fairkehr 3/2024: Geteilte Mobilität

Privates Carsharing, so gelingt's!

Das private Carsharing ist einfacher als gedacht: Erfahrungsberichte unterschiedlicher Initiativen und Tipps zu Organisation und Versicherung.

| Auto fairkehr-Magazin 03/2024

Wer Carsharing hört, denkt meistens an professionelle Anbieter wie Miles, Cambio & Co. Weniger bekannt, aber nicht minder erfolgreich, ist das private Carsharing – das nichtkommerzielle Teilen von Privatautos mit mehreren Menschen. Das funktioniert vor allem in überschaubaren nachbarschaftlichen Initiativen, aber auch in größer organisierten Netzwerken wie “StadtTeilAuto” in Potsdam. Außerdem gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Organisation und der Versicherung von privatem Carsharing.

Lokales Netzwerk für privates Carsharing

Der Schlüssel zum Erfolg war letztendlich Tila. Die Mischlingshündin aus Portugal fädelte den entscheidenden Kontakt ein. Denn bei jenem Gassi-Spaziergang war ihr Frauchen Tanja de Azambuja mit deren Freundin Carola unterwegs. De Azambuja erzählte von ihrem Wunsch, ihr Auto zu teilen. Und Carola erzählte wiederum von ihrer Freundin Sabine, die ein Auto zur Nutzung suchte. Ein Match. Klingt kompliziert und um fünf Ecken, ist aber typisch: Mund-zu-Mund-Propaganda steht fast immer am Anfang privaten Carsharings.

Tanja de Azambujas Skoda Oktavia, das Familienauto der Mutter von zwei inzwischen jugendlichen Kindern, stand zunehmend ungenutzt herum. Seit Tila und Carola den Kontakt hergestellt haben, gilt: ein Auto, zwei Familien, sechs Fahrer*innen. Mehr Fahrzeit, weniger Standzeit, bessere Ausnutzung der Ressourcen

Die Basis dafür bildete anfangs eine mündliche Abmachung mit Handschlag. Ein Alternative wäre der VCD-Mustervertrag gewesen. Doch allzu lange währte das Modell in diesem Fall ohnehin nicht: Sabine und ihr Mann wollten das Auto gerne zur Hälfte besitzen, gleichberechtigte Partner sein, nicht nur gelegentliche Nutzer und Bittsteller. So setzten sie einen individuellen Vertrag auf. Er regelte unter anderem die Kommunikation, die Verfügbarkeit, die Abläufe und vor allem die versicherungsrechtlichen Fragen. Und Sabine und ihr Mann kauften de Azambuja das halbe Auto ab. „Weniger besitzen macht weniger Arbeit“, dachte de Azambuja und stimmte zu. Seitdem teilen sich die beiden Familien gleichberechtigt das Auto, die laufenden Kosten und die Verantwortung – von der Ölstandkontrolle über Reparaturen bis zum TÜV-Termin.

Autos teilen mit der “Hausflotte”

Als de Azambuja im März 2023 an einer VHS-Abendveranstaltung zum Thema Carsharing teilnahm, kam Bewegung in das kleine, feine private Carsharing-Modell der 51-Jährigen, die „schon immer die Welt retten wollte“, wie sie sagt. An jenem Abend stellte sich die „Hausflotte“ vor. Die Hausflotte, das ist ein Start-up-Projekt, das ein Jahr lang in München und Umland Herausforderungen rund ums private Carsharing beleuchtet und mögliche Lösungen ausprobiert hat. Schlüsselerkenntnisse des Projektes sind: Das nicht kommerzielle Teilen von Privatautos ist möglich und es herrscht grundsätzlich eine Offenheit dafür. Eine wichtige Voraussetzung ist die räumliche Nähe und das gegenseitige Vertrauen unter den Teilnehmenden. Und: Zu den größten Einstiegshürden zählen rechtliche Bedenken, insbesondere bei Versicherung und Steuern.

„Anders als bei vielen anderen Veranstaltungen flammte an diesem Abend sofort eine rege Diskussion auf“, erinnert sich de Azambuja an den Abend in der VHS Fürstenfeldbruck. „Ich habe von meinem Sharing-Modell erzählt und es gab direkt einige, die ebenfalls Autos teilen wollten. Es hat gefunkt zwischen uns.“ In der Folge und mit Anlaufunterstützung durch Hausflotte sowie durch die Stadt Fürstenfeldbruck, hat sich ein lokales Netzwerk gebildet.
Hausflotte habe das private Carsharing aus der Öko-Nische herausgeholt und es cool und hipp gemacht, sagt de Azambuja. Rund 25 Leute sind inzwischen in der Chat-Gruppe „carsharing-ffb“. Diese ist Ausgangspunkt für die Anbahnung von Autoleihen, hat aber keine offizielle oder gar organisatorische Funktion. Wie die einzelnen Parteien das Leihen konkret organisieren, ist unterschiedlich und bleibt jedem selbst überlassen.

Carsharing als Verein oder Genossenschaft organisieren

Eine Alternative zur informell organisierten Nachbarschaftsinitiative kann die Gründung eines Vereins oder einer Genossenschaft sein. Das schafft über Satzungen organisatorische Klarheit, zum Beispiel über Rechte und Pflichten der Mitglieder oder rechtliche Fragen. Auch öffentliche Unterstützung zu bekommen, zum Beispiel in Form von Stellplätzen oder Fördermitteln, kann einfacher sein. Gleichzeitig steigen aber auch der administrative Aufwand und die Kosten. Auch leidet die Flexibilität der Initiative, weil Entscheidungsprozesse in einer formellen Organisation in der Regel langwieriger sind.

"StadtTeilAuto": Weniger Autos waren das Ziel

Genauso ist das auch in Potsdam. „Was und ob das Autoleihen bei uns etwas kostet, das machen Verleiher und Entleiher ganz unter sich aus“, erzählt Ingo Baumstark. „Wir haben ein Kalkulationstool, womit die Besitzer faire Kosten berechnen können. Aber manche sind auch mit einem Korb Erdbeeren zufrieden.“

Ingo Baumstark hat zusammen mit Joos van den Dool 2013 „StadtTeilAuto“ gegründet. Doch „gegründet“ ist eigentlich falsch, denn eine unternehmerische Struktur gibt es auch hier nicht. StadtTeilAuto ist ein Nachbarschaftsprojekt jenseits jeglicher kommerzieller Interessen. Ausgangspunkt des Projekts ist die Brandenburger Vorstadt – der Stadtteil, in dem Baumstark und van den Dool wohnen. Die beiden hatten eine Vision: Sie wollten den zentralen Dr.-Rudolf-Tschäpe-Platz autofrei machen und ein kindgerechtes Viertel schaffen. Sport und Spiel sollten Platz haben sowie Bäume statt Blech. „Wir wollten unsere nachbarschaftliche Umgebung schön machen, weniger Autos hier rumstehen haben“, erinnert sich Baumstark.

Heute sind im Portfolio der Potsdamer Sharing-Community neben acht Pkw auch ein Motorrad, ein Lkw, ein E-Tandem, ein Segel- und ein Faltpaddelboot. Mobilität ist eben vielfältig. 620 Leute seien aktuell im Netzwerk, erzählt Baumstark. Aber die Kreise, in denen die Autos verliehen werden, sind deutlich kleiner. Innerhalb des Netzwerkes schaffen sich die Verleiher ihre eigenen Communitys. „Bei mir sind das vielleicht so zehn bis 20 Leute, die mehr oder weniger regelmäßig anfragen“, berichtet Baumstark.

Das sei auch gut so, denn das private Carsharing müsse eine persönliche Angelegenheit unter Bekannten bleiben, ist Baumstark überzeugt. So ist die gewisse Unprofessionalität, die StadtTeilAuto vermittel, durchaus gewollt. „Wir bewegen uns hier in einem Graubereich, denn wir haben uns bewusst entschieden, keinen Verein zu gründen und ganz klar nicht kommerziell zu agieren“, sagt Baumstark. „Das ist ein echtes Nachbarschaftsprojekt auf Vertrauensbasis. Sollte mal etwas kaputtgehen oder beschädigt werden, dann wird sich dafür eine Lösung finden. Aber es gibt bei uns keine AGBs dafür.“ Kommerzielle Interessen bleiben so außen vor.

Kommerzielle Interessen auf Verleih-Plattformen

Bei anderen Projekten und Angeboten treten diese derweil oft mehr oder weniger gewollt zutage. Plattformen wie SnappCar, Get­around oder Sharywerben ebenfalls damit, dass man dort private Autos (ver)leihen kann. Parallel zu diesem Versprechen liest man in vielen Angeboten aber Wörter wie „Flotte“ oder „Profi-Fuhrpark“.  Einige Plattformen akquirieren auch bewusst kommerzielle Partner.

„Ich wünsche mir für unsere Plattform viele kleine gewerbliche Anbieter“, sagt etwa Shary-Geschäftsführer Finn Marinus Hoenig, „nur dann können wir eine flächendeckende und hohe Verfügbarkeit gewährleisten.“ Er gibt auch zu, dass das Wachstum der Plattformen den Nachhaltigkeitsaspekt nach und nach durch kommerzielle Interessen in den Hintergrund drängt. „Es gibt eine wachsende Klientel, die sich einen Sportwagen eigentlich nicht leisten kann und ihn sich über das Sharing zumindest teilweise refinanzieren“, beschreibt er eine besondere Sparte von Sharing-­Nutzer*innen.

Entsprechend hoch ist vielerorts die Dichte von dicken BMWs, Mercedes und Audis, die einem auf den Online-Plattformen angeboten werden. Bei Shary gibt es auch eine knallgrüne Corvette. Das ist nicht gerade das Auto des Nachbarn, das man beim privaten Carsharing erwartet hätte.

Zumindest bei den Nachbarschaftsprojekten in Potsdam und Fürstenfeldbruck sehen die Autos in der Regel anders aus. „In unserem Portfolio sind schon besondere Autos. Das sind Gebrauchsgegenstände“, sagt Baumstark. Und meint damit: Bei einem Kratzer mehr in seinem Skoda Roomster, Baujahr 2006, bleibt der 51-Jährige entspannt. Grundsätzlich gingen die Autoentleiher sowieso sehr pfleglich mit den Autos um. Vielleicht sei da mal ein bisschen Dreck im Auto, wenn ein Kind an Bord war, oder der Nutzer hat eine CD vergessen. Aber das sei es dann auch schon.

Nachbarschaftliche Solidarität durch privates Carsharing

Doch auch, wenn der ganz überwiegende Teil aller privater Carsharing-Erfahrungen positiv ist: Es gibt auch Ausnahmen. Eine solche hat Anja Herz ausgerechnet bei ihrem „ersten Mal“ erfahren. „Ich hatte mein Auto für drei Tage verliehen, aber danach wurde es einfach nicht zurückgebracht. Der Entleiher reagierte weder auf Anrufe noch auf Nachrichten und war wie vom Erdboden verschluckt“, erinnert sie sich. Auch die Polizei konnte ihr damals nicht helfen: Sie sei selbst schuld, wenn sie einem Wildfremden ihren Autoschlüssel in die Hand drücke, bekam sie zu hören. Weitere drei Tage später hat ein ihr unbekannter Herr das etwas abgerockte Auto dann endlich wieder zurückgebracht. Mit 1.600 Kilometern mehr auf dem Tacho – deutlich mehr, als vereinbart gewesen war. Das war vor elf Jahren. Den Verleih hatte Herz damals über eine kommerzielle Plattform abgewickelt.

Doch davon hat sie sich nicht abschrecken lassen. Heute ist auch sie Teil der Fürstenfeldbrucker Hausflotte. Und auch Baumstark und seine Community in Potsdam glauben weiterhin an das private Carsharing – auch wenn sie ihr Ziel, den „Tschäpe“ autofrei zu bekommen, nach mehr als zehn Jahren immer noch nicht erreicht haben. Denn es gäbe ja auch noch andere Vorteile: nachbarschaftliche Solidarität zum Beispiel. Und wenn auch nicht im großen Stil wie ursprünglich erhofft, so stehe vielleicht doch zumindest das ein oder andere Auto weniger rum. Und noch ein Vorteil des privaten Carsharings: Tanja de Azambujas Auto ist jetzt viel reinlicher als früher. Bevor sie das Auto geteilt hat, schien es wegen des Hundes unmöglich, es sauber zu halten. Auf einmal ist auch das kein Problem mehr: Tila fährt jetzt einfach immer in der Box mit.

Noch mehr spannende Tipps und Infos rund um das Thema Carsharing haben wir hier zusammengestellt!


Fragen zur Versicherung von privatem Carsharing

Ich will mein Auto mit anderen Menschen teilen. Was muss ich versicherungstechnisch beachten?

Stephan Oldenburg: Ein privat genutztes Auto wird auf eine Person zugelassen, den/die Halter*in. Der/Die Versicherungsnehmer*in kann dieselbe oder eine andere Person sein. Als Fahrer*innenkreis können mehrere konkrete Personen angegeben werden oder ein Mindest- und Höchstalter für unbestimmte Fahrer*innen. Je jünger die Personen und je offener der Kreis der Fahrer*inn, desto teurer wird die Kfz-Versicherung. Richtig teuer kann es für den/die Versicherungsnehmer*in bei Kfz-Schäden werden, da dann Rückstufungen beim Schadenfreiheitsrabatt erfolgen, die die Versicherungsprämie in den Folgejahren erhöhen. Bei kleineren Schäden kann es sich daher lohnen, diese selbst zu übernehmen, um die Rückstufung zu vermeiden.

Überregionale Plattformen bieten in der Regel einen extra Versicherungsschutz für die Zeit der Vermietung an. Dann bleibt die private Kfz-Versicherung im Schadensfall unangetastet. Hier sollte man aber unbedingt die Höhe der Selbstbeteiligung checken! Und: Wer sein Auto über eine gewerbliche Sharing-Plattform anbietet, sollte unbedingt mit seiner Kfz-Versicherung sprechen, ob das zulässig ist.

Gibt es solche Versicherungen auch für andere Fahrzeuge, wie zum Beispiel Lastenräder?

Für nicht zulassungspflichtige Zweiräder gibt es keine Versicherungspflicht. Empfehlenswert ist beim privaten Verleihen, dass das Zweirad gegen Diebstahl versichert ist und die Originalrechnung vorhanden ist. Wer ganz sichergehen will, schließt eine Fahrrad-Vollkaskoversicherung ab, damit neben Technikdefekten auch Unfall, Vandalismus, Teile- oder Gepäckdiebstahl mitversichert sind.

Gibt es einen Mustervertrag, den man nutzen kann?

Für Mitglieder des VCD gibt es einen Mustervertrag zum Auto-Teilen, der eine gute Grundlage für die vielen zu berücksichtigenden Punkte bietet.

Der VCD-Mustervertrag zum Autoteilen ohne Sorgen

Private Autos stehen durchschnittlich 23 Stunden am Tag nur rum. Um die Ressource Auto effizienter zu nutzen und die Menge der unnütz parkenden Autos zu reduzieren, gibt es die Möglichkeit private Autos zu teilen – mit Nachbar*innen oder Freund*innen! Damit ihr dabei trotzdem rechlich und versicherungstechnisch abgesichert seid, hat der VCD einen Mustervertrag für nachbarschaftliches Auto-Teilen entworfen. Er enthält Erläuterungen und Vorschläge für alle erforderlichen Regelungen. So können Kosten und Risiken für die Nutzer vorab geklärt werden und das sorgenlose Autoteilen kann beginnen!

Im VCD-Online-Shop kann der Mustervertrag zum Unkostenpreis bestellt werden.

Kostenlos für VCD-Mitglieder: Der Mustervertrag als pdf zum Download!

Kontakt zu Versicherungsfragen

 

Stephan Oldenburg

Geschäftsführer der VCD Service GmbH

Tel.: 0228-98585-85
vcd-service.de

Autorin

Katharina Garus ist Redakteurin bei der fairkehr-Agentur in Bonn und schreibt seit 2021 für das VCD-Magazin fairkehr. Sie ist Expertin für alle Themen rund ums Fahrrad und nachhaltige Reisen.

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