fairkehr 3/2024: Geteilte Mobilität

Carsharing: Auto wechsel dich

Carsharing spart Geld und Zeit und ist gut für Umwelt und Klima. Trotzdem halten viele am eigenen Auto fest. Wir klären Fragen, Zweifel zu Carsharing.

| Auto fairkehr-Magazin 03/2024

Es könnte so schön sein, das Leben ohne eigenes Auto: keine monatlichen Kosten, keine Termine in der Werkstatt oder beim TÜV, keine tägliche Parkplatzsuche. Und natürlich wäre ein autofreier Alltag vorteilhaft für Klima, Umwelt und Mitmenschen. Denn Autos schlucken Ressourcen, erhitzen das Klima und verstopfen die Städte. Würde man allein die in Berlin gemeldeten Pkw in eine Parkschlange stellen, würde diese von der Hauptstadt bis in den Süden Indiens reichen. Tendenz steigend.

Bei vielen Menschen stehen Fragen, Zweifel und Unsicherheiten dem eigenen Carsharing im Weg, wie bei unserer Protagonistin Frau Schlüssel. Wir klären die wichtigsten Fragen:

  1. Funktioniert Carsharing überhaupt? Ist es komisch, immer wieder fremde Autos zu fahren?
  2. Wie können Kommunen Carsharing unterstützen und für Carsharing-Parkplätze sorgen?
  3. Macht Carsharing Bus und Bahn Konkurrenz?
  4. Kann ich mich darauf verlassen, dass es auch in ein paar Jahren noch Carsharing gibt?
  5. Kann Carsharing auch auf dem Land funktionieren?
  6. Warum engagiert sich der VCD für Carsharing?

 

 

Frau Schlüssel fragt:


Ich will mein Auto abschaffen, aber ich traue mich nicht. Funktioniert Carsharing überhaupt? Und ist es nicht komisch, immer wieder fremde Autos zu fahren?

 

Antwort von Lisa Hünecke, private Carsharing-Nutzerin


Ich finde Carsharing total praktisch: Ich muss mich weder um den TÜV noch um Reparaturen oder die Versicherung kümmern und habe trotzdem immer ein Auto, wenn ich es brauche. Ich kann einfach einsteigen und losfahren, denn der Tank muss immer mindestens viertelvoll sein, wenn man ein Auto zurückgibt.

Ich bin mit Carsharing aufgewachsen. Nach dem Studium hatte ich erst ein eigenes Auto, und in der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, mehr Auto zu fahren. Als ich wieder auf Carsharing umgestiegen bin, habe ich mich auch schnell wieder umgewöhnt, sodass ich jetzt nur noch selten ein Auto brauche.

Meistens benutze ich Carsharing, wenn ich meine Schwester in ihrem Dorf besuchen will, wo der Bus nur einmal am Tag kommt. In der Nähe meiner Wohnung gibt es drei Carsharing-Stationen. Für kürzere Fahrten, zum Beispiel um größere Mengen Getränke einzukaufen, bekomme ich da immer auch kurzfristig ein Auto. Wenn ich weiß, dass ich den ganzen Tag unterwegs bin, buche ich es ein paar Tage vorher, das hat bisher immer gut geklappt.

Fast immer sind die Autos auch picobello sauber. Wenn ich ein Fahrzeug ausleihe, kann ich direkt die Sauberkeit innen und außen bewerten. Durch diese soziale Kon­trolle geben sich die meisten wirklich viel Mühe, das Auto sauber zurückzugeben. Es macht auch Spaß, neue Automodelle auszuprobieren. Jedes Fahrzeug hat ein Bordbuch, in dem kurz die wichtigsten Funktionen erklärt werden. Wenn ich mir ein Elektroauto ausleihe – mit denen kenne ich mich nicht so gut aus –, plane ich immer etwas mehr Zeit ein, um das Bordbuch zu lesen. Ich habe wirklich das Gefühl, dass mein Carsharing-Anbieter sich Mühe gibt, für mich als Kundin alles so einfach wie möglich zu machen.

Lisa Hünecke lebt in Bremen und ist in einem autofreien Haushalt mit Carsharing aufgewachsen. Ihre Alltagswege fährt sie meist mit dem E-Bike, auch die 17 Kilometer zu ihrem Arbeitsplatz. Wenn das nicht passt, bucht sie sich ein Carsharing-Auto.

 


 

 

Frau Schlüssel fragt:


Warum gibt es nicht in jeder Straße Carsharing-Parkplätze? Wie können Kommunen Carsharing unterstützen?

 

Antwort von Brigitte Stummer & Ulrich Wagner, Stadtplanungsamt Karlsruhe


Es ist wichtig, in Netzen zu denken. Carsharing muss flächendeckend verfügbar sein. Aber insbesondere der ÖPNV und der Radverkehr müssen gut ausgebaut sein: Wenn ich im Alltag das Auto ohnehin fast nicht brauche und mit dem Umweltverbund unterwegs sein kann, ist es leichter, aufs eigene Auto zu verzichten und Carsharing zu nutzen.

Die meisten Carsharing-Stellplätze mieten die Carsharing-Anbieter privat an. Erst mit Paragraph 16a des Landes-Straßengesetzes  2019 und mit der StVO-Novelle 2020 wurde es Kommunen ermöglicht, Carsharing-Stellplätze im öffentlichen Raum auszuweisen. Seit 2020 wurden in Karlsruhe sukzessive knapp 200 Stellplätze an öffentlichen Straßen eingerichtet – und wir prüfen, ob es noch mehr werden sollen. Jedoch sind diese nicht bei allen Bürger*innen beliebt, da „ihre“ Stellplätze entfallen. Zusätzlich unterstützt die Stadt Carsharing durch eine gemeinsame Buchungs-App des Verkehrsanbieters KVV. Und in der Verwaltung wurden einige Dienstwagen abgeschafft, auch wir nutzen für dienstliche Fahrten Carsharing.

So versuchen wir, den Carsharing-Anbietern möglichst gute Voraussetzungen zu bieten. Die Umsetzung liegt dann bei ihnen.

Ulrich Wagner und Brigitte Stummer arbeiten für das Stadtplanungsamt Karlsruhe und sind für konzeptionelle Verkehrsplanung zuständig. Karlsruhe liegt mit 4,3 Carsharing-Fahrzeugen pro 1000 Einwohner*innen im bundesweiten Vergleich mit Abstand vorn.

 


 

 

Frau Schlüssel fragt:


Macht Carsharing Bus und Bahn Konkurrenz?

 

 

Antwort von Gunnar Nehrke, Bundesverband Carsharing


Nein, im Gegenteil: Carsharing fördert die Nutzung von Bus und Bahn. Wenn die Verkehrsmittel des Umweltverbunds gut ausgebaut sind und Carsharing hinzukommt, dann verabschieden sich die Menschen von ihrem eigenen Auto und fangen an, wirklich zu überlegen, welches das geeignetste Verkehrsmittel für ihren jeweiligen Weg ist. Dann sinkt die Zahl der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden.

Wir müssen allerdings zwischen stationsbasiertem Carsharing und dem sogenannten Freefloating unterscheiden. Beim stationsbasierten Carsharing muss ich das Auto wieder an seinen Ausgangspunkt zurückbringen, wie beim privaten Pkw auch. Dadurch werden stationsbasierte Autos nur für gezielte Fahrten eingesetzt, die ich nicht mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad machen kann. Freefloating dagegen erlaubt es, das Fahrzeug an einer beliebigen Stelle zurückzugeben. Die Kunden nutzen das häufig, um Taxifahrten zu ersetzen, manchmal auch Bus- oder Bahnfahrten.

Damit Carsharing seine volle Wirkung entfalten kann, müssen die Fahrzeuge dort stehen, wo auch die privaten Pkw stehen würden: In den Wohnstraßen. Eine direkte Verknüpfung mit ÖPNV-Haltestellen ist weniger wichtig. Niemand wird sich ein Carsharing-Auto ausleihen, um damit zur Haltestelle zu fahren. Wenn ich mich entscheide, ein Auto zu benutzen, zum Beispiel, um einen größeren Einkauf zu transportieren, dann nutze ich es für den gesamten Weg und nicht für einen Teil. Das ist bei anderen Formen des Sharings, zum Beispiel Fahrrad oder E-Scooter, anders.

Gunnar Nehrke ist der Geschäftsführer des Bundesverbandes Carsharing (bcs). Der Verband vertritt die Branche politisch und erhebt Branchenstatistiken.

 


 

 

Frau Schlüssel fragt:


Kann ich mich darauf verlassen, dass es auch in ein paar Jahren noch Carsharing gibt?

 

Antwort von Norbert Jagemann, cambio CarSharing


Ja. Wir haben zwar schon einige Anbieter kommen und gehen sehen, aber grundsätzlich gilt: Wenn Carsharing als Dienstleistung überzeugt, hat es auch am Markt Bestand. Wir befragen deshalb regelmäßig unsere Kundinnen und Kunden, was ihnen an unserer Dienstleistung am wichtigsten ist. Auf Platz eins: nicht so weit zur Station laufen zu müssen, gefolgt von der Fahrzeugverfügbarkeit. Erst danach kommen die fairen und transparenten Preise.

Wir sind übrigens nicht nur in Großstädten aktiv, sondern stellen auch in kleineren Städten Flotten zur Verfügung. Um einen neuen Standort zu erschließen, brauchen wir gerade in kleineren Städten Kooperationspartner. Das kann zum Beispiel eine finanzielle Unterstützung von Kommunen oder Land sein, um in den ersten Jahren Verluste auszugleichen. Noch wichtiger ist uns aber, dass die Kommunen unser Angebot bewerben oder in der Verwaltung selbst Carsharing nutzen. Das hat dann eine Vorbildfunktion. Für einen neuen Carsharing-Standort ist entscheidend, dass ein Alltag ohne Auto möglich ist, weil der Umweltverbund gut funktioniert und die Nahversorgung mit zum Beispiel einem Supermarkt sichergestellt ist.

Norbert Jagemann ist Geschäftsführer des Carsharing-Anbieters cambio. Das Unternehmen mit Sitz in Bremen ist seit 34 Jahren am Markt und in zahlreichen Städten in Deutschland und Belgien aktiv.

 


 

 

Frau Schlüssel fragt:


Mein Bruder wohnt in einem kleinen Ort auf dem Land. Kann Carsharing da auch funktionieren?

 

Antwort von Horst Böttcher, Dörpsmobil


Ich wohne in Damp, einem Ort mit 1.500 Einwohnern an der Ostsee. Eigentlich zu klein für Carsharing, aber der Gemeinderat hat trotzdem entschieden, ein Sharing-Auto anzuschaffen, unser Dörpsmobil. Das steht jetzt seit zweieinhalb Jahren an einem zentralen Ort in der Gemeinde und wird gut angenommen.

Knapp 40 Orte in Schleswig-Holstein haben schon solche Dörpsmobile, alles E-Autos. Jeder Ort kümmert sich selbst um die Anschaffung und die Organisation rund um die Autos. Oft machen das Vereine, bei mir im Ort ist die Gemeinde der Träger.

Die Finanzierung läuft in allen Dörpsmobil-Orten unterschiedlich. Bei uns in Damp fand ein Windkraftbetreiber die Dörpsmobil-Idee so gut, dass er gesagt hat: „Wenn die Gemeinde ein Carsharing-Auto anschafft, dann baue ich euch die Ladesäule und liefere euch den Strom umsonst.“ Außerdem haben wir Werbung für ein paar lokale Händler auf dem Auto. Bürgermeisterin und Gemeindemitarbeiter haben sich verpflichtet, wann immer möglich das Dörpsmobil für ihre Dienstfahrten zu nutzen. Das gibt uns eine gewisse Grundauslastung zusätzlich zu den privaten Nutzern. Eine Stunde das Auto ausleihen kostet bei uns fünf Euro, 50 Kilometer sind inklusive. Wir haben durch die Sponsoren recht geringe Betriebskosten. Wenn am Ende des Jahres trotzdem nicht alle Kosten gedeckt sind, übernimmt den Rest die Gemeinde.

Die Dachmarke Dörpsmobil wird vom Land gefördert, und wir profitieren davon. Wir können zum Beispiel die Buchungssoftware nutzen und bekommen Unterstützung bei der technischen Ausrüstung der Fahrzeuge. Außerdem sind die Dörpsmobil-Orte inzwischen exzellent vernetzt; wir tauschen Erfahrungen aus und unterstützen uns gegenseitig. Demnächst machen wir alle eine Sternfahrt nach Friedrichstadt, wo gerade das Dörpsmobil neu eingeführt wird. Solche Aktionen organisiert dann auch die Koordinierungsstelle beim Land, aber wir, die wir uns vor Ort um die Dörpsmobile kümmern, sind alle Ehrenamtler. Ohne Ehrenamt geht's nicht.

Horst Böttcher kümmert sich als Administrator um das Dörpsmobil Damp. Er berät auch andere Kommunen in Schleswig-Holstein, die ein Carsharing-Angebot unter der Dörpsmobil-Dachmarke aufbauen wollen.

 

Warum engagiert sich der VCD für das Carsharing?

 

Die Wenigsten machen sich klar, dass Haushalte jeden Monat im Schnitt 500 Euro für ein einziges Auto ausgeben. Trotzdem nimmt der Autobestand weiter zu. Schon dieses Jahr wird Deutschland die 50-Millionen-Schwelle überschreiten. Mehr Autos heißt aber nicht, dass auch mehr gefahren wird: Die durchschnittliche Fahrleistung nimmt seit Jahren ab. Autos stehen im Schnitt mehr als 23 Stunden am Tag ungenutzt herum. Das verstopft und entwertet den öffentlichen Raum, der viel zu preiswert für das Parken bereitgestellt wird. Dabei brauchen die Städte dringend Platz für Kinder, Menschen, Bäume. Tatsache ist aber auch: Nicht alle Menschen können oder wollen aufs Autofahren verzichten. Für sie kann Carsharing die Alternative sein: Sie haben ein Auto zur Verfügung – ohne sich darum kümmern zu müssen.

Auf dem Land ist die Situation eine andere: Wer hier wohnt, ist oftmals wegen fehlender öffentlicher Verkehrsmittel auf das Auto als Fortbewegungsmittel angewiesen. Hier kann das Teilen eines Privatautos mit Freunden, Nachbarn oder innerhalb der Kommune sinnvoll sein. Die Möglichkeiten, per App auf andere Privatautos zuzugreifen, erleichtert das Autoteilen. Stattdessen geht der Trend aber zum Zweit- und Drittwagen. Diesen Trend möchte der VCD brechen. Wir arbeiten daran, gute Konzepte des Autoteilens bekannt zu machen und ein Informationsangebot für Menschen auf dem Land aufzubauen.

Seit seinen Gründungsjahren ist der VCD Wegbereiter des Carsharings. Bevor es die kommerziellen Anbieter gab, haben ehrenamtliche VCD-Gruppen vor Ort erste Carsharing-Vereine gegründet. Außerdem stellt der VCD allen Interessierten einen gültigen Mustervertrag für das nachbarschaftliche Autoteilen zur Verfügung.

Michael Müller-Görnert, Verkehrspolitischer Sprecher des VCD

Der VCD-Mustervertrag zum Autoteilen ohne Sorgen

Damit ihr beim privaten Autoteilen rechlich und versicherungstechnisch abgesichert seid, hat der VCD einen Mustervertrag für nachbarschaftliches Auto-Teilen entworfen. Er enthält Erläuterungen und Vorschläge für alle erforderlichen Regelungen. So können Kosten und Risiken für die Nutzer vorab geklärt werden und das sorgenlose Autoteilen kann beginnen!

Im VCD-Online-Shop kann der Mustervertrag zum Unkostenpreis bestellt werden.

Kostenlos für VCD-Mitglieder: Der Mustervertrag als pdf zum Download!

Autorin

Katharina Baum schreibt als Redakteurin über nachhaltige Mobilität und begleitet verschiedenste Projekte, von Internetauftritten über Kommunikationskampagnen bis zu Nachhaltigkeitsberichten. Sie schreibt seit 2020 für das VCD-Magazin fairkehr und arbeitet bei der fairkehr Agentur in Bonn.


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