingegen bezeichnet er als Gratismentalität.  

Hinzu kommt ein Verkehrsminister derselben Partei, der auch nicht gerade für die Verkehrswende brennt. Immerhin setzt er sich glaubhaft dafür ein, das System der Verkehrsverbünde, der Tarife und der zweckgebundenen Mittelzuweisung zu vereinfachen und zu verbessern. Er setzt auf Bürokratieabbau und Effizienzgewinne. Nicht verkehrt – aber das allein wird die Verkehrswende sicherlich nicht reißen.  

Aus den Ländern kommt vor allem der Ruf nach mehr Geld. Und von Bundespolitiker*innen unterschiedlichster Couleur die Antwort, dass der ÖPNV doch Ländersache sei. Beides ist richtig. Und beides zeigt das Unvermögen, gemeinsam eine gute Finanzierung für einen hochwertigen ÖPNV auf die Beine zu stellen – als Grundlage dafür, dass wir alle in Zukunft ökologisch mobil sein können. 

Bezahlbar für alle mit einem bundesweiten Sozialticket 

Mit dem 9-Euro-Ticket wurde die „Corona-Delle“ bei den Fahrgastzahlen überwunden und die „Öffis“ bekommen große Aufmerksamkeit. Der Preis war unschlagbar. Begeistert hat die Menschen aber auch die Einfachheit, weil keinerlei Tarifgrenzen zu beachten waren. Dahinter dürfen wir nicht zurück. Es muss ein Nachfolge-Ticket geben, das bundesweit im gesamten Nah- und Regionalverkehr gültig ist.  

Wenn man sich anschaut, wie viel heute die normalen Monatstickets kosten, und welche Bereiche sie dabei abdecken, dann ist ein Preis von 49 bis 69 Euro sehr günstig (siehe Grafik). Im Vergleich mit den 9 Euro klingt das natürlich viel, aber dieser Vergleich ist für ein dauerhaftes bundesweites Ticket nicht zulässig. Die Verkehrsunternehmen (VDV) kalkulieren für ihren 69-Euro-Vorschlag mit Kosten von 2 Mrd. Euro pro Jahr. Das 9-Euro-Ticket würde aufs Jahr 10 Mrd. Euro kosten. Die Differenz von 8 Mrd. Euro ist nach unserer Einschätzung besser im Ausbau angelegt – damit es bald für alle ein gutes Angebot gibt. 

Was bedeutet bezahlbar? 

Doch 49 und erst recht 69 Euro sind für viele Menschen nicht bezahlbar. Daher brauchen wir dringend ein bundesweites Sozialticket, das deutlich günstiger sein muss – maximal 30 Euro. 

Derzeit gibt es viele Kommunen, die gar kein Sozialticket anbieten. Meistens können es sich diese Kommunen gar nicht leisten oder müssen abwägen, ob es weiterhin eine Bibliothek, ein Schwimmbad oder ein Sozialticket geben soll. Und alles, was mehr als 35 Euro kostet, verdient den Namen Sozialticket nicht. Tatsächlich kostet es in Hamburg sogar 90 Euro. Auch die Voraussetzungen und Wege, um ein Sozialticket zu erhalten, sind sehr unterschiedlich (ausführlich zum Stand von Sozialtickets im Beitrag “Bezahlbarer ÖPNV durch Sozialtickets“). 

Weil Mobilität Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist, fordern wir ein bundesweites Sozialticket. Nur so kann das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse und das Grundrecht auf Mobilität erreicht werden. Eine bundesweit gültige Nachfolge zum 9-Euro-Ticket bietet jetzt die Chance, dies als Aufgabe des Bundes zu definieren und damit zu vereinheitlichen. Und als sozialpolitische Aufgabe des Bundes sollten die Kosten dafür auch aus dem Sozialetat getragen werden. Damit würde auch sichergestellt werden, dass die Kosten nicht in Konkurrenz zum ÖPNV-Ausbau stehen. 

Soll dieses Ticket bundesweit gelten?  

Wir meinen ja. Denn für Einkäufe und Arztbesuche muss das Ticket mindestens bis ins nächste Mittel- oder Oberzentrum gelten. Und noch gibt es für lokale Monatskarten das System der Verbünde mit den Grenzen, die sich nicht an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. 

Gleichzeitig würde ein bundesweit gültiges Ticket es den Menschen mit geringem Einkommen ermöglichen, auch mal eine längere Fahrt zu unternehmen. Der Besuch der Tante oder eines Freundes würde nicht immer wieder am Geld scheitern. Diese Fahrten würden ganz sicher nicht den Regionalverkehr überlasten, da sich der Bedarf schnell einpegelt – zumal sie ja mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden sind. Das hat auch die Erfahrung mit dem 9-Euro-Ticket gezeigt: Für lange Distanzen wurde es kaum genutzt. 

Wer soll berechtigt sein, ein Sozialticket zu erhalten?  

Der Personenkreis sollte mindestens all jene umfassen, die sogenannte einkommensgeprüfte Leistungen erhalten. Darunter fallen z.B. Empfänger*innen von Arbeitslosengeld, Sozialgeld, Sozialhilfe, Wohngeld und Kinderzuschlag, von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder dem Bundesversorgungsgesetz. 

Diese Eingrenzung ist allerdings ungenügend. Viele Menschen mit geringem Einkommen beziehen keine entsprechenden Leistungen. Gerade wer kein Wohngeld bezieht, muss derzeit schon die rasant steigenden Heizkosten tragen – und wäre dennoch nicht berechtigt, ein Sozialticket zu bekommen. Daher muss dringend eine Lösung gefunden werden, wie man den Personenkreis erweitern kann: Alle, die darauf angewiesen sind, müssen möglichst unbürokratisch ein Sozialticket erhalten. 

Eine andere Lösung: Das Ticket kostet für alle unter 30 Euro. Damit bräuchte es keine Bedarfsprüfung und niemand müsste sich als Bittsteller*in fühlen. Diese Lösung würde wohl ein paar Milliarden Euro mehr kosten und dürfte in keinem Fall weder zu Lasten der sonstigen Mittel für den ÖPNV gehen noch zu Lasten der Kommunen.

Ein so günstiges Ticket würde sich dann für noch mehr Menschen lohnen, die im Alltag eher weniger Bus und Bahn fahren. Diese hätten dann einen größeren Anreiz, öfter mal das Auto stehen zu lassen und ohne zusätzliche Kosten mit den Öffis zu fahren. Klar: Viele könnten einen deutlich größeren Beitrag für den ÖPNV leisten. Aber wesentlich unbürokratischer ginge dies über Steuern und Subventionsabbau als über Sozialtickets.

Ökologisch mobil von Kindesbeinen an 

Einfach und bezahlbar sollte es auch für Familien und Kinder werden. Heute gelten in den Verbünden die unterschiedlichsten Grenzen, bis zu welchem Alter Kinder umsonst fahren oder ab wann sie den normalen Fahrpreis zahlen müssen. Wir wollen, dass Kinder im Nah- und Regionalverkehr bundesweit kostenlos fahren. Das wäre eine sinnvolle Familienentlastung und würde die Kinder an eine eigenständige und ökologische Mobilität heranführen.

Einzeltickets sind oft kompliziert und teuer. Aber für die meisten Familien mit zwei Kindern wären zwei zusätzliche 49 Euro-Tickets kaum bezahlbar. Und für Kinder, die nicht täglich Bus und Bahn nutzen, würde sich das Ticket selbst zum halben Preis meist nicht lohnen. Die Kinder hingegen, die mit den Öffis zur Schule fahren, bekommen meist ohnehin eine zumindest anteilige Erstattung dieser “Schülerbeförderungskosten”. Auch hier gibt es einen bundesweiten Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen. Jetzt ist die Gelegenheit, es für alle Beteiligten einfacher zu machen und bundesweit einheitlich zu gestalten!

Berlin hat ein klares Zeichen gesetzt: Alle „landeseigenen“ Schüler*innen bekommen die Abokarte für den Bereich AB kostenlos. Für sie ist das Fahren mit den Öffis zur Normalität geworden – ohne die Frage, ob sie sich das Einzel- oder Monatsticket gerade leisten können und wollen. Und auch für Schulausflüge müssen keine Tickets gelöst werden. Es sei denn, es geht raus nach Brandenburg. Allerdings wird trotzdem kontrolliert, denn Kinder aus anderen Bundesländern müssen nach wie vor bezahlen. Es könnte noch einfacher und gerechter sein! 

Langfristiges Ziel: Mobilitätsgarantie

Der öffentliche Nahverkehr sollte ab sofort bezahlbar für alle sein. Sozialtickets und die Freifahrt für Kinder könnten sofort eingeführt werden. Die Öffis sollten aber auch möglichst bald für alle nutzbar sein. Dieses Ziel verfolgt der VCD mit dem Konzept der Mobilitätsgarantie: Sie setzt Standards in Erreichbarkeit, Qualität und Barrierefreiheit für ganz Deutschland. 

Dafür muss das Geld bereitstehen: Mindestens 12 Mrd. pro Jahr zusätzlich ab 2023 – mit einer jährlichen Steigerung und verlässlich mindestens bis 2030, besser bis 2035. Nur so erreichen wir das Ziel, das wir für den Klimaschutz brauchen: Eine Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030.  

Das ist viel Geld. Aber es ist vorhanden, wenn wir auf den Aus- und Neubau von Fernstraßen weitgehend verzichten. Wir könnten dafür den ermäßigten Dieselsteuersatz abschaffen und Pendlerpauschale wie Dienstwagenbesteuerung reformieren. Und es gibt weitere umweltschädliche Subventionen, die eigentlich schon lange der Vergangenheit angehören sollten.

Fazit 

Für Teilhabe, Klimaschutz und mehr Lebensqualität sind Investitionen in den ÖPNV gut angelegtes Geld. Der ÖPNV schafft einen gesellschaftlich großen Mehrwert und wir brauchen ihn als günstige Alternative zum Auto. Die realen Kosten des ÖPNV können daher nicht auf die Tickets umlegt werden und die Bezuschussung günstiger Tickets ist sinnvoll.  

Allerdings wäre es nicht gerecht, Tickets auch für Gutverdienende mit öffentlichen Geldern supergünstig anzubieten. Menschen mit normalen bis hohen Einkommen sollten sich angemessen an der Finanzierung beteiligen. Hier hilft ein Hinweis auf die tatsächlichen Kosten eines Autos, um den Maßstab zurechtzurücken. Ungerecht wäre es, wenn Vermögende in der Stadt billig fahren könnten, während für viele Menschen auf dem Land das Angebot fehlt. 

Daher sind unsere Prioritäten klar: Bezahlbar für alle durch Sozialtickets und Freifahrt für Kinder, ein günstiges bundesweit gültiges Jahresabo und angemessene Preise für Einzelfahrscheine und andere Zeitkarten. Gleichzeitig braucht es das Versprechen, dass es mittelfristig für alle ein attraktives und barrierefreies Angebot gibt. Sonntagsreden reichen aber nicht: Wir brauchen die Mobilitätsgarantie und die Mittelzusage für einen massiven ÖPNV-Ausbau.

Kontakt

Dominik Fette

Sprecher für klima- und sozialverträgliche Mobilität
Fon 030/28 03 51-281
dominik.fette@vcd.org

zurück

Cookie-Einstellungen ändern