Sonnenaufgang in bizarr zerklüfteter Landschaft: Kappadokien in Zentral­anatolien ist eines der bekanntesten Heißluftballon­gebiete der Welt.

Reisen ohne Flugzeug | 2/2025

Mit dem Fahrrad nach Baku reisen

100 Tage, 14 Länder, 5.000 Kilometer: Von Sommer bis Herbst 2024 radelte unser Autor Ingwar Perowanowitsch von Freiburg zur UN-Weltklimakonferenz in Aserbaidschan – für den Klimaschutz.

| VCD-Magazin fairkehr fairkehr-Magazin 02/2025

Seit meiner Jugend spielt das Fahrrad in meinem Leben eine wichtige Rolle. Jedes Jahr versuche ich, eine kleine Tour zu machen. Im Juli 2024 bin ich wieder losgefahren, diesmal länger und weiter, mit Ziel Aserbaidschan. Ans Kaspische Meer soll es gehen, in den Tagungsort der UN-Weltklimakonferenz.  Zum 29. Mal verhandeln die Nationen dieser Erde über die Zukunft des Planeten und zum ersten Mal will ich live mit dabei sein. Dafür bin ich aus Freiburg aufgebrochen, um hundert Tage später in Baku anzukommen.

Die Route: Meine Tour geht über die Alpen, durch den Balkan, die Türkei und als letzte Etappe durch Georgien über den Kaukasus. Ich bewundere die Schönheit Südtirols, schwimme im Gardasee und staune über Ljubljanas autofreie Innenstadt. Denn auch das habe ich mir vorgenommen: Die Augen während der Reise offen zu halten und über hoffnungsvolle Entwicklungen und Projekte entlang des Weges zu berichten. Ich reise durch Bosnien und Herzegowina, hinein ins Herz des Balkans, durch den Durmitor-Nationalpark  in Montenegro und in den Kosovo. Ich mühe mich durch die weiten Ebenen Bulgariens bis in die Türkei. 

In der Türkei sind Radreisende eine Seltenheit, ganz besonders im einsamen Hinterland, durch das ich fahre, um den Verkehr der Hauptstraßen zu vermeiden. Durch abgeschiedene Dörfer mit nicht einmal hundert Einwohnern, in die sich vermutlich noch nie ein Radreisender verirrt hat. Dennoch sind diese Orte nicht verlassen. Oft sind die kleinen Dorfplätze von mehreren erhöhten Teestuben eingekesselt, von denen mich jedes Mal ein paar Dutzend Tee trinkende ältere Herren anstarren – und bald hinüberwinken und einladen. Schnell erzählen wir uns gegenseitig unsere Geschichten – mit Händen und Füßen und den wenigen Wörtern Türkisch, die ich mir angeeignet habe. Die Menschen sind herzlich, offen, neugierig, großzügig und allzeit hilfsbereit. Man kümmert sich um Gäste – das wird mir in der Türkei schon auf den ersten Kilometern deutlich. Ich lasse mich auf diese Begegnungen gerne ein, bilden sie doch die Geschichten, die am Ende der Reise in Erinnerung bleiben werden.

In den Bergen Ostanatoliens und im georgischen Hochland brechen plötzlich Schnee, Eiseskälte und Glatteis über mich herein und stellen mich vor ganz neue Herausforderungen. In Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, berichte ich als freier Journalist über die Parlamentswahl. Seit die russlandfreundliche Regierungspartei Georgischer Traum sich zur Siegerin erklärt hat, ist das kleine Land am Kaukasus so zerrissen wie lange nicht und sucht seine Rolle zwischen Demokratie und Autokratie.

Mein Fahrrad: Ich fahre mit einem Reiserad aus Bambus, einem der größten und am schnellsten wachsenden Gräser der Welt. Aus diesem natürlichen Material kann so ein stabiles Produkt wie ein Fahrradrahmen entstehen, der tatsächlich klimapositiv ist: Während Bambus wächst, entnimmt er der Luft mehr CO2 als während der Herstellung des Rades produziert wird. Mein Rad ist leicht und durch die Elastizität des Materials federt es Bodenwellen spürbar ab. Tatsächlich übersteht der Rahmen alle Strapazen und Belastungen dieser weiten Tour.

Die Ausrüstung: Ich reise mit leichtem Gepäck und vertraue auf meine altbewährte Camping-Ausrüstung. Nur in Städten übernachte ich in Hotels oder Hostels. Sich abends, wenn die Sonne untergeht, auf die Suche nach einem schönen Zeltplatz zu machen, gehört zu den besonderen Momenten dieser Tour, genauso wie im Dunkeln vor dem Zelt zu sitzen und in den Himmel zu schauen und später in den Schlafsack zu kriechen – all das können Hotels nicht bieten, ganz egal, wie verlockend eine tägliche Dusche und ein Bett auch sein mögen – Freiheit schlägt Komfort

Was noch mitmusste: Die Film- und Fotoausrüstung, bestehend aus Laptop, drei Kameras und meinem liebsten Technikgerät: einer 249 Gramm schweren Drohne. Mit ihr kann ich tolle Aufnahmen für meine Filme machen. Ein Kocher hat es aus Platzgründen nicht mehr ins Reisegepäck geschafft. Essen gehen ist auf dem Balkan und in der Türkei preiswert, und Brot, Aufstrich, Obst und Gemüse lassen sich auch kalt verzehren.
 

Das Erlebnis: Am Ende überwiegt die Dankbarkeit. Mein Ziel zu Beginn dieser Reise war, das Unbekannte wahrzunehmen, präsent zu sein im Augenblick, neugierig zu bleiben und allen Menschen unvoreingenommen zu begegnen. Diese Offenheit wurde erwidert. Ich erlebte so viel Herzlichkeit auf dieser Tour, in allen Ländern, von Männern, von Frauen und Kindern. Es waren Einladungen zum Essen oder Schlafen, kleine Geschenke, ein freundliches Gespräch am Straßenrand oder aufmunternde Zurufe von Menschen, die sich einfach nur freuten, dass ich ihr Land mit dem Fahrrad besuchte. Auf den 5.134 Kilometern Radreise hatte ich keine einzige unangenehme Begegnung mit Leuten, die mir Böses wollten, keinen Unfall, keinen Hundebiss – und keinen einzigen Platten.

Der Film: Es ist ein Reisefilm entstanden, den ich bei meiner Ankunft am Kaspischen Meer fertiggestellt habe. So kann ich noch mehr Menschen an dieser Reise teilhaben lassen. Ich hoffe, mit dem Film eine kleine, leise Gegenerzählung anzubieten zur derzeit lautstarken Meinung, dass alles gerade irgendwie den Bach runtergeht.

  • Grafik: Laura StolleVon Freiburg nach Baku – einmal quer durch Europa
  • Bild: Ingwar PerowanowitschFür alleinreisende junge Männer sicher einfacher als für Frauen: Herzliche Gastfreundschaft der Männer und Einladungen in Teestuben sind in der Türkei für männliche Radreisende an der Tagesordnung.
  • Bild: Ingwar PerowanowitschDer Fernradweg Via Claudia Augusta verläuft auf einer alten römischen Handelsstraße und führt über die Alpen quer durch Südtirol.
  • Bild: Ingwar PerowanowitschDie Drohne filmt den einsamen Radfahrer, der im Herbst in der leuchtend gelben Landschaft Ostanatoliens unterwegs ist.
  • Bild: Ingwar PerowanowitschKurz vor der georgischen Grenze wird es kalt: Schnee­bedeckte Berge, eisiger Wind, kalter Regen und Glatteis stellen gegen Ende der Reise große Anforderungen an Mensch und Material.
  • Bild: Ingwar PerowanowitschEin Kontinent an Eindrücken: Ingwar zeltet auf dem trockengefallenen, größten Salzsee der Türkei, dem Tuz Gölü.
  • Bild: Ingwar PerowanowitschFreundliche Treffen am Wegesrand bleiben besonders in Erinnerung.
  • Bild: Ingwar PerowanowitschSonnenaufgang in bizarr zerklüfteter Landschaft: Kappadokien in Zentral­anatolien ist eines der bekanntesten Heißluftballon­gebiete der Welt.

Zur Person


Ingwar Perowanowitsch (30) ist freier Journalist, angehender Filmemacher, Autor, Vortragsredner und bekannt für seine klugen Kommentare zu Mobilität und Verkehrswende in den sozialen Medien. Seit letztem Jahr ist Ingwar Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des VCD und wurde auch schon für den VCD tätig: Als Social-Media-Experte hat er Teilnehmer*innen der VCD-Akademie beraten, wie sie die Verkehrswende in den neuen Medien gut kommunizieren können.

zurück