fairkehr 3/2024: Reise

Eine Radtour im Wendland

Ein Reisebericht mit Tipps zur Anreise mit Bus und Bahn, Unterkünften und Touren.

| Radverkehr fairkehr-Magazin 03/2024

Nichts macht den Kopf so schnell frei wie eine Radtour. Das Wendland, eine Region im östlichen Niedersachsen, bietet abwechslungsreiche Natur, interessante Geschichte und bunte Alternativkultur – perfekt für einen Kurzurlaub auf dem Fahrrad an einem langen Wochenende. Unsere Autorin Regine Gwinner berichtet von ihrer Reise auf dem Rad im Wendland, gibt Tipps für Unterbringungen und Touren und zeigt, wie die Anreisen mit Bus oder Bahn und eigenem Fahrrad zu Radtouren gelingen.

Mit dem Fahrrad im Wendland

Räder rein in die Bahn und wieder raus, Weg finden, Störche beobachten, Berge bezwingen, Wetter im Blick behalten, staunen: Nichts fokussiert die Aufmerksamkeit aufs Hier und Jetzt so kompromisslos wie ein Tag auf Radtour. Als Zielregion für dieseslange Radwochenende haben mein Mann und ich uns das Wendland ausgesucht. Die ehemalige Grenzregion zwischen Heide und Elbe reizt uns schon lange: Das Wendland – diese seit über 300 Jahren so bezeichnete Landschaft im östlichen Niedersachsen – ist weitgehend deckungsgleich mit dem heutigen Landkreis Lüchow-Dannenberg. Die Region steht für abwechslungsreiche Natur, interessante Geschichte und bunte Alternativkultur. Mittendrin liegt einer der Pionierbetriebe des ökologischen Tourismus: das Biohotel Kenners Landlust, unsere Station für die nächsten Tage.

Schon seit den 90er-Jahren machen Barbara und Kenny Kenner vor, wie Nachhaltigkeit im Hotelgewerbe umgesetzt werden kann. Ein wichtiger Aspekt für die beiden: Augenhöhe zwischen Gästen und Mitarbeitenden. Wir treffen Barbara am Buffet, wo sie sich ihr Abendessen zusammenstellt. Ein extra Personalessen gibt es hier nicht. Alle versorgen sich an der langen Theke, wo Salate, Vor- und Hauptspeisen, Käseauswahl, Dipps und Brot zur Auswahl stehen. Wenn die Zeit es erlaubt, setzt sich das Team bei Freunden oder Stammgästen auch gerne mal mit an den Tisch.

Hungrig von der Anreise häufe ich mir einen großen Teller mit Vorspeisen auf: grüne Salate, Melone mit Feta, warmer Möhrensalat, gefüllte Pilze, Rohkost und Vollkornbaguette, das gerade frisch aus dem Ofen gekommen ist. „Wir haben von Anfang an Bioküche angeboten, obwohl es die Produzenten und Einkaufsstrukturen für Biolebensmittel damals gar nicht gab“, erinnert sich Barbara Kenner. Sie baute persönliche Beziehungen zu allen Bioproduzent*innen der Region auf und kochte flexibel mit dem, was die Höfe an Obst, Gemüse und Fleisch so lieferten. Diese gute Vernetzung ist eine absolute Stärke des Hauses: Die Küche nutzt fast ausschließlich frische lokale Produkte.


Das Wendland entdecken

Touren:

Viele Informationen zu Aktivitäten, Unterkünften, Natur und Kultur gibt es beim Tourismusverband Wendland-Elbe und auf der Webseite der Region Wendlandmit Radtouren-Tipps – von Drawehn bis zur Elbe.

Rundlings-Tour per Rad: Auf einer Rundtour von 22 Kilometern verbindet diese Strecke mehrere Rundlingsdörfer – unter anderem Satemin (das älteste) und Güstriz (das am besten erhaltene).

Großer Rundlingswanderweg: Der ca. 17 Kilometer lange Weg verbindet fünf historische Rundlingsdörfer inklusive des Freilichtmuseums Wendlandhof in Lübeln. Entlang der Route gibt es viele Künstlerateliers, Werkstätten und Hof­cafés zu entdecken.

Unterbringungen:

Übernachten beim Pionier unter den Biohotels: kenners-landlust.de

Nah an der Elbe und mittendrin im Biosphärenreservat Elbtalauen liegt im Städtchen Lenzen das vegane Ahead Burghotel. Im Pförtnerhaus befindet sich das Biosphären-Zentrum mit Informationen und Naturerlebnisangeboten.


Der Norden – alles andere als flach

Das sanfte Auf und Ab der Landschaft geht in die Beine. Obwohl das Wendland offiziell zur norddeutschen Tiefebene gehört, ist es hier alles andere als flach. Auf unserer ersten Radtour müssen wir erkennen:  Wir haben den Drawehn voll unterschätzt. Der scheinbar unspektakuläre Höhenzug konfrontiert uns mit knackigen Aufstiegen und Abfahrten. Obwohl er an seiner höchsten Stelle kaum 150 Höhenmeter misst, gewährt er weite Blicke übers Land. Das abwechslungsreiche Bild mit Höhenzügen, Tälern, lichtem Mischwald, kleinen Weilern und nicht zuletzt den angrenzenden Elbtalauen bietet die perfekte Kulisse für unsere Tour. Wir bestaunen bemooste Baumriesen, die zwischen jungen Birken emporragen, radeln durch blühende Wiesen und an Getreidefeldern vorbei, die von knallrotem Mohn und blauen Kornblumen eingerahmt sind. Das Wendland präsentiert sich einsam und zurückgezogen, ist aber landschaftlich sehr abwechslungsreich.

Nach diesem sportlichen Tag durch die bunte Natur freuen wir uns auf unser Baumhaus. Die kleine Baumvillen-Siedlung neben dem Haupthaus ist das neueste Projekt der Kenners. Sie ermöglicht den Gästen noch mehr Privatsphäre und Naturnähe und gleichzeitig eine enge Anbindung an den Hotelservice. „Die Idee für die neuen Baumhäuser ist aus einem Projekt mit der Uni Lüneburg entstanden, an dem wir als Praxispartner teilnehmen konnten“, erzählt Barbara begeistert. „Es war so inspirierend, Nachhaltigkeit mal wieder ganz außerhalb der Alltagsaufgaben mit neuen Menschen und neuen Perspektiven zu denken.“

Die Zielgruppe, die Kenny und Barbara mit den neuen Baumhäusern erreichen und fürs Wendland begeistern möchten, sind Menschen wie wir: Singles oder Paare, die sich ein paar Tage Auszeit gönnen möchten – bei netten Gastgebern, mit guter Küche, mit Aktivität und Wellness und ganz viel Ruhe.


So gelingt die Anreise mit Bus oder Bahn und eigenem Fahrrad zur Radtour

Nahverkehr:

Im Nahverkehr der Deutschen Bahn DB können Fahrräder in der Regel problemlos und ohne Reservierung mitgenommen werden. Einige Verkehrsverbünde schließen die klassischen Pendlerzeiten aus. Das DB-Fahrrad-Tagesticket kostet 6,50 Euro und gilt verbund- und bundeslandübergreifend. Kostenlos ist die Fahrradmitnahme im Nahverkehr in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Baden-Württemberg sowie mit Einschränkungen in Bayern (auf ausgewählten Strecken) und Hamburg (nicht zu Pendlerzeiten).

Fernverkehr:

Im Fernverkehr sind Radstellplätze rar, vor allem im ICE. Tickets zu Urlaubszeiten und an Wochenenden sollte man frühzeitig buchen. Sie kosten zwischen 7,50 und 12,90 Euro.

Tipps für den Ticketkauf:

Bei der Online-Ticketsuche gleich am Anfang bei den „Reisenden“ das Fahrrad hinzufügen. Dann ist bei der Anzeige der Verbindungen über das Fahrrad-Icon direkt sichtbar, ob es noch Radplätze gibt oder nicht. Dagegen werden bei der Aktivierung der Option „Fahrradmitnahme“ alle Züge angezeigt, die theoretisch ein Fahrrad mitnehmen, unabhängig von der tatsächlichen Verfügbarkeit. Ein Fahrradticket für den Fernverkehr ist bis einen Tag vor der Reise kostenfrei stornierbar, wenn man es als Einzelticket kauft. Wird das Radticket zusammen mit der Fahrkarte gekauft, gelten die Stornierungsbedingungen der jeweiligen Fahrkarte.

Fahrradtransport:

S-Pedelecs, Tandems, Liegeräder und Dreiräder dürfen nicht in die Züge, Fahrradanhänger nur in geklapptem Zustand. Letztere gelten – genau wie gefaltete Falträder – als Gepäckstücke und können kostenlos mitreisen. Wer sein Fahrrad mit einem Schloss sichert, kann auch dann entspannt reisen, wenn der Sitzplatz nicht in Sichtweite des Rades ist.

Noch bequemer, als das eigene Fahrrad mit in Zug oder Bus zu nehmen, ist es oft, ein Fahrrad vor Ort zu leihen.

Busse:

Auch die meisten Flixbusse nehmen inzwischen Räder mit – entweder auf einem Fahrradträger am Heck oder in speziellen Fahrradhüllen im Gepäckraum des Busses. Die Kosten liegen zwischen 8 und 19 Euro. Nicht mitgenommen werden E-Bikes, Tandems und Dreiräder.

In einigen Reiseregionen bietet die DB während der Sommermonate temporäre Fahrradbusse an. Eine Übersicht für die beliebten Radregionen Nordrhein-Westfalens gibt es bei DB-Regiobus.


Unterwegs zu den berühmten Rundlingen

Trotz der ruhigen Lage des Hauses wird es hier niemandem langweilig. Dafür sorgt unter anderem Anni Hammer. Die für alle Fragen ansprechbare Organisations­chefin hat lange für Wendland-Tourismus gearbeitet, bevor sie bei Kenners Landlust ins Führungsteam eingestiegen ist. Als absolutes Muss fürs Ausflugsprogramm schickt uns Anni auf eine Radtour entlang der berühmten Rundlingsdörfer der Region – inklusive Besichtigung des Rundlings-Museums in Lübeln.

Die Rundlinge sind typisch wendländische Dörfer. Ihre Struktur und Bauweise hat sich im Mittelalter unter slawischem Einfluss in der Region durchgesetzt. Herrschaftliche Backstein-Giebelhäuser sind kreisrund um das gemeinschaftlich genutzte Stück Land im Zentrum, die Allmende, angeordnet. Circa hundert dieser uralten Rundlingsdörfer gibt es noch – viele davon liegen so nah beeinander, dass man sie gut auf einer Wanderung oder Radtour verbinden und erkunden kann. Die Fachwerkhäuser sind gut erhalten oder liebevoll wiederhergerichtet. Jedes für sich präsentiert sich als schmuckes Fotomotiv. Gut gepflegte Blumenrabatten, Kinderspielzeug und Rasenmäher im Garten zeigen, dass diese Dörfer belebt und lebendig sind. Einige der geräumigen Höfe beherbergen Ateliers oder Werkstätten. Tische und Schirme zeigen, wo man ein Hofcafé findet. Oft haben sich neben den Rundlingen auch neue Ortskerne gebildet, in denen es Läden, einen Gasthof und eine Dorfkirche gibt.

Schlafen mit Vogelgezwitscher in den Bäumen

Mit müden Beinen krabbeln wir nach diesem kulturell reich gefüllten Tag die schmale Treppe zu unserem Schlafplatz hinauf. Wir legen uns unter das große Fenster, durch das wir direkt in die Baumkronen blicken. Vogelgezwitscher begleitet uns in den Schlaf, und wir wachen erst wieder auf, als ein heftiger Gewitterschauer aufs Dach trommelt. Es blitzt und donnert, stürmt und regnet – und wir kuscheln uns gemütlich in unser Nest und genießen das Naturschauspiel.

Am nächsten Morgen ist der Himmel wieder blank geputzt. Wir frühstücken auf der Hotelterrasse mit Panorama-Blick ins Grüne und freuen uns auf einen Abstecher ins Biosphärenreservat Elbtalaue – auch wenn wir dafür noch einmal über den Drawehn müssen.

Autorin

Regine Gwinner ist Geschäftsführerin der fairkehr Agentur in Bonn und Chefredakteurin des Magazins für nachhaltigen Tourismus Anderswo. Für fairkehr und Anderswo schreibt sie regelmäßig über ihre Reiseerlebnisse.

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