Die Gäubahn – das ist keine Bimmelbahn, wie der Name vielleicht vermuten lässt, sondern ein wichtiger Teil der öffentlichen Infrastruktur im Süden Baden-Württembergs. Zum einen verbindet sie 1,4 Millionen Menschen im südlichen Baden-Württemberg mit der Landeshauptstadt, darunter Geschäftsreisende, Pendler*innen sowie Schüler*innen und Studierende der Unis und Hochschulen in Konstanz und Stuttgart. Zum anderen ist sie ein wichtiger Teil des internationalen Schienennetzes: Über die Direktverbindung Stuttgart-Zürich können Fahrgäste auf kürzestem Weg weiter in Richtung Italien reisen.
Doch ab April 2026 steht die Verbindung der Gäubahn zum Stuttgarter Hauptbahnhof vor dem Aus. Für den VCD und viele weitere Verbände und Initiativen ist das nicht hinnehmbar. Sie fordern den Erhalt der durchgehenden Verbindung.
Die Gäubahn und Stuttgart 21
Aktuell ist die Gäubahn an den oberirdischen Kopfbahnhof Stuttgarts angebunden. Seit Planung des neuen Hauptbahnhofs Stuttgart 21 und der damit verbundenen Verlegung in den Untergrund war klar, dass eine Neuanbindung der Gäubahn an den Bahnhof gefunden werden muss. Alle bisherigen Lösungsansätze, die im Kosten- und Zeitrahmen des Megaprojektes liegen sollten, scheiterten abwechselnd an Fragen zur Leistungsfähigkeit, zur Barrierefreiheit und zum Brandschutz.
Stuttgart 21 soll schließlich, nach vielen Verzögerungen, Ende 2026 den Betrieb aufnehmen. Allerdings ohne die Gäubahn. Ihre Verbindung zum Hauptbahnhof soll schon ab April 2026 ausfallen. Denn wenn der oberirdische Kopfbahnhof Stuttgarts abgerissen wird, existiert kein Anschluss mehr an den neuen unterirdischen Hauptbahnhof. Die Züge der Gäubahn müssen dann im Vorort Stuttgart-Vaihingen enden. Das behindert nicht nur den Verkehr zwischen der Landeshauptstadt und dem südlichem Baden-Württemberg, sondern auch Reisende die zum Bodensee oder nach Zürich und weiter reisen wollen. Sie müssten in Zukunft im Stuttgarter Hauptbahnhof aussteigen, mit der S-Bahn nach Vaihingen fahren und von dort den Intercity in die Schweiz erwischen. Wer macht so was freiwillig, wenn er mit dem Auto durchfahren kann? „Für mich ist völlig unverständlich, dass die Landesregierung hier tatenlos zusieht. Die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen in den Städten und auf dem Land entscheidet sich bei der öffentlichen Infrastruktur. Hier sieht der VCD das Land klar in der Verantwortung, Position für die ununterbrochene Anbindung der Gäubahn zu beziehen“, so Jörg Dengler, Landesvorsitzende des VCD Baden-Württemberg.
Die vermeintliche Lösung
Nun soll ein weiteres Bauwerk die Lösung bringen: der Neubau des Pfaffensteigtunnels. Schätzungen gehen von Baukosten von bis zu 2,7 Milliarden Euro aus. Die elf Kilometer lange Tunnelverbindung über den Fernbahnhof am Flughafen soll laut Bahn Ende 2032 fertiggestellt werden, dabei läuft für dieses Projekt erst ein Planfeststellungsverfahren. Der Zeitverzug ist also ungewiss. Die Anbindung der Gäubahn an den Hauptbahnhof würde für mindestens sieben Jahre unterbrochen werden.
Für Gero Treuner, Bahn-Experte des VCD Baden-Württemberg, ist das keine Lösung: „Das ist aus verkehrlicher Sicht überhaupt keine Option. Für die Fahrgäste der Gäubahn wäre das eine klare Ausladung aus dem öffentlichen Verkehr.“ Tausende Fahrgäste müssten für viele Jahre auf S-Bahn, Busse und Stadtbahnen umsteigen.
Die Deutsche Bahn (DB), Stadt und Land stehen hinter dem teuren Tunnelbau. Der Bund will die Finanzierung übernehmen, obwohl durch ihn das Nutzen-Kosten-Verhältnis für den gesamten Gäubahnausbau von 2,7 auf 1,2 sank und das Geld für alle nötige Bahninfrastruktur knapp ist.
Die Gäubahn muss erhalten bleiben
„Wir fordern, die Gäubahn über 2026 hinaus, zu erhalten“, sagt Gero Treuner, „solange es keinen Ersatz gibt, muss die Gäubahn oberirdisch zum bisherigen Bahnhof fahren.“ Die für den Bahnbetrieb Verantwortlichen vom Landesverkehrsministerium bis zur DB drücken zwar ihr Bedauern über die bevorstehende jahrelange Unterbrechung der Gäubahn aus, stellen sich aber klar hinter die Kappung der Verbindung in Vaihingen, der teilweise Weiterbetrieb des Stuttgarter Kopfbahnhofs sei keine Option.
Für den VCD, den Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LNV) und den Fahrgastverband Pro Bahn ist die Kappung der Gäubahn Wortbruch gegenüber den Menschen im südlichen Baden-Württemberg. Ihnen war seinerzeit bei der landesweiten Volksabstimmung zum umstrittenen Bahnhof Stuttgart 21 eine Verbesserung der Anbindung zugesagt worden. „Jetzt bekommen sie genau das Gegenteil“, sagt Jörg Dengler, „und alles ohne Rechtsgrundlage.“ Inzwischen lägen drei juristische Gutachten vor, die eine Betriebspflicht für die DB auf der Gäubahnstrecke bis zum Hauptbahnhof sehen, führt der VCD-Landesvorsitzende aus. Darunter sei auch ein Gutachten, das Kommunen an der Strecke in Auftrag gegeben hätten. Sie liegen dem zuständigen Eisenbahnbundesamt gerade zur Prüfung vor. Mittlerweile klagt auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Das Urteil wird zum Jahresende 2024 erwartet.
Unter maßgeblicher Beteiligung des VCD Baden-Württemberg gründete sich im März das Pro-Gäubahn-Bündnis: Eine Initiative von Fahrgästen, Verbänden und Gruppierungen entlang der Strecke. Sie fordern u. a.: „Der Gäubahn-Regional- und -Fernverkehr muss zu jedem Zeitpunkt und ohne Umwege zum Stuttgarter Hauptbahnhof geführt werden“. Sieben Oberbürgermeister entlang der Strecke, darunter Rottweil, Singen, Tuttlingen und Horb, unterstützen das Anliegen: „Keine Kappung solange der Pfaffensteigtunnel nicht planfestgestellt, nicht vertraglich abgesichert und im Bundeshaushalt enthalten und beschlossen ist!“.
Das alles hat bisher nicht gefruchtet, so dass jetzt nur noch die Justiz Klarheit schaffen kann. Der VCD bleibt dran.
Autorin
Uta Linnert ist Chefredakteurin des VCD-Magazins fairkehr. Seit vielen Jahren schreibt sie über die nachhaltige Verkehrswende. Sie arbeitet bei der fairkehr Agentur in Bonn.