Wie sozialverträglich ist die Verkehrswende? Drei Beispiele aus Europa

Die Beispiele zeigen, warum es bei der Umsetzung der Verkehrswende wichtig ist, die sozialen Auswirkungen zu berücksichtigen, damit wirklich alle profitieren

| Soziale Aspekte der Verkehrswende

Viele Beispiele europäischer Staaten zeigen, dass sie in der Verkehrswende schon weiter sind. Doch was für Auswirkungen hat die Verkehrswende für Menschen mit geringem Einkommen? Wie werden soziale Aspekte in anderen europäischen Ländern bei der Umsetzung von Maßnahmen berücksichtigt? Das zeigen wir an den drei Beispielen der schwedischen CO2-Bepreisung, den Superblocks im spanischen Barcelona und dem Mobility as a Service-Angebot im Finnischen Helsinki und schauen, was wir davon für die deutsche Verkehrswende lernen können.

Schweden: höchster CO2-Preis weltweit aber sozial gerecht?

Als eines der ersten Länder weltweit führte Schweden bereits 1991 eine Steuer auf CO2-Emissionen ein. Die Steuer wird (wie auch seit 2021 in Deutschland) auf Heizbrennstoffe und Transportbrennstoffe erhoben. Eingeführt wurde die Steuer mit 24 Euro pro Tonne CO2, wurde schrittweise erhöht und mit 114 Euro ist sie mittlerweile die höchste CO2-Steuer weltweit.1

Die CO2-Steuer macht dabei aber nur einen Teil der Kraftstoffpreise aus, hinzu kommen die Energiesteuer und die in 1990 auf 25% erhöhte Mehrwertsteuer. Die Emissionen im schwedischen Verkehr sind seit 1990 trotz steigendem Wirtschaftswachstum um durchschnittlich 11% pro Jahr gesunken, rund 6% gehen auf die CO2-Steuer zurück.2

Welchen Anteil die CO2-Besteuerung nun genau am Rückgang der schwedischen Verkehrsemissionen hat, lässt sich aber schwer sagen, denn neben der gleichzeitig erhöhten Mehrwertsteuer auf Kraftstoffe erhebt Schweden zusätzlich eine CO2-abhängige Fahrzeugsteuer und in größeren Städten wie Stockholm und Göteborg gibt es eine City-Maut. Die CO2-Bepreisung ist also nur ein Instrument unter vielen, das zu einem Rückgang der Emissionen beiträgt, und zeigt, dass dies nur durch einen durchdachten Politikmix erreicht werden kann.

Trotz der hohen Steuer gibt es eine recht hohe Akzeptanz der Maßnahme unter den Schweden. Dazu beigetragen hat vor allem, dass die CO2-Steuer nicht einfach auf die bestehende Steuerbelastung aufgeschlagen wurde, sondern als eine Umgestaltung der Energiesteuern auf CO2-Steuern kommuniziert wurde. Die Maßnahme war Teil einer größeren Steuerreform, die auch eine Senkung der Vermögens- und Einkommenssteuern beinhaltete, sodass die Steuerbelastung der Menschen insgesamt gleichblieb. Betroffen von der CO2-Steuer sind auch weniger die Geringverdiener*innen, sondern Menschen mit mittleren Einkommen. Zugleich profitieren alle davon, dass das Geld in die Verbesserung der Gesundheitsfürsorge und Sozialausgaben investiert wurde.3

Was lässt sich aus der Schwedischen Erfahrung lernen?

Eine Bepreisung von CO2 im Verkehr kann zur Verringerung der Emissionen beitragen, sollte aber

  • in einen sinnvollen Politikmix integriert werden
  • Teil einer Umgestaltung des gesamten Steuer- und Abgabensystems auf CO2-Basis sein
  • von sozialen Ausgleichsmaßnahmen begleitet werden
  • gut kommuniziert werden, um von den Menschen akzeptiert zu werden.

Barcelona: Superblocks – profitieren wirklich alle?

Das Konzept der Superblocks ist weit über seine Geburtsstadt Barcelona hinaus bekannt und dient als Vorbild für viele andere Städte, die das Konzept erwägen oder schon erproben. Es entstand in Barcelona als Lösungsvorschlag für vielfältige Probleme der Stadt: sehr dichte Bebauung und wachsende Einwohnerzahlen, kaum Grünflächen, ein ausgeprägter Wärmeinsel-Effekt und schlechte Luftqualität. Die Idee der Superblocks soll durch Verkehrsberuhigung und Umverteilung von Flächen die Lebens- und Aufenthaltsqualität erhöhen.

Ein idealer Superblock fasst drei mal drei Häuserblocks zusammen, innerhalb dessen der Verkehr neu organisiert wird. Da das historische Stadtgebiet schachbrettartig aufgebaut ist, entsteht so ein großes Quadrat, in dem nur Anwohner*innen, Lieferverkehr und Notdienste fahren dürfen und die Höchstgeschwindigkeit bei 10 km/h liegt. Das Ziel ist es, dass es nur Sinn ergibt, durch den Superblock zu fahren, wenn Start oder Ziel dort liegen – alle anderen sollen die Straßen außen herum benutzen und so den Durchgangsverkehr deutlich reduzieren.

Der erste Superblock wurde schon 1993 umgesetzt, im historischen Stadtzentrum El Born. Dadurch entwickelte sich der Bezirk von einem wirtschaftlich benachteiligten Gebiet zu einem der attraktivsten der Stadt. Es folgten die Umsetzung in weiteren Bezirken, 2017 im Stadtteil Poblenou. Der Bezirk besteht hauptsächlich aus Sozialwohnungen, in denen Familien mit Kindern wohnen. Trotz anfänglicher Skepsis der Anwohner*innen in Poblenou, die vorher nicht in die Planung mit einbezogen wurden, wuchs die Zustimmung mit der Zeit, als sie sahen welche Vorteile die neue Flächenverteilung durch Spielplätze, Picknick-Tische und freie Fahrt für Fahrräder ihnen bietet.4

Die Liste der positiven Auswirkungen der Superblocks ist beeindruckend, zum einen in Poblenou selbst:4

  • Flächenverteilung: Verdopplung des öffentlichen Raums, neue Sitzgelegenheiten, Kinderspielplätze und Grünflächen, 80% mehr Fußgängerbereiche, 48% weniger von Autos belegte Fläche
  • Wirtschaft: 30% mehr Geschäfte im Erdgeschoss
  • Sicherheit: so gut wie keine Verkehrsunfälle mehr

Aber auch die gesundheitlichen Auswirkungen der erfolgreich umgesetzten Superblocks insgesamt:5

  • Vermeidung von 667 vorzeitigen Todesfällen im Jahr durch die Reduktion von Stickoxidbelastung, Lärm, Hitze und Grünflächenausbau
  • Rund 65.000 Menschen stiegen vom Auto auf den öffentlichen und aktiven Verkehr um, also auf Bus, Bahn, Fuß und Fahrrad
  • Die durchschnittliche Lebenserwartung von Erwachsenen Bewohner*innen stieg um fast 200 Tage

Sozial und ökonomisch benachteiligte Menschen sind häufig stärker von den negativen Auswirkungen des Verkehrs wie Lärm und Schadstoffen betroffen und leben häufiger in Gegenden mit weniger Grün- und Erholungsflächen, sodass sie von Maßnahmen zur Reduktion des Autoverkehrs stark profitieren. Das ist auch im Bezirk Poblanou mit seinen Sozialwohnungen der Fall. Dabei ist es aber wichtig darauf zu achten, dass Maßnahmen zur Aufwertung von Quartieren auch von wohnungspolitischen Maßnahmen begleitet werden, damit nicht innerhalb des verkehrsberuhigten Bereichs die Mieten steigen und die Bewohner*innen in die umliegenden Bezirke verdrängt werden. Der sicherste Weg, das zu verhindern, ist die (wie in Barcelona geplante) Ausweitung des Konzepts Superblock auf die gesamte Stadt. So wird die Lebensqualität für alle in der ganzen Stadt erhöht, denn jede*r sollte unabhängig vom Geldbeutel gesund leben können.

Was lässt sich aus der Erfahrung in Barcelona lernen?

  • Das Konzept der Superblocks hat viele Vorteile für die Sicherheit, Gesundheit und Lebensqualität der Bewohner*innen, auch wenn anfänglich Skepsis herrschen kann und die Menschen erst von den Vorteilen überzeugt werden müssen
  • Auch und gerade sozial und ökonomisch benachteiligte Menschen können von der höheren Lebensqualität in ihrem Viertel profitieren
  • Um negative soziale Folgen durch Aufwertung zu vermeiden, sollte die Planung von wohnungspolitischen Maßnahmen begleitet werden und das Konzept flächendeckend auf die gesamte Stadt ausgeweitet werden

Helsinki: Hauptstadt des Mobility as a Service: für alle zugänglich?

Die finnische Hauptstadt Helsinki wird auch als Hauptstadt des Mobility as a Service (MaaS) bezeichnet – hier wurde bereits 2018 ein System eingeführt, das mutimodale Mobilität in der App Whim bündelt, und das im Vergleich zu den vielen anderen MaaS-Angeboten die es mittlerweile weltweit gibt sehr viele verschiedene Mobilitäts- und Fortbewegungsarten integriert.

Whim weiß nicht nur, mit welcher Kombination aus Verkehrsmitteln – von der Bahn bis zum Leihfahrrad – man am schnellsten am Ziel ist, man kann auch die entsprechenden Tickets in der App kaufen. Das geht entweder per Rechnung pro Fahrt („Pay as you go“) oder über eine Flatrate: Im Basisangebot gibt es für 62 Euro im Monat ein ÖPNV-Ticket und eine Taxi-Flatrate für 12,50 pro Fahrt (max. 3km oder 10 Min), sowie Vergünstigungen für Mietautos, Leihfahrräder und Scooter.

Die Luxus-Version ist das Abo Whim Unlimited, das als Alternative zum eigenen Auto dienen soll: Für 699 Euro im Monat erhält man unbegrenzten Zugang zum ÖPNV, kostenlose Taxifahrten in einem Umkreis von 5 km (max. 80 Fahrten pro Monat), unbegrenzt viele 30-minütige Fahrradfahrten und unbegrenzten Zugang zu Mietfahrzeugen für jeweils bis zu 30 Tage.6

Ziel von MaaS-Angeboten wie Whim ist es, das eigene Auto unattraktiver zu machen und dadurch Autofahrten einzusparen, was Klima und Innenstädte von Stau entlastet. Dass Finnland dabei eine Pionierrolle einnimmt ist kein Zufall, sondern stattlich gefördert. Neben einem bereits gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz und verfügbarer digitaler Infrastruktur wurde auch ein gesetzlicher Rahmen zur Förderung von MaaS geschaffen und öffentliche Verkehrsnetze verpflichtet, ihre Fahrpläne und Echtzeitdaten öffentlich zu machen.7

Erste Untersuchungen zeigen einen potenziellen positiven Einfluss von Whim auf Helsinkis Modal Split. 95 Prozent der Wege mit Whim werden mit dem öffentlichen Nahverkehr zurückgelegt. Im Vergleich zu durchschnittlichen Innenstadt-Bewohner*innen Helsinkis, die 48 Prozent ihrer Wege mit dem öffentlichen Verkehr zurücklegen, liegt der Anteil bei Whim Nutzer*innen bei 63 Prozent.7

Es gibt allerdings andere Stimmen, die die Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit von solchen MaaS-Angeboten anzweifeln. Zum einen bietet MaaS Anreize, Fußwege und Fahrradstrecken mit Taxifahrten oder dem ÖV zu ersetzen - das Tür-zu-Tür-Versprechen birgt also das Risiko, dass auch die letzte Alltagsbewegung wegfällt. Das gilt vor allem für Flatrate-Modelle, die das Gefühl auslösen können, man müsste das Meiste für das ohnehin bezahlte Geld herausholen, weil man den Mietwagen oder das Taxi ja schon bezahlt hat. Ob das im Ergebnis tatsächlich nicht nur zu weniger Autobesitz, sondern auch zu weniger gefahrenen Kilometern führt, müssen langfristige Untersuchungen zeigen.

Was lässt sich aus der Erfahrung Helsinkis schließen?

Das MaaS-Angebot durch Whim ist also ein gutes Modell für gutverdienende Großstädter, das Anreize bietet den privaten Pkw abzuschaffen und auf öffentliche und geteilte Verkehrsmittel umzusteigen, wodurch Staus reduziert und Flächen für Parkplätze gespart werden. Die Integration aller Verkehrsmittel in einer App, die den schnellsten multimodalen Weg anzeigt und über die alle Tickets gebucht werden können, erleichtert die Navigation erheblich sollte auch für deutsche Anbieter als Vorbild dienen.

Das Modell bleibt aber bisher beschränkt auf Menschen mit den entsprechenden finanziellen Mitteln, und bietet nicht unbedingt eine Lösung für Mobilitätsarmut. Zudem muss der Zugang zum ÖPNV auch für Menschen ohne Smartphone, Bankkonto oder digitalen Kenntnissen zugänglich bleiben. Es kann daher nur als Ergänzung des bestehenden Angebots dienen und darf nicht zu einer „technologischen Gentrifizierung“8 von Mobilität führen.


Quellen

[1] Government Offices of Sweden (2021): Sweden’s Carbon Tax. https://www.government.se/government-policy/taxes-and-tariffs/swedens-carbon-tax/

[2] Julius Andersson (2019): Carbon Taxes and CO2 Emissions: Sweden as a Case Study. American Economic Journal: Economic Policy 2019, 11(4): 1–30

[3] Andreas Bachmann (2019): Hat Schweden den Heiligen Gral zur Klimarettung gefunden? MOMENT Magazin www.moment.at/story/schwedens-co2-steuer

[4] ADFC (2020): Innovative Radverkehrslösungen auf Deutschland übertragen. InnoRAD-Factsheet 4/6. www.adfc.de/fileadmin/user_upload/Expertenbereich/Politik_und_Verwaltung/Download/adfc_innorad_superblocks_web.pdf

[5] Mueller et al. (2020): Changing the urban design of cities for health: The superblock model. Environment International 134 (2020) 105132

[6] Whim (Aug 2021): Helsinki Metropolitan Area: Whim Unlimited. https://helpcenter.whimapp.com/hc/en-us/articles/360010214600-Helsinki-Metropolitan-Area-Whim-Unlimited

[7] VCÖ (2021): Verkehrswende – Good Practice aus anderen Ländern. VCÖ-Schriftenreihe „Mobilität mit Zukunft“ 2/2021. https://vcoe.at/good-practice

[8] Ramboll (2019): Whimpact. Insights from the world’s first Mobility-as-a-Service (MaaS) System. https://ramboll.com/-/media/files/rfi/publications/Ramboll_whimpact-2019

[9] Kate Pangbourne, Miloš N. Mladenovi?b, Dominic Steadc, Dimitris Milakisd (2020): Questioning mobility as a service: Unanticipated implications for society and governance. Transportation Research Part A 131 (2020), S. 35–49

Kontakt

Katharina Klaas

Projektbearbeiterin für das Projekt »Verkehrswende: klimaverträglich und sozial gerecht«

katharina.klaas@vcd.org

Alexander Kaas Elias

Projektleiter »Verkehrswende: klimaverträglich und sozial gerecht« & Sprecher für klima- und sozialverträgliche Mobilität

alexander.kaaselias@vcd.org

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