Die Verkehrswende als Chance für soziale Gerechtigkeit

Ökologische Mobilität und soziale Gerechtigkeit sind kein Widerspruch. Der Mythos, dass nur eins von beiden auf einmal zu schaffen sei, muss ein für alle Mal begraben werden.

| Klimafreundliche Mobilität Soziale Aspekte der Verkehrswende

Geht es um die sozial-ökologische Verkehrswende, wird gerne als erstes die Geschichte von der Arbeitskraft aus der unteren Mittelschicht aus der Schublade gekramt, deren Auto angeblich in Gefahr sei. Dies kann der Handwerker, die Putz- oder ambulante Pflegekraft sein. Gehen wir einmal diese typische Erzählung anhand von Putzmann Stefan durch: Stefan arbeitet im Niedriglohnsektor und kann sich die teuren Mieten in der Großstadt nicht leisten. Daher wohnt er auf dem Land und pendelt jeden Tag 40 Kilometer (einfache Strecke) mit seinem Opel Corsa. Würde ihm sein Fahrzeug genommen, stünde er vor dem Ruin, heißt es, denn in der nächsten Kleinstadt gibt es nicht genug Arbeit für ihn. Es wäre daher unverantwortlich, ihm das Auto wegzunehmen.

So in etwa die typische Erzählung. Doch was, wenn wir an dieser Stelle verraten, dass Stefans Kleinwagen nicht das Problem ist – und dass niemand ihm sein Auto wegnehmen will? Vielmehr stellt sich die Frage, warum Stefan auf sein Auto angewiesen ist. Es kostet ihn hunderte Euro im Monat fürs Tanken, für Versicherungen und die Instandhaltung, Tendenz steigend. Und bis zu zwei Stunden pro Tag im Auto mit Stau, Stopp-and-Go und Parkplatzsuche sind für ihn gewiss kein Vergnügen - oder gar Ausdruck von Freiheit.

Doch nicht nur zur Arbeit braucht er das Auto. Ohne Auto bekäme er den Einkauf aus dem nächsten Dorf nicht nachhause und seine Kinder kämen nicht zum Fußballtraining. Denn es gibt weder einen sicheren Radweg noch einen regelmäßig fahrenden Bus. Daher ist es für Stefan undenkbar, aufs Auto zu verzichten. Statt also sein Fahrverhalten zu problematisieren, sollten wir uns die Frage stellen: Mit welchen Kosten und Ungerechtigkeiten ist unser Verkehrssystem verbunden und wer profitiert überproportional davon? Und wie ließe sich Mobilität für alle ökologisch und sozial gerecht verwirklichen?

Wer profitiert vom aktuellen Verkehrssystem?

Die reichsten zehn Prozent der deutschen Bevölkerung verbrauchen so viel Energie wie die ärmsten 40 Prozent. Ein großer Faktor dabei ist die Mobilität: Mehr und größere Autos, Dienstwagen für jede Gelegenheit und viele Flugreisen sind dafür verantwortlich – bei den Superreichen auch Privatjets. Während sie in schicken Gegenden mit wenig Durchgangsverkehr wohnen, leiden unter den Folgen von Lärm, Abgasen und Unfällen mehrheitlich andere. So auch Stefan, der aufgrund der niedrigen Miete direkt an der Bundesstraße und nicht weit von der Einflugschneise des Flughafens wohnt: Schlafmangel, Stress und Bluthochdruck sind Teil seines Lebens – und wer weiß, was sich daraus noch entwickelt... Dazu kommt der Klimawandel, dessen Folgen er seinen Kindern und den noch stärker betroffenen Menschen in anderen, ärmeren Ländern gerne ersparen würde.

Diese Ungleichheit wird durch fehlendes politisches Gegensteuern verschärft. Während die Bahn jahrzehntelang bis in die Unzuverlässigkeit kaputtgespart wurde, sprudelt das Geld für Subventionen in den Auto- und Flugverkehr weiter. Dienstwagen, die vor allem als Bonus für Gutverdienende zu betrachten sind, erhalten Steuererleichterungen. Auf eine Besteuerung von Kerosin für Flugzeuge verzichtet der Staat und auf Diesel gibt es einen Nachlass. Und auch von der Pendlerpauschale profitieren Menschen mit hohem Einkommen deutlich stärker. Diese umweltschädlichen Subventionen im Verkehrsbereich mit sozialer Schieflage summieren sich auf rund 30 Milliarden Euro im Jahr. Und während der Ausbau der Schiene und des ÖPNVs nicht in die Gänge kommt, sollen nach Plan noch 800 Autobahn-Kilometer neu entstehen. Dieser Straßenbau soll Staus verhindern, damit Menschen wie Stefan Zeit sparen. Jedoch führte der Autobahnausbau der letzten Jahrzehnte zu mehr Verkehr und höheren Belastungen.

Sozial-gerechte Verkehrswende – Ein Blick in die Zukunft

Tatsächlich ist genug Geld da, um Mobilität für alle ökologisch und gerecht zu ermöglichen. Dazu muss die Politik aber langfristig planen und Geld für den barrierefreien Ausbau von Bus und Bahn bereitstellen. So könnte Stefan dann sicher sein, dass er auch im Alter mobil bleibt. Pünktliche und regelmäßige Verbindungen im ganzen Land sind möglich, wenn die Prioritäten anders gesetzt und bessere Gehälter gezahlt werden, um auch in Zeiten des Fachkräftemangels das dafür nötige Personal zu gewinnen.

Werfen wir einen Blick in die mögliche Zukunft: Stefans Leben würde sich deutlich verbessern. Sind dank des flächendeckenden Ausbaus von Radwegen ausreichend sichere Radwege vorhanden, so hält er sich fit und nimmt lieber das Fahrrad für die vier Kilometer zum Bahnhof. Dort stellt er es sicher geschützt vor Wind und Wetter im neuen Fahrradparkhaus ab und kommt dann dank des ausgebauten ÖPNVs mit dem Regionalexpress im Halbstundentakt direkt ins Stadtzentrum. Gut auch, dass er bei Wind und Wetter die neue Busverbindung zum Bahnhof nehmen kann. Auch die Kinder kommen jetzt so zum Sport, selbstständig und sicher. Mit diesen Möglichkeiten kann Stefan auf sein teures Auto verzichten.

Möglich wird das auch, da das Deutschlandticket weiterentwickelt wurde: Stefans Sohn (12) fährt jetzt im Nahverkehr kostenlos, die Tochter (16) bekommt ein Jugendticket für 29 Euro im Monat. So sind die Kinder von Anfang an selbständig und ökologisch mobil und gewöhnen sich gar nicht erst an das Elterntaxi. Für die vierköpfige Familie sind die Deutschlandtickets jetzt viel günstiger als das teure Auto. Weil viele Menschen den Umstieg geschafft haben, ist der Durchgangsverkehr und damit die Lärm- und Abgasbelastung im Dorf deutlich zurückgegangen. Bei Tempo 30 auch auf der Hauptstraße hat Stefan jetzt keine Sorge mehr, wenn sein Sohn mit dem Fahrrad Freunde besucht. Und auch die Kommune spart durch diese Verkehrswende viel Geld, das bislang für Straßensanierung und den Unterhalt von Parkplätzen draufging.

Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammendenken

Für eine erfolgreiche Verkehrswende müssen die Synergien genutzt werden, die Klimaschutz und Soziales bieten. Die, die bisher im Schatten der Aufmerksamkeit standen, müssen von Veränderungen profitieren. Unsere Lebensqualität verbessert sich mit sicherem Verkehr, weniger gesundheitlichen Belastungen und ökologischen Mobilitätsangeboten. Wenn Maßnahmen aber nicht sozial gerecht sind, können sie nicht nachhaltig wirken und stoßen auf Widerstand.

Unser Fazit zu Stefan: Niemand will ihm sein Auto wegnehmen. Es geht vielmehr darum, ihn von der Zwangsmotorisierung zu befreien, ihm die Freiheit zu geben, ökologisch mobil zu sein und Kosten zu sparen. Dass sich die Lebensqualität für viele Menschen verbessert, wenn der Autoverkehr zurückgeht, liegt auf der Hand. Und eine große Mehrheit befürwortet Klimaschutzmaßnahmen, um einen lebenswerten Planeten zu erhalten.

Der VCD setzt sich für eine ökologische Verkehrswende ein, die gleichzeitig erheblich zu sozialer Gerechtigkeit und zur Steigerung der Lebensqualität beiträgt. Leider wird eine solche sinnvolle Entwicklung an allen Ecken und Enden ausgebremst. Dabei wird oft Angst vor Veränderung geschürt. Es ist Zeit, dass wir Lust auf Veränderung machen, weil nur so mehr Gerechtigkeit und Lebensqualität ermöglicht werden.

Das ist mir was wert!

Sei dabei und gestalte die Verkehrswende aktiv mit!


Dominik Fette

Portrait Dominik Fette

Sprecher für klima- und sozialverträgliche Mobilität
Fon 030/28 03 51-281
dominik.fette@vcd.org

Jonas Ibel

Volontär Pressestelle
Fon 030/28 03 51-59
jonas.ibel@vcd.org

 

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