Vorsichtig hebt der Kran den sechs Meter hohen Nadelbaum von der Ladefläche des Transport-Lkws, richtet ihn auf und versenkt ihn in dem dafür ausgehobenen Pflanzloch. Der Grüne Riesen-Lebensbaum steht jetzt im Vorgarten eines Einfamilienhauses in Louisville, Kentucky, im Südosten der USA. Wie Hunderte weitere neu gepflanzte Bäume ist er Teil der „Green Heart Louisville“-Studie. „Wir wollen grundlegend erforschen, welche Rolle die Natur dabei spielt, unsere Gesundheit zu verbessern. Wenn das gelingt, können wir Blaupausen für gesunde und gerechte Städte entwickeln“, erklärt Chris Chandler vom Projektpartner National Conservancy in einem Interview mit dem Fernsehsender PBS. Louisville scheint prädestiniert für diese Studie: Jedes Jahr verliert die Stadt rund 54.000 Bäume. Die Luftreinheit wird von der „American Lung Association“ seit 2012 durchgehend als schlecht bewertet.
2019 hat das Projektteam die ersten Bäume im südlichen Louisville gepflanzt. Das Projekt konzentriert sich auf sozial schwächere Stadtteile. Wie in vielen Städten ist auch in Louisville der Baumbestand dort besonders niedrig, was zu schlechterer Luftqualität und mehr Hitze im Sommer führt. Die Studie wird zeigen, ob und wie Städte mit Bäumen einen Beitrag zur Lebensqualität gerade in benachteiligten Stadtvierteln leisten können.
Bäume machen jünger
Verschiedene Studien haben bereits belegt, dass mehr Bäume in der Stadt einen positiven Einfluss auf unsere Gesundheit und unsere Lebensqualität haben: Im Umfeld von Bäumen treten seltener Atemwegserkrankungen, Hitzschläge und sogar Hitzetode auf. Menschen leiden weniger unter Stress, Herz-Kreislauf-Problemen und Depressionen und können sich besser konzentrieren.
Konkret hat diese Effekte eine Studie aus Toronto nachgewiesen: Das Forscherteam fand heraus, dass elf zusätzliche Bäume in der Nachbarschaft das Risiko für Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen im selben Maße senken, als wäre man 1,4 Jahre jünger. Dazu kommt ein psychischer Effekt: Menschen fühlen sich gesünder und jünger, wenn sie von Bäumen umgeben sind. Durch gerade mal zehn zusätzliche Bäume fühlen sich Menschen so gesund, als wären sie sieben Jahre jünger.
Natur ist kein Extra
Während Studien bisher oft mit wenigen Teilnehmer*innen und schon vorhandenen Bäumen arbeiteten, geht die Green-Heart-Studie einen Schritt weiter: In sechs Stadtteilen von Louisville pflanzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Bäume und Sträucher. Die Luftqualität vor Ort und die Gesundheit der Anwohner*innen werden über Jahre hinweg kontinuierlich gemessen und überprüft: Unter anderem fließen Daten über Blutdruck, Blutwerte und Lungenkapazität in die Studie mit ein. Als Kontrollgruppe dienen Anwohner*innen in angrenzenden Stadtteilen, in denen keine zusätzlichen Bäume gepflanzt wurden. Green Heart ist also wie jede andere klinische Studie aufgebaut – nur, dass hier Bäume die Medizin sind.
Die ersten Ergebnisse hat das Forscherteam in diesem Jahr veröffentlicht: Menschen, in deren Stadtteil Bäume gepflanzt wurden, weisen niedrigere Entzündungswerte im Blut auf – ein Wert, der unter anderem das Risiko für Herzerkrankungen beeinflusst. Chris Chandler bringt es auf den Punkt: „Natur ist kein nettes Extra, sondern ein absolutes Muss!“
Autorin
Katharina Baum schreibt als Redakteurin über nachhaltige Mobilität und begleitet verschiedenste Projekte, von Internetauftritten über Kommunikationskampagnen bis zu Nachhaltigkeitsberichten. Sie schreibt seit 2020 für das VCD-Magazin fairkehr und arbeitet bei der fairkehr Agentur in Bonn.