fairkehr 2/2024: Wander-Reportage

Auf den alten Fischerwegen Portugals

Eine spontane Idee. Vier Tage, 100 Kilometer – und immerzu Sand und Meer: eine Wandergeschichte von der Atlantikküste.

| Tourismus fairkehr-Magazin 02/2024

Der Hund verfolgt uns seit einer Stunde. Obwohl verfolgen vielleicht nicht das richtige Wort ist. Eher scheint er uns beschützen zu wollen. Er ist nicht sonderlich groß, aber dafür doppelt so laut, bellt für uns Autos an, Kühe, andere Hunde. So ganz können wir uns nicht über unseren zotteligen Bodyguard freuen. Wir versuchen ihn abzuwimmeln, aber er weicht nicht von unserer Seite. Irgendwann erreichen wir einen Ort und flüchten uns in ein Café. Mir schießt eine Frage durch den Kopf: Wie sind wir hier eigentlich gelandet?

Nun, das war so: Ich bin seit sechs Wochen mit meinem Freund auf Interrail, als wir in einer Bar an der Westküste Portugals mit zwei Studenten ins Gespräch kommen. Bei Käsetoast und Super Bock erzählen die Leipziger, dass sie den Fischerpfad laufen. Der Küstenwanderweg, so die beiden, verläuft im Südwesten Portugals. Er besteht aus 13 Etappen und ist mehr als 200 Kilometer lang. Sie schwärmen von Mittagspausen an einsamen Stränden und spektakulären Aussichten.

Wir fahren weiter nach Porto, aber die Idee, den Fischerpfad zu laufen, lässt uns nicht los. Körperlich fühlen wir uns fit, nach sechs Wochen Interrail sind wir so viel gelaufen wie noch nie. Aber wir besitzen weder Wanderschuhe noch -rucksäcke. Wir kleben unsere löchrigen Turnschuhe mit Gaffer Tape und geben die Sachen, die wir nicht unmittelbar für die Wanderung brauchen, in einem Hostel an unserem Zielort ab. Mit dem Bus fahren wir von Porto aus wieder in den Süden, die Wanderung kann beginnen.

Der Fischerpfad

226 Kilometer immer am Atlantik entlang: Das ist der Fischerpfad in der portugiesischen Region Alentejo. Er führt in 13 Etappen von São Torpes nach Lagos. Die beste Wanderzeit ist zwischen September und Juni. Auf oft sandigen Pfaden folgen Wandernde den Wegen, die die Einheimischen im Laufe der Jahrhunderte zu Stränden und Angelplätzen in die Landschaft getreten haben.
Der Fischerpfad gehört zur Rota Vicentina: Auf zwei Fern- und 24 Rundwanderwegen führt das Wegenetz auf historischen Routen durch die Alentejo-Region.

Vom Lärm der Landstraße zum Meeresrauschen

Am ersten Tag brechen wir früh in Villa Nova de Milfontes auf. Erst geht es ein ganzes Stück entlang großer Straßen. Der Fußweg wirkt wie nachträglich an den Rand gequetscht, Lkw brettern an uns vorbei. Riesige Plakate machen auf portugiesisch Werbung für Baumärkte. Uns unerfahrenen Wanderern kommen schnell viele Fragen: Wann finden wir in den Lifestyle rein? Wann kommen die großen Erkenntnisse, die Klarheit über das Leben? An der Landstraße 939 jedenfalls noch nicht.

Doch plötzlich stehen wir auf einer Brücke, unter uns fließt der Rio Mira in den Atlantik. Der Fluss ist breit an dieser Stelle und liegt friedlich da, tiefblaues Wasser eingebettet in ein sanftes grünes Ufer. Ein älterer Mann fährt gemächlich auf seinem Paddelboard dem Meer entgegen. Es sind angenehme 25 Grad, ein leichter Wind kommt auf. Hinter der Brücke führt der Weg ab, und wir folgen den Pfeilen bis zum Meer. Statt Lkw rauschen jetzt Wellen. Möwen ziehen kreischend ihre Kreise. Und so weit das Auge reicht, reiht sich ein goldener, einsamer Sandstrand an den anderen. 

Am Praia do Brejo Largo machen wir Pause. Der Strand erstreckt sich kilometerweit nach Süden, feiner Sand führt ins türkisblaue Wasser, in dem wir uns treiben lassen. Wir lassen uns von der Sonne trocknen und essen saftige Pfirsiche. Ein Rinnsal entspringt einem Felsen, das sanfte Wasser fühlt sich gut auf der salzigen Haut an, und nach einer Dusche laufen wir weiter.

Wir sind euphorisch, bis jetzt läuft unsere Wanderung so, wie die Leipziger es beschrieben hatten. Und auch ein wenig überheblich: Wieso trainiert man für eine Wanderung? Noch ist es gar nicht anstrengend, doch das wird sich schnell ändern. Erst mal laufen wir aber gut gelaunt nach Almograve und essen Eis in dem winzigen Fischerort mit den weißen Häuschen. In einer Bucht hinter dem Ort finden wir einen kleinen Fischerhafen. Im seichten Wasser gehen wir schwimmen. Die Sonne steht jetzt tief, das goldene Spätsommerlicht spiegelt sich im Meer.

Einen Fuß vor den anderen

Vielleicht sind es auch nicht die großen Erkenntnisse, sondern deren Abwesenheit, was guttut. Wir sind beide an einem Punkt, an dem wir uns entscheiden müssen, wie es weitergeht. Welchen Master will ich machen, wo will ich hinziehen? Zu viel Zukunft für zu wenig Gegenwart. Beim Wandern muss man nur einen Fuß vor den anderen setzen.
Als wir abends unser Zelt aufbauen, merken wir, dass wir die Stangen für unser Außenzelt verloren haben. Die von der Meeresluft feuchte Außenplane klebt am Innenzelt und durchnässt unsere Sachen. Die Nacht ist wenig erholsam, die Schlafsäcke fühlen sich klamm und kalt auf der Haut an. Wir brechen daher vor Sonnenaufgang auf. Ich schlüpfe in meine nassen, sandigen Socken und kann spüren, wie sich Blasen bilden.

Aber die Aussicht entschädigt schnell: Der Weg verläuft auf den Klippen, hoch über dem schäumenden Meer. Wir sehen zwei Fischer, die in schwindelerregenden Höhen auf einem Felsen balancieren. Einer von ihnen ist erfolgreich, ein Fisch zappelt an seiner Angel. Seit Jahrhunderten werden die Pfade von Fischern und Muschelsammlern genutzt. Der Schweizer Rudolfo Müller kam 2008 auf die Idee, die Wege für Wanderer auszubauen, wie er in einem WELT-Interview erklärte. Verschiedene lokale Akteure unterstützten ihn bei der Umsetzung.

 

Nachhaltige Anreise an die Algarve

Fischerpfad: Die meisten Orte entlang der Strecke sind per Bus erreichbar, zum Beispiel mit dem Busunternehmen Rede Expressos. Im Zielort Lagos halten auch Regionalzüge.

Portugal: Von Deutschland ist die Anreise nach Portugal mit dem Zug nicht ganz unkompliziert. Die Algarve erreicht man am besten mit Umstiegen in Paris, Barcelona und Sevilla. Von dort geht es mit dem Bus weiter. Tipps und Infos zur Anreise

Wie das duftet: Eukalyptus, Kaffee, Sonne, Meer

Der Pfad führt weg vom Meer in einen Eukalyptuswald. Morgentau liegt auf den Blättern und es riecht wie in der Sauna nach dem Aufguss. Der Wald lichtet sich wieder, und wir laufen durch eine Dünenlandschaft, die von der Morgensonne in sanftes Licht getaucht wird. Auf einer Klippe kochen wir Kaffee und versuchen, unsere Sachen zu trocknen und uns aufzuwärmen. Auch heute haben wir keine Orientierungsprobleme. Da der Weg meistens am Meer entlangführt, kann man sich eigentlich nicht verlaufen. Und auch wenn die Route wie jetzt durchs Hinterland führt, zeigen die blau-grünen Pfeile alle paar Meter den Weg. Freiwillige halten die Schilder instand, auf einer Website kann man sich dafür anmelden.

Jetzt wo die Meeresbrise weg ist, merke ich, dass ich die Sonne unterschätzt habe. Mein Kopf dröhnt. Erschöpft erreichen wir Zambujeira do Mar. Wie in Almograve reihen sich weiße Häuser aneinander, aber hier ist es touristischer, an der Promenade locken Restaurants mit englischen Menüs. Den restlichen Tag kämpfe ich am Strand gegen meine Kopfschmerzen.

Der dritte Tag geht anstrengend weiter. Der Weg ist steil, teils müssen wir fast klettern. Es geht nah an der Kante der hohen Klippen vorbei. Und durch Sand, immer durch Sand. Über unsere anfängliche Überheblichkeit können wir nur noch lachen. Wir passieren einen Fischerhafen. Ein kleines Boot schaukelt auf dem Wasser, das dumpf gegen den Rumpf schlägt. Rote Netze trocknen in der Sonne. Vereinzelt kommen wir an Restaurants vorbei. Rauch schlägt uns entgegen, vor der Tür werden Sardinen gegrillt.

100 Kilometer in geklebten Schuhen über Sandpfade

In Odeceixe trinken wir auf einem Platz Eistee. Schilder verweisen auf Unterkünfte. Wanderstöcke und Rucksäcke lehnen an den Tischen der Restaurants, Wanderer mittleren Alters essen Fisch. Wir schleppen uns zum Strand und liegen erschöpft im Sand. So langsam spüren wir die zurückgelegten Kilometer, die schlechten Schuhe, die schweren Rucksäcke.

Abends kochen wir am Strandwaschhaus und staunen wieder einmal über die Sonnenuntergänge, die sich uns an der Westküste jeden Abend bieten. Orange wird zu Pink, und wir überlegen, wo wir schlafen können. Hinter dem Strand, abgetrennt durch einen Fluss, sehen wir einen Wohnmobilstellplatz. Wir waten durch eine flache Stelle. Das sanfte Wasser und die weichen Steine fühlen sich gut an meinen wunden Füßen an. Müde fallen wir auf unsere sandigen Isomatten.

Im Morgengrauen bauen wir unser Zelt ab und waten durch den Fluss zurück zum Strand. Wir schwimmen im kalten Meer, um uns kreisen Hunderte Möwen, während die Sonne langsam aufgeht. Obwohl wir uns darauf freuen, unser Ziel heute zu erreichen, werden wir diese Momente vermissen. Im Waschhaus putzen wir uns die Zähne und schultern ein letztes Mal unsere Rucksäcke, die sich mittlerweile bleischwer anfühlen.

Heute führt der Weg durchs Inland über eintönige Felder. Das Wetter spielt nicht mit, es sieht nach Gewitter aus. Und dann verfolgt uns auch noch der Hund. Nachdem wir ihn am Café abgeschüttelt haben, verläuft die Etappe friedlich, wenn auch über abenteuerliche Landstraßen. Richtig entspannen können wir aber nicht und sind froh, als wir mittags endlich Aljezur erreichen.

In einem Café halten wir in unserem Reisetagebuch unsere Bilanz fest: 99,2 Kilometer in vier Tagen. Stolz und erledigt sitzen wir in der Sonne und trinken Eistee. Während Kondenswasser an den Gläsern herunterläuft, schauen wir im Internet nach weiteren Fernwanderwegen in Europa. Und nach neuen Zeltstangen.

Europa auf alten Wegen entdecken - Zu Fuß oder mit dem Rad

Ochsenweg

Der Ochsenweg in Schleswig-Holstein führt Radfahrende über den einst zen­tralen Handels- und Heerweg zwischen Norddeutschland und Dänemark. Fünf Etappen unterteilen den circa 230 Kilometer langen Radweg in Deutschland. In Dänemark führt er als Hærvejen noch weiter bis nach Viborg.

Via Lauretana

Früher bedeutende Pilgerstraße, heute anspruchsvolle Radtour durch die schöne toskanische Hügellandschaft: Auf 115 Kilometern führt die Via Lauretana Radfahrende von Siena nach Cortona. Sie schließt an die bekanntere Via Francigena an.

Rallarvegen

Radeln auf den Spuren von Bahnarbeitern in Norwegen: Die Strecke des Rallar­vegen wurde während des Baus der Bergenbahn zum Transport von Baumaterialien angelegt. Die 82 Kilometer lange Strecke könnt ihr an einem Tag radeln oder in mehrere kurze Etappen aufteilen.

Ötzi-Trek

Auf den Spuren des berühmten Mannes aus dem Eis führt diese Wanderung auf alten Hirtenwegen einmal quer über die Ötztaler Alpen bis nach Bozen. Sechs Etappen unterteilen die 61 Kilometer lange Wanderung – die Höhenmeter haben es allerdings in sich.

Goldener Steig

Auf Saumwegen, die ehemals zum Salztransport genutzt wurden, wandert ihr von Bayern nach Böhmen. Der Goldene Steig führt ab Passau in drei verschiedenen Varianten zu verschiedenen Zielen in Tschechien.

Text und Bilder: Ida Morhardt

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