fairkehr 1/2024: Generalsanierung

Deutsche Bahn: Neues Netz, alte Probleme?

In diesem Jahr startet die Deutsche Bahn eine beispiellose Generalsanierung des Schienennetzes. Wie gut kann sie ihr Großprojekt bewältigen?

| fairkehr-Magazin

Am 15. Juli 2024, dem Tag nach dem Finale der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland, werden die Fans noch über Tore und Schiedsrichterentscheidungen diskutieren. Bei der Deutschen Bahn (DB) beginnt mit diesem Datum die Generalsanierung des Schienennetzes mit Arbeiten an der 73 Kilometer langen Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim.

Insgesamt 40 Korridore mit 4 000 Streckenkilometern plant die DB bis 2030 zu überholen. Das Unternehmen erneuert Gleise und Weichen, modernisiert Bahnhöfe und stattet viele Abschnitte mit digitaler Technik aus. Durch die Maßnahmen will der Konzern Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des Bahnverkehrs erhöhen und Störungen an der Infrastruktur reduzieren. Die Kosten liegen bei 45 Milliarden Euro bis 2027. Die Generalsanierung ist eine Mammutaufgabe, die viele Fragen aufwirft: Wie groß wird das Chaos für die Fahrgäste? Können die Projekte pünktlich abgeschlossen werden? Und stellt der Staat der DB vor dem Hintergrund von Haushaltsstreit und Schuldenbremse genug Geld zur Verfügung?

Busse statt Bahnen

Beispiel Riedbahn: Derzeit fahren auf dieser Strecke rund 300 Züge pro Tag. Damit gehört sie zu den meistbefahrenen Abschnitten im deutschen Schienennetz. Währen der fünfmonatigen Arbeiten an Gleisen und Bahnhöfen sollen Güter- und Fernzüge umgeleitet werden, was die Fahrzeit um 30 Minuten verlängert. Für die täglich bis zu 15 000 Reisenden in Regional- und S-Bahnen richtet die DB Schienenersatzverkehre mit 150 Bussen ein. So weit die Theorie.

Ob das auch in der Praxis klappt? Alexander Kaas Elias, bahnpolitischer Sprecher beim VCD, ist skeptisch: „Ich habe so meine Zweifel, ob die Deutsche Bahn Ersatzverkehre im entsprechenden Umfang auf die Straße bringt. Wir sehen bei den Verkehrsunternehmen, wie schwer es ihnen fällt, genügend Busfahrer*innen zu finden. Es ist wichtig, dass der Schienenersatzverkehr reibungslos funktioniert und dass die Umleitungen im Fernverkehr möglichst wenige zusätzliche Verspätungen im System verursachen. Sonst steigen Menschen von der Bahn auf das Auto um.“

Zeitplan einhaltbar?

Branchenkenner sind zudem skeptisch, ob die Deutsche Bahn das ehrgeizige Bau- und Umleitungskonzept im selbst gesteckten Zeitrahmen umsetzen kann. In Deutschland gibt es zu wenige Planer*innen, Ingenieur*innen, Disponent*innenen und Baufirmen für solch große Bahnbaustellen. „Momentan ist die ganze Branche darauf ausgerichtet, dass man 1,5 Milliarden Euro Bauvolumen hat“, warnt der Eisenbahn- und Verkehrsexperte Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin in einem Beitrag der Tagesschau. „Und wenn wir fünf Milliarden verbauen wollen im Neu- und Ausbau, dann braucht man viel mehr Leute. Und die sind schon jetzt knapp.“

Steht die Finan­zierung?

Trotz der schwierigen Haushaltslage plant die DB weiter mit 45 Milliarden Euro bis 2027, wie das Unternehmen Anfang Februar verkündete. Ob das Geld wirklich in vollem Umfang fließt und ob etwas übrig bleibt, um das Netz an anderer Stelle weiter auszubauen, ist unklar. Nichts Gutes verheißen vom Spiegel veröffentlichte bahninterne Dokumente, die zeigen, wie knapp das Geld bei der Bahn wirklich ist. Mehrere wichtige Projekte sind von Kürzungen bedroht, sodass sie vorerst nicht weiter verfolgt werden können: Darunter ein digitales Stellwerk für die Hamburger S-Bahn, ein digitaler Knoten für den Tiefbahnhof Stuttgart 21 oder die Anbindung des Fehmarnbelt-Tunnels – Teil der Bahnstrecke–Hamburg-Kopenhagen.

Der VCD hält die Maßnahmen zur Finanzierung von Ausbau, Sanierung und Modernisierung der Bahn für unzureichend: „Die Koalition hat im Haushalt einseitig zulasten der umweltfreundlichen Schiene gekürzt, während sie den Straßenbau kaum angetastet hat. Und umweltschädliche Subventionen wie das Dienstwagen- oder das Dieselprivileg bleiben bestehen. So lässt sich das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, die Zahl der Bahnfahrgäste bis 2030 zu verdoppeln und 25 Prozent der Güter auf der Schiene zu transportieren, nicht umsetzen“, sagt die VCD-Bundesvorsitzende Kerstin Haarmann.

Zudem fordert der VCD einen mehrjährigen Fonds zur Finanzierung der Bahninfrastruktur. Einem solchen Topf hatte Verkehrsminister Volker Wissing nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Klima- und Transformationsfonds wegen verfassungsrechtlicher Bedenken eine Absage erteilt. VCD-Bahnsprecher Kaas Elias geht davon aus, dass es dem Minister wohl eher am Willen fehle, mehr für die Bahninfrastruktur zu tun. Denn renommierte Rechtsexperten hätten geäußert, dass sie die Bedenken des Ministers nicht teilten.

Autor

Benjamin Kühne ist Redakteur und schreibt seit vielen Jahren über alle Themen der Mobilitätswende für das VCD-Magazin fairkehr. Er arbeitet bei der fairkehr Agentur in Bonn.

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