Titel: Künstliche Intelligenz | VCD-Magazin 2/2025
Künstlich intelligent mobil unterwegs
Newsroom/Blog
Grüne Welle für den Radverkehr ermöglichen
Künstliche Intelligenz und Radfahren: Geht das zusammen? Hamburg sagt ja! Die Verkehrsbehörde will damit den Radverkehr beschleunigen: Radlerinnen und Radler sollen nicht ständig an roten Ampeln warten müssen, um den Autoverkehr durchrauschen zu lassen. Stattdessen sollen Fahrräder priorisiert sein – wie der Name des Bundesförderprojektes „PrioBike HH“ schon sagt.
Dazu installiert die Behörde Intelligente Verkehrssysteme, englisch Intelligent Transportation Systems (ITS), an Ampeln. Auf bisher zwölf vielbefahrenen Routen erhalten Radfahrer*innen streckenweise eine Grüne Welle – je nach Straßenabschnitt und Uhrzeit liegt die hinterlegte Geschwindigkeit bei 18 km/h oder 20 km/h. Durch diese Steuerung sollen sie kraftsparender ans Ziel kommen, an Kreuzungen können Fahrräder ohne Stopps durchfahren.
Zusätzlich testet Hamburg eine „Geschwindigkeitssäule“: An einer Kreuzung, die täglich von Tausenden Fahrrädern passiert wird, zeigt die Säule den Radelnden ihre aktuelle Geschwindigkeit und gibt eine Empfehlung ab, wie sie ihr Tempo anpassen können, um die nächste Grünphase der Ampel zu erreichen. Klingt kompliziert – soll aber ebenfalls dafür sorgen, dass Räder flüssiger unterwegs sein können.
An zwei Kreuzungen setzt das Projekt auf KI-gestützte Radarsensoren, um die Sicherheit im Radverkehr zu erhöhen. Bodenleuchten – mal grün, mal weiß blinkend – sollen Autos auf heranfahrende Radfahrer*innen aufmerksam machen, um das Risiko von Unfällen beim Abbiegen zu mindern. Sie waren auf der fairkehr-Testfahrt allerdings kaum sichtbar.
Die Verkehrsbehörde weist darauf hin, dass es sich bei den Maßnahmen um Pilotprojekte handelt. Sollten die Ergebnisse der Testphase positiv sein, könnten die High-Tech-Lösungen an weiteren Orten eingesetzt werden. Den Bürger*innen gefällt es: Sie haben Rot-Grün bei der Kommunalwahl bestätigt. Denn noch wichtiger als KI ist der politische Wille: Die Hamburger Behörde hat das Mandat, die begonnene Mobilitätswende fortzusetzen.
Uta Linnert

Lieferwege optimieren und Emissionen vermeiden
Welche Produkte werden unsere Kunden in den nächsten Wochen kaufen? Um diese komplizierte Frage zu beantworten, setzt der Onlinehändler OTTO seit 2019 eine KI ein. Die analysiert Abermillionen Daten, bestehend etwa aus historischen Verkaufszahlen, geplanten Marketingaktivitäten, der aktuellen Wirtschaftslage und der Wettervorhersage. Die KI prognostiziert anhand dieser Daten, welche Artikel verkauft werden – und wo. So kann das Unternehmen Produkte rechtzeitig nachbestellen und an die passenden regionalen Lager liefern. Steht zum Beispiel eine Hitzewelle an, ordert die KI schon mal Ventilatoren, bevor die Kunden überhaupt daran denken. Bei Bestellung können sie dann schnell geliefert werden.
Gut für die Nachhaltigkeit soll das System auch sein, sagt das Unternehmen. Es vermeide Überproduktion, weniger Artikel müssten weggeschmissen oder unter Wert verkauft werden. Gleichzeitig würden durch die vorausschauende Logistik Transportwege optimiert oder ganz eingespart, sodass weniger Verkehrsemissionen verursacht würden.
Konkrete Zahlen zu den CO2-Einsparungen liefert der Versandhändler auf Nachfrage nicht. Ob optimierter Konsum eine gute Nachricht fürs Klima ist, ist zumindest fraglich. Zahlen anderer Unternehmen legen aber nahe, dass die KI-Optimierung von Lieferwegen zumindest ein kleiner Schritt zu einem weniger klimaschädlichen Güterverkehr sein kann . So gibt das US-Unternehmen Walmart an, durch den Einsatz seiner KI knapp 50 Millionen Transportkilometer und 43 Millionen Tonnen CO2 vermieden zu haben.
Katharina Baum

U-Bahnen automatisieren und pünktlicher machen
Wer an autonomes Fahren denkt, hat dabei höchstwahrscheinlich Bilder von modernen Autos in großen US-Metropolen im Kopf. Ein Verkehrsmittel, das bereits deutlich länger und zuverlässiger fahrerlos unterwegs ist, haben viele Menschen nicht auf dem Schirm: U-Bahnen und Shuttlezüge.
Bereits 1981 fuhr in der japanischen Millionenstadt Kobe eine erste fahrerlose Bahn vom Bahnhof zum Hafen. 1983 folgte die erste autonome U-Bahn Europas im nordfranzösischen Lille. Beide Bahnen kamen ganz ohne künstliche Intelligenz und mit einfachsten Computersystemen aus. In den Schienen verbaute Sensoren übermittelten Standortdaten der Züge an zentrale Steuerungssysteme. Relais und elektrische Schaltkreise leiteten Signale zur automatischen Weichen- und Lichtsteuerung weiter. In Notfällen konnte ein Mensch aus einer zentralen Leitstelle den Betrieb manuell steuern.
U-Bahnen und Shuttlezüge sind in der Regel geschlossene Systeme, die die Wege von Fußgänger*innen, Radfahrer*innen oder Autofahrer*innen nicht kreuzen. Daher sind sie besonders einfach automatisiert zu betreiben. Heute zieht in Schienenfahrzeuge und Infrastruktur immer mehr digitale Technik ein. So können Kamera- und Radarsysteme feststellen, wenn Personen im Gleis sind und Züge automatisch anhalten. KI kommt zum Einsatz, um optimale Abbrems- und Beschleunigungszeiten zu berechnen, wodurch die Bahnen punktgenau starten und stoppen. Dies verbessert die Pünktlichkeit und reduziert den Energieverbrauch.
Trotz Vorteilen wie gesparten Personalkosten, hoher Sicherheit, engerer Taktung und Energieeffizienz sind vollautomatisierte U-Bahnen noch relativ selten, da die Kommunen die hohen Investitionskosten scheuen. In Deutschland gibt es nur eine einzige fahrerlose U-Bahn: Sie ist seit 2008 in Nürnberg unterwegs.
Benjamin Kühne
Mit digitalen Zwillingen Städte verstehen und planen
Unter einem digitalen Zwilling versteht man ein exaktes Abbild einer Stadt oder eines Stadtteils im digitalen Raum. Von unterirdischen Wasser- und Stromleitungen über Radwege und Straßen bis zu Bäumen und Solaranlagen auf Hausdächern ist der digitale Zwilling eine exakte Kopie, die fortlaufend mit Daten gefüttert wird – etwa von Verkehrszählanlagen oder Stationen zur Messung der Luftqualität.
Digitale Zwillinge können Kommunen bei der Stadtplanung helfen. Soll zum Beispiel ein neuer Fahrradstreifen gebaut werden, zeigt der Zwilling nicht nur in 3D, wie die Straße aussehen würde, sondern simuliert auch, wie sich die Verkehrsflüsse verändern. Die KI berechnet dafür potenzielle Bewegungsmuster von Autos, Fußgänger*innen und Fahrrädern. Der Einfluss von Baustellen auf den Verkehr oder von Starkregen auf das Kanalsystem sind weitere Fälle, für die Städte digitale Zwillinge nutzen und mit den Ergebnissen ihre Planung optimieren können.
In Deutschland arbeiten München, Hamburg und Leipzig gemeinsam im Projekt „CUT – Connected Urban Twins“ an der Entwicklung digitaler Zwillinge. Eine weitere Vorreiterin ist die südlich von Stuttgart gelegene Stadt Herrenberg (35.000 Einwohnende). Dort ist ein digitaler Zwilling bereits seit 2019 im Einsatz – und ist auch für Anwendungen jenseits der KI nützlich: Bürger*innen können mit einer „Wohlfühl-App“ angeben, wo sie sich im öffentlichen Raum oder in städtischen Verkehrsmitteln sicher fühlen – und wo nicht. So kann die Stadt Angsträume identifizieren und gezielte Gegenmaßnahmen ergreifen. Ob diese helfen, spiegelt sich wiederum in den über die App eingegangenen Rückmeldungen.
In den Folgejahren hat Herrenberg über den digitalen Zwilling Daten zum Rad- und Fußverkehr gesammelt, den Ausbau von Solarpaneelen auf Dächern in der historischen Altstadt simuliert oder herausgefunden, wo die Wurzeln von neu gepflanzten Bäumen in 20 bis 30 Jahren mit unterirdischen Leitungen kollidieren werden.
Besonders wichtig für die Stadt: Die Möglichkeit, Bauprojekte als 3D-Visualisierung mit ihren Bürger*innen zu teilen – laut Verwaltung ein probates Mittel für größere Beteiligung und Akzeptanz in der Bürgerschaft.
Katharina Baum

Brücken besser instand halten
Marode Brücken sind nicht nur gefährlich, sondern auch teuer: Eine gesperrte Brücke kann volkswirtschaftliche Schäden in Millionenhöhe verursachen – pro Tag. Besser also, man kommt strukturellen Schäden zuvor und vermeidet Vollsperrungen. Das Forschungsteam „IDA-KI“ der TU Dresden untersucht deshalb, wie zuverlässig Sensordaten Schäden an Bauwerken bereits im Frühstadium anzeigen. Das Schlagwort: „Predictive Maintenance“ – vorausschauende Instandhaltung.
Im sächsischen Bautzen steht dafür die weltweit einzigartige Versuchsbrücke „openLAB“: Sie ist mit über 200 Sensoren ausgestattet, die wie ein Fitnesstracker Informationen über den Zustand der Gesundheit eines Menschen sammeln – nur eben für die Brücke. Diese Daten füttern das digitale Abbild der Brücke, ihren „digitalen Zwilling“, der Abweichungen und potenzielle Schäden in Echtzeit meldet. Das Team trainiert ein KI-Modell darin, zu erkennen, ob die gesammelten Daten tatsächlich auf Schäden an der Brücke hinweisen. Am Normalzustand der Brücke lernt das Modell, wie sich die Messdaten unter normalen Bedingungen verhalten. Nach dieser Referenzphase folgen gezielte Belastungstests. So sollen Abweichungen vom Normalzustand vollautomatisch bemerkt werden. Das Forschungsteam möchte herausfinden, wie zuverlässig die KI diese Warnsignale erkennt und übermittelt.
Mit einer zuverlässigen Auswertung über den Zustand von Bauwerken können Reparaturen frühzeitig und gezielt eingeleitet werden – noch bevor es zu Einschränkungen oder Risiken kommen muss. Daher könnte eine auf Sensordaten basierende Überwachung von Material und Statik einen wichtigen Beitrag zum Erhalt von Brücken leisten. Das maschinelle Lernen macht es möglich, große Datenmengen auszuwerten und zu analysieren.
Das Projekt wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr gefördert. Erste wissenschaftliche Ergebnisse hat das Forschungsteam bereits in Fachzeitschriften publiziert.
Maren Otto