Infrastruktur | VCD-Magazin 2/2025
Fahrradstraßen: Wer bremst hier wirklich?
Der Gepäckträger klappert, als die Radfahrerin über die Bordsteinkante hopst. Ein weißer SUV kommt um die Kurve und nimmt ihr den Platz auf der schmalen Fahrbahn – zum Glück bietet der freie Gehweg gerade noch genug Raum für ihr Ausweichmanöver. Hier radelt sie weiter, während der bullige VW die Markierung „Fahrradstraße“ überrollt.
In der Straße „Florentiusgraben“ in Bonn begegnen sich regelmäßig Räder und Autos. Eigentlich sollte ihr Aufeinandertreffen hier anders laufen: Denn laut StVO bestimmen in Fahrradstraßen die Räder. Klingt gut, doch was genau heißt das eigentlich? Wieso fahren hier trotzdem Autos? Und was muss passieren, damit die bloße Markierung zur echten Fahrradstraße wird?
Theorie und Praxis
Hier die Theorie: In Velostraßen gehört die gesamte Fahrbahn den Rädern: Radfahrende dürfen jederzeit nebeneinander fahren, und nur wenn ein Zusatzzeichen dies vorsieht, teilen sie sich die Fahrbahn mit Autos und Motorrädern. Doch auch dann bleibt der Vorrang beim Radverkehr – Autos haben sich unterzuordnen: Wer überholt, hält mindestens 1,5 Meter Abstand, und niemand rast, denn Tempo 30 ist verbindlich für alle.
Gregor Gaffga, Verkehrsplaner in Konstanz, erklärt ihre Funktion: „Der Einsatzort der Fahrradstraße ist hauptsächlich da, wo wir auch mit Kfz-Verkehr zu tun haben. Ansonsten könnte man das Instrument „Fahrradweg“ nutzen und hätte damit ganz klar einen Raum, der allein dem Radverkehr oder vielleicht dem Rad- und Fußverkehr vorbehalten ist. Die Fahrradstraße kommt da ins Spiel, wo ich den Autoverkehr in begrenztem Maße habe, aber dem Autofahrer klarmachen möchte: Hier hat der Radverkehr Vorrang. Hier möchte ich Prioritäten setzen und den Radverkehr besonders schützen.“
Doch wie sieht es in der Praxis aus? Die „Sicherheitsbewertung von Fahrradstraßen und der Öffnung von Einbahnstraßen“ des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (2016) zeigte: In allen beobachteten Radstraßen fuhren Autos schneller als erlaubt. Auch parkende Fahrzeuge behinderten den Radverkehr und erhöhten das Unfallrisiko. In einer ergänzenden Befragung schätzten dennoch 70 Prozent der Teilnehmenden Fahrradstraßen als sicher ein. Dagegen gaben bei der Befragung „Unterwegs in Offenbach“ (2020) nur 37 Prozent der Teilnehmenden an, sich hier subjektiv sicher zu fühlen.

Gute Planung für gute Straßen
Die Frage sollte also nicht sein, wieso in Fahrradstraßen auch Autos fahren, sondern wie diese unterwegs sind: Halten sich alle an Tempo 30? Orientieren sich Autofahrer*innen an der Geschwindigkeit von Radfahrer*innen? Überholen sie mit ausreichend Sicherheitsabstand? Bietet die Fahrbahn genug Platz?
Wenn das Auto die Radfahrerin im Bonner „Florentiusgraben“ von der Fahrbahn verdrängt, herrscht Platzmangel – ein Problem, zu dem es bei einer breiteren Fahrbahn womöglich nicht käme. Eine zu breite Fahrbahn wiederum lädt zum Überholen ein. Verschiedene Straßen fordern verschiedene Lösungen: Soll eine Fahrradstraße entstehen, muss die Verkehrsplanung alle Voraussetzungen prüfen und Vorkehrungen treffen. Beispielsweise hilft ein Überholverbot in breiten oder ein Parkverbot in schmalen Straßen. Je nach Straße und Ziel kommen auch zusätzliche Elemente ins Spiel: Zum Beispiel verhindern in Anliegerstraßen bauliche Sperren wie Pfosten oder Betonblöcke, sogenannte Modale Filter, dass Autos durch die Straße fahren.
Rot, blau oder grün?
Auch Info-Banner, die die wichtigsten Verkehrszeichen und Regeln erklären, können neuen Fahrradstraßen zum Erfolg verhelfen und Orientierung schaffen. Denn oft kennen insbesondere Autofahrer*innen nicht alle Regeln, die hier gelten. Beispielsweise wussten nur 25 Prozent der befragten Autofahrer*innen laut der Sicherheitsbewertung von Fahrradstraßen (2016), dass Autos hier nur mit Erlaubnis fahren dürfen.
Dass Fahrradstraßen regional unterschiedlich aussehen – in Konstanz sind sie blau, in Münster rot und in Offenburg grün –, kann Verkehrsteilnehmer*innen zusätzlich verwirren. Hier liegt die Entscheidung bei den Städten und kann aus historischen Gründen unterschiedlich ausfallen. Doch ob rot, blau oder grün: Markierungen heben die Fahrradstraße hervor und sind damit einer der vielen Bausteine, die ihnen zum Erfolg verhelfen.
Damit Rad und Auto zu einem guten Miteinander finden, braucht es manchmal auch ein bisschen Eingewöhnungszeit. „Von einem halben bis zu einem Jahr würde ich immer ausgehen“, erzählt Gaffga. Denn Menschen brauchen Zeit, um ihre Routinen zu durchbrechen, sich neue Routen zu suchen und im besten Fall aufs Rad umzusteigen.
Gut zu wissen
Daran erkennt man eine Fahrradstraße
Ein blaues Schild mit weißem Fahrrad und dem Wort „Fahrradstraße“. Das gleiche Schild, ausgegraut und durchgestrichen, zeigt das Ende der Fahrradstraße an. Meist zusätzliche Piktogramme oder das Wort „Fahrradstraße“ auf der Straße – regional unterschiedlich umgesetzt und farblich markiert.
Diese Regeln gelten in der Fahrradstraße
- Hier dürfen fahren: gewöhnliche Fahrräder, Pedelecs (max. 25 km/h) und E-Scooter
- Nebeneinanderfahren ist erlaubt, auch in Gruppen
- Autos dürfen nur fahren, wenn ein Zusatzschild es erlaubt („Kfz frei“)
- Radfahrende haben Vorrang – Autos müssen sich anpassen
- Höchstgeschwindigkeit für alle: 30 km/h
- Überholen durch Autos: bei einem Mindestabstand von 1,5 Metern erlaubt
- Vorfahrt: Rechts vor links gilt für alle – falls nicht durch Verkehrszeichen anders geregelt
- Parken: nur wenn Beschilderung dies nicht verbietet/einschränkt
Unterschiede zu Radweg und Fahrradzone
Auf Fahrradwegen sind im Gegensatz zu Fahrradstraßen nie Kfz erlaubt, sie sind baulich von der Fahrbahn getrennt und die Höchstgeschwindigkeiten sind unterschiedlich. Seit der Novelle der StVO 2020 sind Fahrradzonen verankert. Es gelten dieselben Regeln wie in Fahrradstraßen, allerdings hier für eine gesamte Zone.
Autorin

Maren Otto
ist Redakteurin bei der fairkehr-Agentur in Bonn und schreibt für das VCD-Magazin fairkehr. Sie ist Expertin für alle Themen rund um nachhaltige Mobilität.