Menschen mit Behinderungen haben die gleichen Bedürfnisse wie Menschen ohne Behinderungen: Sie wollen sich flexibel bewegen und selbständig von A nach B kommen. Viele würden außerdem gerne klimaneutral unterwegs sein, sind wegen der Barrieren im ÖPNV aber aufs Auto angewiesen.
Im Alltag treffen diese Menschen auf zahlreiche Barrieren, die eine selbstbestimmte und klimaverträgliche Mobilität erschweren oder sogar unmöglich machen. Der VCD Bahntest beschreibt die Barrieren, auf die Menschen mit Behinderung und Mobilitätseinschränkungen entlang ihres Weges treffen, von der Fahrplan-Informationen über den Weg zur Haltestelle bis hin zu Bahnsteig oder Bustür. Wir zeigen auf, dass es noch sehr viel zu tun gibt, bis Bus und Bahn barrierefrei zugänglich sind.
Barrieren in den Weg gestellt
Die Barrieren sind vielfältig. Sie beginnen noch vor dem Reiseantritt mit nicht barrierefrei zugänglichen Informationen auf Webseiten und in Apps. Ticketautomaten sind für viele unbedienbar, die Tarifsysteme kompliziert und die Kosten zu hoch.
Auch der Weg zur Haltestelle oder zum Bahnhof gehört zur barrierefreien Wegekette: Nicht abgesenkte Bordsteine, unbefestigte und unebene Wege und steile Rampen behindern das Fortkommen. Zu kurze Grünphasen, weder taktile noch akustische Hilfen an Ampeln oder schlechte Beleuchtung – all das kann zum Problem werden.
Wie es um die Barrierefreiheit von ÖPNV-Haltestellen steht, ist schwer zu beziffern, da die Bundesländer darüber selbst kaum flächendeckende Informationen haben. U-Bahnhöfe sind in der Regel gut barrierefrei zugänglich, Aufzüge gibt es meist – sofern sie funktionieren. Bei Bushaltestellen dagegen gibt es im ganzen Land erheblichen Nachholbedarf, auch weil der barrierefreie Umbau teuer ist. Dafür werden fast überall nur noch Niederflurbusse eingesetzt, die Fahrzeuge selbst sind also häufig gut barrierefrei zugänglich.
Auch die Bahnhöfe im Nah- und Fernverkehr haben wir im Bahntest untersucht. Fast alle Bahnhöfe sind mit Lautsprechern und Fahrgast-Informations-Anzeigern ausgestattet; auch ein Wegeleitsystem ist meist vorhanden. Etwas schlechter sieht es bei der stufenfreien Erreichbarkeit von Bahnsteigen und bei Stufenmarkierungen aus – darüber verfügen nur rund 80 Prozent der Bahnhöfe. Bei taktilen Elementen gibt es erheblichen Nachholbedarf: Das gilt sowohl für Handlaufschilder und Leitstreifen auf dem Bahnsteig als auch für den taktilen Weg zum Bahnsteig.
Größtes Problem sind die Bahnsteigkanten, die historisch bedingt unterschiedlich hoch sind. Dies kann dazu führen, dass man mit demselben Zug am Start- und am Zielbahnhof auf unterschiedlich hohe Stufen trifft. Wirklich barrierefrei ist die Reisekette aber nur, wenn sowohl der Ein- als auch der Ausstieg niveaugleich möglich ist.
Wo kein niveaugleicher Einstieg möglich ist, kommen als Einstiegshilfen mobile Rampen oder Hublifte zum Einsatz, die mal am Bahnsteig warten, mal im Zug mitfahren. Das Ziel muss aber sein, dass alle Reisenden ohne Einstiegshilfe, ohne Assistenz durch das Personal und ohne Voranmeldung in den Zug kommen – erst dann ist selbstbestimmte Mobilität auch für mobilitätseingeschränkte Menschen möglich.
Herausforderungen auf dem Weg zur Barrierefreiheit
Die Ursachen für fehlende Barrierefreiheit bei der Bahn und vor allem im ÖPNV sind vielseitig. Die Rechtslage ist komplex, von EU- über Bundes- bis zur Länderebene gibt es Gesetze und Verordnungen, die aber teilweise weitreichende Ausnahmen erlauben – und gleichzeitig keine Sanktionen vorsehen, wenn Vorgaben missachtet werden.
Das Geld für Investitionen in den ÖPNV und die Bahn ist schon für den dringend benötigten Ausbau knapp bemessen. Es fließt nicht vorrangig in die Barrierefreiheit. Auch das Personal in Verwaltung, Planungsbüros und Baufirmen, das für Maßnahmen zur Barrierefreiheit nötig ist, fehlt häufig oder ist nicht ausreichend geschult.
Die Beteiligung von Menschen mit Behinderung ist zentral bei der Planung von Barrierefreiheit, findet aber an vielen Stellen nur ungenügend statt. Eine echte Mitbestimmung gibt es in den wenigsten Fällen: meist geben Behindertenbeauftrage Stellungnahmen ab oder eine Arbeitsgruppe spricht Empfehlungen aus – aber die Ergebnisse werden am Ende oft nicht berücksichtigt.
Ein weiteres Hindernis ist die unklare Verteilung der Verantwortlichkeiten. Die Palette der Akteure ist breit gestreut und reicht von Bund, Land und Kommune über die Verkehrsverbünde bis hin zur Privatwirtschaft. In diesem Dickicht kann die Verantwortung für die Barrierefreiheit leicht hin- und hergeschoben werden.
Darüber hinaus gibt es Interessenkonflikte: Ein altes Bahnhofsgebäude verlangt nach Denkmalschutz, ein Supermarkt neben der Haltestelle nach mehr Parkplätzen – die Ansprüche an den öffentlichen Raum sind vielfältig, eine Einigung nicht immer einfach.
Zusammenfassend gesagt: Die Regeln für Barrierefreiheit bei Bus und Bahn sind kompliziert, die Zuständigkeiten sind verwirrend und erlauben es, Verantwortung zu verschieben. Es gibt keine Konsequenzen, wenn Regeln missachtet werden; Geld und Personal fehlen an allen Ecken und Enden und die Betroffenen samt ihrer Interessensverbände werden häufig nicht ausreichend beteiligt – doch am Ende tragen sie die Konsequenzen.
Die ausführliche Analyse der Probleme und daraus abgeleitete Handlungsempfehlungen gibt es im vollständigen Bahntest:
Barrierefreiheit: Menschenrecht und Qualitätsmerkmal
Die Idee von Barrierefreiheit hat in erster Linie die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zum Ziel. Wir müssen uns stets bewusst machen: Für sie geht es bei der barrierefreien Mobilität um nichts weniger als ein Menschenrecht.
Gleichzeitig profitiert davon eine große Gruppe von Menschen mit unterschiedlichsten Bedarfen, die im Alltag auf Barrieren treffen: Ältere, Leute mit Kinderwagen oder schwerem Gepäck. Daher kann Barrierefreiheit auch als Zielvorgabe für eine allgemeine Nutzbarkeit und Zugänglichkeit von Infrastruktur verstanden werden: Im Sinne des „Design for all“ soll die Umwelt für die Bedürfnisse aller Menschen gestaltet werden und Unterschiede berücksichtigen.
Mit dieser Publikation wollen wir zu mehr Verständnis beitragen und für die unterschiedlichsten Aspekte in diesem Kontext sensibilisieren. Damit von der Verkehrswende alle profitieren und so selbstbestimmt wie klimaverträglich mobil sein können.
Kennen Sie schon den VCD?
Der ökologische Verkehrsclub VCD ist ein gemeinnütziger Umweltverband, der sich für eine sichere, kindgerechte, klimaschonende, barrierefreie und bezahlbare Mobilität einsetzt. Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Wünschen für ein mobiles Leben. Seit 1986 kämpft der VCD für ein gerechtes und zukunftsfähiges Miteinander aller Menschen auf der Straße – egal, ob sie zu Fuß, auf dem Rad, mit Bus und Bahn oder dem Auto unterwegs sind.
Unterstützen Sie unsere Arbeit durch eine VCD-Mitgliedschaft oder abonnieren Sie unseren Newsletter und informieren Sie sich über neueste Entwicklungen und Aktionen rund um das Thema nachhaltige und barrierefreie Mobilität.
VCD-Forderungen
- Standards zur Barrierefreiheit vereinheitlichen und weiterentwickeln: Die jeweils höchsten Standards müssen bundesweit verbindlich gelten – beim Um- und Ausbau von Infrastruktur, bei neuen Fahrzeugen sowie für Informationssysteme und Ticketing.
- Bundesprogramm „Barrierefreier Öffentlicher Verkehr“ auflegen: Der Bund muss die Mehrkosten für hohe Standards bei Neuaufträgen und im Bestand mindestens zur Hälfte mittragen.
- Sanktionen einführen und Verbandsklagen ermöglichen: Die Nichtbeachtung verbindlicher Standards muss sanktioniert werden. Verbänden muss das Klagerecht bei Missachtung der Standards und zur Beseitigung von Barrieren eingeräumt werden.
- Beteiligung verbessern: Beauftragte, Beiräte und Verbände für Menschen mit Behinderung müssen besser in die Planung einbezogen und mit mehr Geld und Personal ausgestattet werden. Das Anhörungsrecht muss um echte Mitbestimmung und eine Kontrollfunktion mit Klagerecht erweitert werden.
- Kompetenzaufbau unterstützen: Landesfachstellen müssen eingerichtet bzw. besser ausgestattet werden, es braucht. Sensibilisierung und Fortbildungen.
- Datengrundlage verbessern und Informationssystem aufbauen: Es braucht öffentlich zugängliche Informationen zur Barrierefreiheit von Bahnhöfen, Haltestellen und deren Umfeld sowie Echtzeitdaten zu eingesetzten Fahrzeugen, Verspätungen und Störungen. Barrierefreie Verbindungen müssen deutschlandweit gesucht und gebucht werden können.
- Bahn stärker in die Pflicht nehmen: Der Bund muss dafür sorgen, dass möglichst schnell alle Züge mindestens vier Rollstuhl-Plätze haben. Diese müssen an allen Haltepunkten stufenlos zugänglich sein. Es muss einen schnelleren barrierefreien Umbau auch von kleineren Bahnhöfen geben. Die Mobilitätsservice-Zentrale (MSZ) muss jederzeit erreichbar sein und gewährleisten, dass Hublifte bedient werden, solange Züge fahren.
- Neue Mobilitätsangebote gleich barrierefrei konzipieren: Das betrifft Fahrzeuge zum Beispiel im On-Demand-Verkehr, aber auch digitale Informations- und Buchungssysteme.
- Regeln für Taxen und Mietwagen anpassen: In allen Gemeinden muss eine Mindestzahl an barrierefreien Taxen zur Verfügung stehen, die Fahrgäste im Rollstuhl sitzend befördern können – auch als Ersatzverkehr, wenn die reguläre barrierefreie Verbindung ausfällt oder unterbrochen wird.
- Barrierefreie Wegekette auch auf europäischer Ebene anstreben: Die Bundesregierung muss sich für eine Angleichung der Bahnsteighöhen in Europa einsetzen, außerdem für einheitlich hohe Standards und für die Einführung eines Europäischen Schwerbehindertenausweises.
Kontakt
Alexander Kaas Elias
Sprecher für Bahn, ÖPNV und Multimodalität
Fon 030/28 03 51-36
alexander.kaaselias@vcd.org