Für lebenswerte Städte

Städte fordern Handlungsfreiheit für die Ausweisung von Tempo 30

Die Kommunen wollen selbst entscheiden, auf welchen ihrer Straßen Tempo 30 gilt. Jetzt muss nur noch der Bundesverkehrsminister mitmachen.

| Tempolimit Verkehrspolitik

Jeder kennt vom Durchfahren den Flickenteppich aus erlaubten Geschwindigkeiten: Grundsätzlich gilt innerorts 50 Kilometer pro Stunde, es folgen Abschnitte mit Tempo 30 – manchmal mit zeitlicher Begrenzung –, gleich danach stehen wieder 50er-Schilder am Straßenrand, womöglich folgt Tempo 70 auf einem späteren Abschnitt. Viele Wohnviertel sind Tempo-30-Zonen, aber nicht alle. Was gilt wann, wo und warum? Das erschließt sich den wenigsten – und wird deshalb auch nicht durchgehend befolgt. Insgesamt sind die Geschwindigkeiten von Autos, Lkw, Bussen und Motorrädern in deutschen Städten zu hoch.

Viele Städte und Kommunen wollen das ändern und haben sich der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ angeschlossen. Das im Juli 2021 von sieben Großstädten gegründete Bündnis fordert Handlungsfreiheit: Die Städte wollen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit überall dort anordnen können, wo sie es für notwendig halten. Derzeit legt ein Bundesgesetz – der § 45 der Straßenverkehrsordnung – fest, dass Tempo 30 nur abschnittsweise bei konkreten Gefährdungen, etwa vor Kitas oder Schulen, gelten darf.

„Die Entscheidung über Tempo 30 muss bei den Städten liegen, sie wissen selbst am besten, was für ihre Bürgerinnen und Bürger gut ist“, sagt Burkhard Horn. Der freiberufliche Stadt- und Verkehrsplaner, der Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des VCD ist, berät die Initiative von Anfang an. Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm hatten das Bündnis gegründet, dem jetzt, nach nicht einmal drei Jahren, mehr als 500 Städte in ganz Deutschland angehören. Auch die ersten Landkreise treten bei. Ihre zen­trale Erklärung: „Wir bekennen uns zur Notwendigkeit der Mobilitäts- und Verkehrswende mit dem Ziel, die Lebensqualität in unseren Städten zu erhöhen.“

Der Initiative gehören Kommunen mit Stadträten aller Farben an; viele ­Rathauschef*innen kommen aus den Uni­ons­parteien. „Wir bauen keine parteipolitischen Fronten auf“, sagt Burkhard Horn, „die Mitglieder eint das Ziel, die Gesetzeslage der 1950er-Jahre der heutigen Realität anzupassen.“ Die Städte möchten aufräumen im Schilderwald und Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit ausweisen – auch auf Hauptverkehrsstraßen, wenn es im Rahmen eines nachhaltigen gesamtstädtischen Mobilitätskonzepts notwendig ist. Ihr Ziel: mehr Sicherheit im Verkehr, vor allem für Menschen auf dem Fahrrad oder zu Fuß.

Bisher war die Ausweisung von Tempolimits nur abschnittsweise oder bei Gefährdungen erlaubt. Laut Koalitionsvertrag sollen nun aber „neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen“. Auf die Umsetzung dieser Festlegung dringt und hofft die Initiative.

Zuletzt gab es Rückenwind vom Umweltbundesamt. Eine Studie hatte ergeben, dass Tempo 30 „enorme Lärmentlastungen“ der Bevölkerung zur Folge habe. Auch Stickoxide und Feinstaub würden zurückgehen. Das Bundesamt empfiehlt deshalb „deutschlandweit Tempo 30 als innerörtliche Regelgeschwindigkeit einzuführen“.

„Trotzdem braucht es wahlweise Druck oder hohe Diplomatie, um auch den FDP-Bundesverkehrsminister mit ins Boot zu holen“, sagt Berater Horn. Im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche will die Initiative deshalb die Bürgerinnen und Bürger in den Städten stärker beteiligen. Schließlich haben sie die größten Vorteile: Mehr Ruhe, mehr Sicherheit, bessere Luft, und womöglich mehr lebenswerte Straßen und Plätze für Jung und Alt mit weniger Autos – eine zentrale Forderung des VCD könnte in Erfüllung gehen.

Uta Linnert

ist Chefredakteurin beim VCD-Magazin fairkehr.
uta.linnert@fairkehr.de

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